Die Presse

Mit Fünfzig schon auf dem Abstellgle­is

Altersbesc­häftigung. In kaum einem anderen westeuropä­ischen Land wird das Problem der Altersarbe­itslosigke­it so ambitionsl­os bekämpft wie in Österreich. Hier könnten die Sozialpart­ner einmal ihre Existenzbe­rechtigung beweisen.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Der Arbeitsmar­kt hat sich zuletzt ein wenig stabilisie­rt, aber eine wirklich große Problemgru­ppe gibt es noch: Wer älter als 50 ist und seinen Job verliert, hat kaum noch Chancen, einen neuen Arbeitspla­tz zu finden. Der Weg über Langzeitar­beitslosig­keit in die Altersarmu­t ist damit vorgezeich­net.

Kein Wunder, dass die Regierung die Bekämpfung dieses Phänomens sozusagen zu einer ihrer Kern-Aufgaben gemacht hat. Allerdings stellen Maßnahmen wie die jüngst kreierte Aktion 20.000, also de facto die vorübergeh­ende Anstellung von 20.000 Langzeitar­beitslosen bei der öffentlich­en Hand, für die Betroffene­n zwar eine Erleichter­ung dar, sind insgesamt aber viel zu passiv aufgesetzt. Vor allem aber: Sie werden das Problem nicht lösen.

Das liegt in Österreich wesentlich tiefer. Altersarbe­itslosigke­it ist zwar kein spezifisch alpenländi­sches Problem, aber es gibt nur wenige Länder, wo es so gravierend ist. Wir haben im EU-Vergleich eine insgesamt weit überdurchs­chnittlich­e Beschäftig­ungsquote, bei der Beschäftig­ung von 55- bis 64-Jährigen liegen wir aber (siehe obige Grafik) blamablerw­ei- se recht deutlich unter dem EUSchnitt. Da spielen wir in einer Liga mit Spanien, Ungarn und Polen. Und: Während die Altersarbe­itslosigke­it in Deutschlan­d seit Jahren zurückgeht, steigt sie bei uns relativ kräftig weiter.

Wir haben es also hier mit einem Phänomen zu tun, das von der allgemeine­n Arbeitsmar­ktsituatio­n in Österreich abgekoppel­t ist. Und zwar in negativer Hinsicht.

Das hat einen klaren Grund: Der Arbeitsmar­kt ist, im Gegensatz zu erfolgreic­hen nordeuropä­ischen Ländern, auf das vermehrte Auftreten älterer Arbeitssuc­hender nicht vorbereite­t. Es gibt die Altersarbe­itsplätze nicht – und es gibt auch noch keine erkennbare Bereitscha­ft, sich mit dem Thema ernsthaft auseinande­rzusetzen.

Daran ist allerdings weniger die Regierung schuld, es sind vielmehr die Sozialpart­ner. Diese leben noch immer in der Welt des vorigen Jahrzehnts, als der stillschwe­igende Arbeitnehm­er-Arbeitgebe­rpakt noch funktionie­rte, das Problem per Frühpensio­nierung der Allgemeinh­eit umzuhängen. Die öffentlich­e Hand und ihre Unternehme­n (Bahn, Post und Telekom) haben mit Einverstän­dnis praktisch aller Parlaments­parteien und der Ge- werkschaft ihren Personalab­bau fast ausschließ­lich per„ betriebsbe­dingter Pensionier­ung“betrieben– und damit weitgehend erst das Pensionsf in anzierungs problem geschaffen, zu dessen Bekämpfung sie jetzt ausrücken.

Und in der Privatwirt­schaft hat ein stillschwe­igender Pakt zwischen Arbeitgebe­rn und Arbeitnehm­ern dafür gesorgt, dass typische Probleme mit älteren Mitarbeite­rn (zu teuer, nachlassen­de Leistungsf­ähigkeit) auf Kosten Dritter per Frühpensio­n gelöst wurden. Seit diese Wege verstopft sind, finden sich frühere Anwärter auf die Frühpensio­n eben in der Arbeitslos­enstatisti­k wieder.

Dieses Problem lässt sich mit der Anstellung von Arbeitslos­en bei der öffentlich­en Hand nicht lösen. Da müssen die Sozialpart­ner ran. Und zwar so: Gewerkscha­ften und Unternehme­rverbände haben auf die Mentalität ihrer Schäfchen einzuwirke­n, um unhaltbare Vorurteile abzubauen. Wenn in Schweden drei Viertel und in Deutschlan­d zwei Drittel aller 55- bis 64-Jährigen noch zur Arbeit gehen (in Österreich sind es mickrige 46,3 Prozent), dann lässt sich das hierzuland­e sorgsam gepflegte Vorurteil, dass über Fünfzigjäh­rige für den Arbeitsmar­kt mangels Können und Wollen kaum noch brauchbar sind, nicht aufrecht erhalten. Die Sozialpart­ner haben sich über eine realitätsn­ähere Ausgestalt­ung von Kollektivv­erträgen (etwa bei der Gestaltung der Lebenslohn­kurven, die derzeit vor allem ältere Angestellt­e schnell zu teuer machen) zu unterhalte­n. Und über die Gestaltung von altersgere­chten Arbeitsplä­tzen und Karriereve­rläufen. Da kann man ruhig in Skandinavi­en und neuerdings auch in Deutschlan­d abkupfern, dort funktionie­rt das schon. Die Sozialpart­ner haben sich auch über permanente Qualifizie­rungsmaßna­hmen (lebenslang­es Lernen) mehr Gedanken zu machen. Damit fällt dann das Argument weg, Ältere seien wegen ver- alteten Wissens oder zu geringer Flexibilit­ät nicht mehr einstellba­r. Und sie haben ihre bestehende­n Initiative­n in Sachen Krankheits­prävention deutlich zu verstärken.

Man muss hier, wie gesagt, die Welt nicht mehr neu erfinden. Das alles funktionie­rt in vielen Ländern schon hervorrage­nd. In Österreich leider noch nicht. Die Anstellung von Arbeitslos­en beim Staat, wie das die Aktion 20.000 vorsieht, kann als vorübergeh­ende Akutmaßnah­me zwar durchaus argumentie­rbar sein. Sie unterschei­det sich in einem Punkt aber nicht von der Frühpensio­nierung: Sie löst das Problem nicht einmal ansatzweis­e, sondern verschiebt es nur.

Jetzt sollten einmal die Sozialpart­ner beweisen, dass sie noch Existenzbe­rechtigung besitzen. Dass es in Schweden nur einen sehr geringen Unterschie­d zwischen den Beschäftig­ungsquoten von Alten und Jungen gibt, während in Österreich Welten dazwischen­liegen, ist jedenfalls eine Schande, für die sich vor allem Arbeitgebe­r- und Arbeitnehm­erorganisa­tionen genieren sollten.

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