Zeitnah geht die Welt zugrund’ . . .
Wenn Wiens Bürgermeister ein hässliches amtsdeutsches Wort einführt, darf man sich Sorgen machen.
Empfinden manche Wiener das gute alte „bald“womöglich als allzu umgangssprachlich?
Zum Raum wird hier die Zeit“, heißt es im „Parsifal“(und manche Musikkritiker sind offenbar enttäuscht, wenn das zur Folge hat, dass es auf der Bühne nicht recht beschwingt zugeht). Albert Einstein hat 1905 dieses Postulat des Gurnemanz in der speziellen Relativitätstheorie präzisiert, im sog. Minkowskiraum ist die Zeit (multipliziert mit der Lichtgeschwindigkeit) die vierte Achse der Raumzeit.
Ob es die Kenntnis der Oper oder der Physik war, die sie dazu bewog, ist ungeklärt, aber es waren wohl preußische Beamte, die ein paar Jahrzehnte später das unschöne Wort „zeitnah“erfanden. Es heißt nicht viel mehr als „bald“, aber es klingt so offiziös, dass es jeden Petenten entmutigt. Er spürt: Zum Raum wird hier die Zeit; er wäscht langer Irrfahrt Staub von sich und meidet das Amt fortan. Mit selbst ist das Wort erst vor einem Jahr zu ersten Mal begegnet, in der Korrespondenz mit einem badischen Rechtsanwalt, der auch über die „vorbezeichnete Angelegenheit“schrieb und den E-Mail-Verkehr so beendete: „Der Vorgang wird nunmehr in meinem Haus geschlossen.“
Im politischen Kontext ist das Wort erstmals 2001 bezeugt. Damals antwortete der Berliner Bürgermeister Eberhard Diepgen auf die Frage, wann der in einen Bankenskandal verwickelte CDU-Fraktionsvorsitzende zurücktreten werde: „Die Entscheidung wird zeitnah folgen.“
Noch vor Einführung der Autobahnmaut hat es das Wort offenbar über die Grenze geschafft, jetzt ist es da, ganz raumnah. Und so erklärte der sonst sprachsichere Michael Häupl, er wolle sich „zeitnah“nach der Nationalratswahl als Bürgermeister zurückziehen. Wir wissen nicht, mit welchen Gesichtern der erweiterte SP-Parteivorstand auf das ungewohnt geschraubte Wort reagiert hat. Doch wir fürchten nun, dass es sich, sozusagen bürgermeisterlich geadelt, verbreiten wird, vielleicht beflügelt dadurch, dass das alte „bald“für manche zu g’schert klingt. Die Wiener lieben es ja, Wörter, die sie als irgendwie ordinär empfinden, zu ersetzen, etwa „hinten“durch „rückwärts“oder „Nudeln“durch „Teigwaren“.
„Stellt’s meine Ross’ in Stall, zeitnah kriagn’s zum letzten Mal a Sackerl Hafer und a Heu.“Wird man also bald (!) beim Heurigen das alte Lied so hören? Ich glaube nicht. Auf das Rhythmusgefühl kann man sich in Wien verlassen.
Sonst auf nichts. Auch nicht aufs „Presse“-Feuilleton, das in der gestrigen Zeitung – apropos hässliche Wörter – die Buchstabenkreation „lißorgte“auf Papier brachte. Was das heißen soll? Wie das entstanden ist? Ehrlich: Ich weiß es nicht und bitte zerknirscht um Verzeihung.