Dieser Film schreit: Berlin! Dosenbier! Revolte!
Ab heute im Kino. Mit „Tiger Girl“kommt der Improvisations-Vitalismus der „German Mumblecore“-Bewegung endlich regulär nach Österreich. Das ist grelles, lustvolles Schauspielerkino – aber nicht so radikal, wie man meinen könnte.
Du hast dein Leben lang gelernt / ist plötzlich alles nichts mehr wert / komplett im Dunkeln, Angstschweiß / Arsch auf Grundeis / denn du weißt nicht, wie man Feuer macht!“
So pöbeln die Berliner Elektro-Popper Großstadtgeflüster auf dem Soundtrack von „Tiger Girl“. Text und Attitüde des schnoddrigen Songs bringen den Film ziemlich gut auf den Punkt – und zugleich auch die Kinobewegung, aus der er hervorging.
Feuer machen, das will nämlich auch die gut vernetzte Gruppe junger deutscher Filmemacher, deren Output medial unter „German Mumblecore“läuft. Der Name erinnert an eine Riege US-amerikanischer Filme aus den Nullerjahren, die aufgrund von personellen Überschneidungen und gestalterischen Parallelen (Kleinbudgets, Lo-FiÄsthetik, Improvisationslust, erratische Montage) in einem Topf gelandet sind. Das „Mumblecore“-Label verweist auf ihre teils mäßige Tonqualität („to mumble“heißt nuscheln). Obwohl Ton und Bild beim deutschen Äquivalent meist einwandfrei sind und seine Wurzeln eher im Reduktionsrealismus des „Dogma 95“-Kollektivs liegen, gibt es durchaus Ähnlichkeiten zu den Nuschlern aus Übersee – aber auch entscheidende Unterschiede.
Ein wesentlicher ist die (selbst-)bewusste Instrumentalisierung des medialen Etiketts als Oppositionsgeste. Die Bewegung hat zwei manifestartige Regelwerke hervorgebracht, die deutliche Signale senden: Kino soll weg vom Öden, Kalten, Musealen, hin zum Freien, Wilden, Lebenssatten. Wie soll das gehen? Mit Mut zum Kontrollverlust (das Drehbuch gilt als „Rasenmäher der Intuition“), aber auch über Spaß und Gemeinschaftsbildung am Set – es handelt sich pri- mär um werkseitige Ansätze. Der bisherige Ertrag dieses Sturm-und-Drang-Vorstoßes lässt sich nicht wirklich über einen Kamm scheren. Doch „Tiger Girl“von Jakob Lass, der heute in den österreichischen Kinos startet, ist relativ repräsentativ – und zeigt Chancen wie Grenzen der Methodik auf.
Der Film handelt vom Clash zweier Lebensentwürfe. Die blonde Maggie (Maria Dragus) ist schüchtern und angepasst. Kompensation dafür sucht sie erst an der Polizeischule, wo man sie nicht aufnimmt. Dann bei einer Sicherheitsfirma, wo man sie ordentlich zurichtet, damit sie andere zurichten kann. Maggie macht sich immer kleiner. Bis Tiger (Ella Rumpf) in ihr Leben platzt – wie ein Ge- spenst oder ein unheimlicher Doppelgänger. Schwarzhaarig, aufgedreht und abgefuckt. Sie lebt in einem Bus, raucht, kifft, trinkt Dosenbier und macht aus Jux und Tollerei Berliner Straßen unsicher (wie viele „German Mumblecore“-Filme schreit einem auch dieser „Berlin!“förmlich ins Gesicht).
„Nettigkeit ist eine Gewalt gegen dich. Du musst einfach sagen, was du willst, dann kriegst du’s auch!“, predigt das Rotzmädchen. Und Maggie ist ganz Ohr. Bald heißt sie nicht mehr Maggie, sondern „Vanilla the Killer“. Und rebelliert mit ihrer neuen Freundin, was das Zeug hält. Sie fladern Fahrräder, zerschmettern Geschirr, foppen autoritätshörige Passanten. Doch im Grunde ist es eine Revol- te ohne Ziel, ein hilfloser Zuckaus gegen das System, wie ein Teenager-Trotzanfall nach der Sichtung von Harun Farockis gruseliger Kontrollgesellschaftsdoku „Leben BRD“.
Ähnlich ist es mit „Tiger Girl“selbst. Was der Film ohne Zweifel hat, ist Energie, und das nicht zu knapp. Er wirkt wie eine Aneinanderreihung von Improtheater-Sternstunden, die zwar nicht unbedingt „natürlich“, aber immer „lebendig“anmuten: enthemmte Körper und lose Mundwerke. Gesteigert wird dieses ansteckende Lebensgefühl durch echte Drehorte und Laiendarsteller. Als Schauspielkino funktioniert’s, Rumpf und Dragus sind famos. Aber die Grenzen zwischen Laien und Profis verschwimmen nie – und das steht jeder angestrebten Authentizität im Weg (als Maggie in der Metro von einer Bande gefährlicher Schauspielschüler bedrängt wird, muss man fast lachen).
Wie Peeperkorn im „Zauberberg“
Und Improvisation garantiert nicht, dass immer etwas Neues dabei herauskommt. In seinen Grundzügen ist „Tiger Girl“ein Remake von Lass’ letztem Film „Love Steaks“– nur heißt es diesmal eben Girl meets Girl statt Boy meets Girl. Zudem riecht das Ganze verdächtig nach deutschem Vitalismus a` la Mynheer Peeperkorn aus Thomas Manns „Zauberberg“– und befördert ganz üble Kino-Dichotomien: apollinisch versus dionysisch, Distanz versus Nähe, Köper versus Intellekt. Das führt alles nur in Sackgassen.
Oder zu einem Deal mit Constantin. Anfangs suchten die „Mumblecore“-Leute nach alternativen Vertriebswegen; inzwischen gliedern sie sich in bestehende ein. Verständlich: Leben muss man halt auch von irgendetwas. Und erfreulich: Denn die Geilheit, die sie mitbringen, kann die deutsche Kinolandschaft gut brauchen. Aber von einer Revolution zu sprechen, das wäre etwas verfrüht.