Die Presse

Dieser Film schreit: Berlin! Dosenbier! Revolte!

Ab heute im Kino. Mit „Tiger Girl“kommt der Improvisat­ions-Vitalismus der „German Mumblecore“-Bewegung endlich regulär nach Österreich. Das ist grelles, lustvolles Schauspiel­erkino – aber nicht so radikal, wie man meinen könnte.

- VON ANDREY ARNOLD

Du hast dein Leben lang gelernt / ist plötzlich alles nichts mehr wert / komplett im Dunkeln, Angstschwe­iß / Arsch auf Grundeis / denn du weißt nicht, wie man Feuer macht!“

So pöbeln die Berliner Elektro-Popper Großstadtg­eflüster auf dem Soundtrack von „Tiger Girl“. Text und Attitüde des schnoddrig­en Songs bringen den Film ziemlich gut auf den Punkt – und zugleich auch die Kinobewegu­ng, aus der er hervorging.

Feuer machen, das will nämlich auch die gut vernetzte Gruppe junger deutscher Filmemache­r, deren Output medial unter „German Mumblecore“läuft. Der Name erinnert an eine Riege US-amerikanis­cher Filme aus den Nullerjahr­en, die aufgrund von personelle­n Überschnei­dungen und gestalteri­schen Parallelen (Kleinbudge­ts, Lo-FiÄsthetik, Improvisat­ionslust, erratische Montage) in einem Topf gelandet sind. Das „Mumblecore“-Label verweist auf ihre teils mäßige Tonqualitä­t („to mumble“heißt nuscheln). Obwohl Ton und Bild beim deutschen Äquivalent meist einwandfre­i sind und seine Wurzeln eher im Reduktions­realismus des „Dogma 95“-Kollektivs liegen, gibt es durchaus Ähnlichkei­ten zu den Nuschlern aus Übersee – aber auch entscheide­nde Unterschie­de.

Ein wesentlich­er ist die (selbst-)bewusste Instrument­alisierung des medialen Etiketts als Opposition­sgeste. Die Bewegung hat zwei manifestar­tige Regelwerke hervorgebr­acht, die deutliche Signale senden: Kino soll weg vom Öden, Kalten, Musealen, hin zum Freien, Wilden, Lebenssatt­en. Wie soll das gehen? Mit Mut zum Kontrollve­rlust (das Drehbuch gilt als „Rasenmäher der Intuition“), aber auch über Spaß und Gemeinscha­ftsbildung am Set – es handelt sich pri- mär um werkseitig­e Ansätze. Der bisherige Ertrag dieses Sturm-und-Drang-Vorstoßes lässt sich nicht wirklich über einen Kamm scheren. Doch „Tiger Girl“von Jakob Lass, der heute in den österreich­ischen Kinos startet, ist relativ repräsenta­tiv – und zeigt Chancen wie Grenzen der Methodik auf.

Der Film handelt vom Clash zweier Lebensentw­ürfe. Die blonde Maggie (Maria Dragus) ist schüchtern und angepasst. Kompensati­on dafür sucht sie erst an der Polizeisch­ule, wo man sie nicht aufnimmt. Dann bei einer Sicherheit­sfirma, wo man sie ordentlich zurichtet, damit sie andere zurichten kann. Maggie macht sich immer kleiner. Bis Tiger (Ella Rumpf) in ihr Leben platzt – wie ein Ge- spenst oder ein unheimlich­er Doppelgäng­er. Schwarzhaa­rig, aufgedreht und abgefuckt. Sie lebt in einem Bus, raucht, kifft, trinkt Dosenbier und macht aus Jux und Tollerei Berliner Straßen unsicher (wie viele „German Mumblecore“-Filme schreit einem auch dieser „Berlin!“förmlich ins Gesicht).

„Nettigkeit ist eine Gewalt gegen dich. Du musst einfach sagen, was du willst, dann kriegst du’s auch!“, predigt das Rotzmädche­n. Und Maggie ist ganz Ohr. Bald heißt sie nicht mehr Maggie, sondern „Vanilla the Killer“. Und rebelliert mit ihrer neuen Freundin, was das Zeug hält. Sie fladern Fahrräder, zerschmett­ern Geschirr, foppen autoritäts­hörige Passanten. Doch im Grunde ist es eine Revol- te ohne Ziel, ein hilfloser Zuckaus gegen das System, wie ein Teenager-Trotzanfal­l nach der Sichtung von Harun Farockis gruseliger Kontrollge­sellschaft­sdoku „Leben BRD“.

Ähnlich ist es mit „Tiger Girl“selbst. Was der Film ohne Zweifel hat, ist Energie, und das nicht zu knapp. Er wirkt wie eine Aneinander­reihung von Improtheat­er-Sternstund­en, die zwar nicht unbedingt „natürlich“, aber immer „lebendig“anmuten: enthemmte Körper und lose Mundwerke. Gesteigert wird dieses ansteckend­e Lebensgefü­hl durch echte Drehorte und Laiendarst­eller. Als Schauspiel­kino funktionie­rt’s, Rumpf und Dragus sind famos. Aber die Grenzen zwischen Laien und Profis verschwimm­en nie – und das steht jeder angestrebt­en Authentizi­tät im Weg (als Maggie in der Metro von einer Bande gefährlich­er Schauspiel­schüler bedrängt wird, muss man fast lachen).

Wie Peeperkorn im „Zauberberg“

Und Improvisat­ion garantiert nicht, dass immer etwas Neues dabei herauskomm­t. In seinen Grundzügen ist „Tiger Girl“ein Remake von Lass’ letztem Film „Love Steaks“– nur heißt es diesmal eben Girl meets Girl statt Boy meets Girl. Zudem riecht das Ganze verdächtig nach deutschem Vitalismus a` la Mynheer Peeperkorn aus Thomas Manns „Zauberberg“– und befördert ganz üble Kino-Dichotomie­n: apollinisc­h versus dionysisch, Distanz versus Nähe, Köper versus Intellekt. Das führt alles nur in Sackgassen.

Oder zu einem Deal mit Constantin. Anfangs suchten die „Mumblecore“-Leute nach alternativ­en Vertriebsw­egen; inzwischen gliedern sie sich in bestehende ein. Verständli­ch: Leben muss man halt auch von irgendetwa­s. Und erfreulich: Denn die Geilheit, die sie mitbringen, kann die deutsche Kinolandsc­haft gut brauchen. Aber von einer Revolution zu sprechen, das wäre etwas verfrüht.

 ?? [ Constantin] ?? Schüchtern­e Blonde, freche Schwarzhaa­rige: Maria Dragus als Maggie, Elle Rumpf als Tiger.
[ Constantin] Schüchtern­e Blonde, freche Schwarzhaa­rige: Maria Dragus als Maggie, Elle Rumpf als Tiger.

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