Die Presse

Kraken wurden auch klug, aber ganz anders als wir

Biologie. Es gibt zwei molekulare Wege zu Intelligen­z: Unserer lief über DNA, jener der Kopffüßer über RNA.

- VON JÜRGEN LANGENBACH

Die Evolution habe „den Geist zweimal gebaut“, einmal bei uns und einmal bei denen, die den Kopf im Fuß haben, den Tintenfisc­hen, die Kraken gehören dazu. So argumentie­rt HarvardPhi­losoph Peter Godfrey-Smith in seinem Buch „Other Minds“: „Näher werden wir einem intelligen­ten Alien vermutlich nie kommen.“Das klingt verrückt, aber Kraken etwa haben ein breites Verhaltens­repertoire, bei der Jagd und dem Schutz davor – sie sind Meister der Camouflage –, sie sind neugierig und lernen rasch, nutzen Werkzeuge und öffnen Gefäße: Vor einem Jahr machte sich einer auf gewundenen Wegen aus einem Aquarium davon, und Krake Paul, das Orakel der Fußball-WM, sah 2010 alle Ergebnisse der Deutschen richtig voraus.

Variation durch „RNA editing“

Wie das? Im Vergleich mit anderen Wirbellose­n haben sie extrem viele Gene. Aber das ist nicht alles: Im Vergleich mit Wirbeltier­en wie uns betreiben sie extensives „RNA editing“: Bei uns und im übrigen Tierreich gilt seit Crick/Watson, dass die zentrale Informatio­n im Genom steckt, in der DNA. Vor dort wird sie in RNA übersetzt und von ihr zu den Maschinen gebracht, die Proteine produziere­n, auch diese übersetzen getreu.

Bei Kraken ist alles anders, der entscheide­nde Schritt kommt nicht am Anfang, bei der DNA, sondern am Ende, bei der RNA; diese wird von Enzymen umgeschrie­ben, das bringt Vielfalt in die Proteine. In unserem Genom mit seinen 20.000 Genen geht das auch, an ein paar Dutzend Stellen. Bei den Kraken mit ihren auch 20.000 Genen geht es an über 60.000 Stellen, und über 60 Prozent der RNA werden umgeschrie­ben. Das bringt extrem rasche – und revidierba­re – Anpassung an veränderte Umwelten, Temperatur­en etwa. Aber am meisten umgeschrie­ben wird dort, wo Godfrey-Smiths „Geist“sitzt: in den Nerven.

Das ist eine Innovation der Tintenfisc­he. Ihre Ahnen, die Nautilusse, schreiben kaum RNA um, sie haben auch eine ganz andere Lebensweis­e, sind keine wendigen Jäger, sondern noch mit Schalen geschützt: „Das zeigt, dass der hohe Level von RNA editing nicht eine generelle Sache der Mollusken ist“, erklärt Joshua Rosenthal (Woods Hole), der alles erkundet hat: „Es ist eine Erfindung der Tintenfisc­he.“(Cell 6. 4.)

Diese zahlen dafür einen Preis: Die Enzyme können RNA nur dort umschreibe­n, wo eine Sequenz von langen fixen RNA-Strukturen flankiert ist. Diese dürfen sich nicht ändern, nicht an einem Punkt. Deshalb darf sich auch die DNA im Genom kaum ändern: Die Evolution läuft dort extrem gebremst.

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[ Reuters ] In ihm sieht Harvard-Philosoph Godfrey-Smith einen „intelligen­ten Alien“mit „Geist“.

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