Die Presse

Zeitnah geht die Welt zugrund’ . . .

Wenn Wiens Bürgermeis­ter ein hässliches amtsdeutsc­hes Wort einführt, darf man sich Sorgen machen.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Empfinden manche Wiener das gute alte „bald“womöglich als allzu umgangsspr­achlich?

Zum Raum wird hier die Zeit“, heißt es im „Parsifal“(und manche Musikkriti­ker sind offenbar enttäuscht, wenn das zur Folge hat, dass es auf der Bühne nicht recht beschwingt zugeht). Albert Einstein hat 1905 dieses Postulat des Gurnemanz in der speziellen Relativitä­tstheorie präzisiert, im sog. Minkowskir­aum ist die Zeit (multiplizi­ert mit der Lichtgesch­windigkeit) die vierte Achse der Raumzeit.

Ob es die Kenntnis der Oper oder der Physik war, die sie dazu bewog, ist ungeklärt, aber es waren wohl preußische Beamte, die ein paar Jahrzehnte später das unschöne Wort „zeitnah“erfanden. Es heißt nicht viel mehr als „bald“, aber es klingt so offiziös, dass es jeden Petenten entmutigt. Er spürt: Zum Raum wird hier die Zeit; er wäscht langer Irrfahrt Staub von sich und meidet das Amt fortan. Mit selbst ist das Wort erst vor einem Jahr zu ersten Mal begegnet, in der Korrespond­enz mit einem badischen Rechtsanwa­lt, der auch über die „vorbezeich­nete Angelegenh­eit“schrieb und den E-Mail-Verkehr so beendete: „Der Vorgang wird nunmehr in meinem Haus geschlosse­n.“

Im politische­n Kontext ist das Wort erstmals 2001 bezeugt. Damals antwortete der Berliner Bürgermeis­ter Eberhard Diepgen auf die Frage, wann der in einen Bankenskan­dal verwickelt­e CDU-Fraktionsv­orsitzende zurücktret­en werde: „Die Entscheidu­ng wird zeitnah folgen.“

Noch vor Einführung der Autobahnma­ut hat es das Wort offenbar über die Grenze geschafft, jetzt ist es da, ganz raumnah. Und so erklärte der sonst sprachsich­ere Michael Häupl, er wolle sich „zeitnah“nach der Nationalra­tswahl als Bürgermeis­ter zurückzieh­en. Wir wissen nicht, mit welchen Gesichtern der erweiterte SP-Parteivors­tand auf das ungewohnt geschraubt­e Wort reagiert hat. Doch wir fürchten nun, dass es sich, sozusagen bürgermeis­terlich geadelt, verbreiten wird, vielleicht beflügelt dadurch, dass das alte „bald“für manche zu g’schert klingt. Die Wiener lieben es ja, Wörter, die sie als irgendwie ordinär empfinden, zu ersetzen, etwa „hinten“durch „rückwärts“oder „Nudeln“durch „Teigwaren“.

„Stellt’s meine Ross’ in Stall, zeitnah kriagn’s zum letzten Mal a Sackerl Hafer und a Heu.“Wird man also bald (!) beim Heurigen das alte Lied so hören? Ich glaube nicht. Auf das Rhythmusge­fühl kann man sich in Wien verlassen.

Sonst auf nichts. Auch nicht aufs „Presse“-Feuilleton, das in der gestrigen Zeitung – apropos hässliche Wörter – die Buchstaben­kreation „lißorgte“auf Papier brachte. Was das heißen soll? Wie das entstanden ist? Ehrlich: Ich weiß es nicht und bitte zerknirsch­t um Verzeihung.

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