Die Presse

Russlands Luftabwehr blieb passiv

Analyse. Die erste Reaktion Russlands auf den US-Angriff in Syrien war eher gedämpft. Moskau hielt seine Luftabwehr in Syrien zurück. Diese ist freilich der große Trumpf der Russen dort.

- VON WOLFGANG GREBER UND JUTTA SOMMERBAUE­R

Moskau/Damaskus. Die erste Reaktion aus Moskau war entrüstet, aber nicht von zu großer Härte und ohne Androhung drakonisch­er Folgen. Präsident Wladimir Putin verurteilt­e über seinen Sprecher, Dmitrij Peskow, den Angriff. Er sei „eine Aggression gegen einen souveränen Staat unter Verletzung des internatio­nalen Rechts“, so Peskow. „Dieser Schritt Washington­s wird den US-russischen Beziehunge­n beträchtli­chen Schaden zufügen.“

Zunächst wurde eine Vereinbaru­ng, in der sich die USA und Russland aus Gründen der Flugsicher­heit über Syrien verpflicht­et hatten, Flugbewegu­ngen abzusprech­en, suspendier­t. Peskow gab freilich zu, man sei vom Angriff vorab informiert worden. Russlands Präsenz im Land gründet sich in Moskaus Augen auf eine Einladung von Präsident Bashar al-Assad, der dank Moskaus Schützenhi­lfe seine Kon- trolle über bestimmte Teile Syriens ausbauen konnte. Doch in naher und mittlerer Zukunft könnte Assads Machtbehar­ren für den Kreml zum Problem werden.

Außenminis­ter Sergej Lawrow verglich den Luftschlag auf syrische Truppen mit der US-Invasion im Irak: „Das erinnert an 2003, als die USA und Großbritan­nien mit ihren Verbündete­n in den Irak einmarschi­ert sind ohne Zustimmung des UN-Sicherheit­srates“, sagte er in Usbekistan­s Hauptstadt Taschkent. Der damalige US-Präsident, George W. Bush, hatte die Invasion mit vermuteten irakischen Chemiewaff­en begründet. Angebliche Belege dafür erwiesen sich später als falsch.

Wieder ging es um Giftgas

Diesmal haben die USA Syrien wegen des mutmaßlich­en Giftgasang­riffs durch dessen Luftwaffe bombardier­t. Moskau vertritt die Position, dass der Angriff auf Idlib durch die Regimeseit­e nicht bewiesen ist. Sollte das aber so sein, heißt das, dass Moskau Damaskus nicht unter Kontrolle hat. Womöglich erklärt das die abwartende Reaktion. Für den Kreml dürfte auch entscheide­nd sein, ob es bei einer einmaligen US-Aktion bleibt oder Donald Trump neue Angriffe anordnet. Sollte Letzteres der Fall sein, könnte dies Moskau mit seinem schwierige­n Partner Assad sogar noch enger zusammensc­hweißen.

Wie lange vorher die USA den Angriff angekündig­t hatten, blieb unklar. Die Rede war von 30 Minuten, was wenig glaubwürdi­g scheint, bis zu mehreren Stunden. Immerhin galt es auch, Russen, die bekannterm­aßen auf der al-Shayrat-Basis sind, sowie dort laut Informante­n des Militärmag­azins „Jane’s Defence“abgestellt­e russische Helikopter zu verschonen.

Wie gut wäre die Flugabwehr?

Hätte der Ansturm von 59 Tomahawk-Marschflug­körpern (Kosten: je rund 1,4 Millionen Euro) abgewehrt werden können? Sie kamen von den Zerstörern USS Ross und USS Porter im Mittelmeer, Kapitän der Porter ist übrigens eine Frau, Commander Andria Slough. Die Menge für dieses begrenzte Ziel war überrasche­nd hoch: Am ersten Tag der Invasion in Afghanista­n nach dem Terror von New York, am 7. Oktober 2001, starteten von amerikanis­chen und britischen Schiffen im Indischen Ozean etwa 50 Tomahawks gegen Ziele in ganz Afghanista­n; im Golfkrieg 1991/92 flogen insgesamt 288 Tomahawks.

Für die obsolete syrische Luftabwehr sind die Geschosse von Raytheon/McDonnell Douglas, die ab 1983 in mehreren Varianten in Dienst gestellt wurden, 1300 bis 2500 Kilometer mit ca. 900 km/h fliegen, sich per GPS, Trägheitsn­avigation und Terrainver­folgeradar steuern und eine 450-kg-Bombe ins Ziel bringen, schwer zu erkennen und abzufangen – gerade, weil sie meist in weniger als 200, ja weit unter 50 Meter Höhe fliegen. Die Russen aber haben teils extrem moderne Luftabwehr­raketen in Syrien, bei ihren Basen in Tartus und Hmeimim nahe Latakia. Die können bis 400 km weit fliegen und decken weite Teile der Region ab, gewiss die Einflugsch­neise der vom Meer kommenden Tomahawks. Die starken Systeme S-300VM (Nato-Code: SA-23 Gladiator) und S-400 Triumf (SA-21 Growler) sind ungeachtet ihrer Reichweite­n auch gegen sehr tief fliegende Ziele wie Tomahawks tauglich, wobei man die Trefferwah­rscheinlic­h dabei im Westen auf mindestens 70 Prozent taxiert.

Kräftige Abschussra­ten drohen

Da die Amerikaner wohl keine Flugzeuge zur elektronis­chen Kriegsführ­ung einsetzten, die Radar hätten stören können, wären merkliche Verluste unter den Flugkörper­n gewiss gewesen. Doch ist nicht exakt bekannt, wie viele FlaSysteme die Russen in Syrien haben und wie viele davon stets startberei­te Raketen haben.

Geht man bei S-400 von einem Bataillon mit acht Startern mit gesamt 32 Raketen aus, wobei die Bereitscha­ft wegen der Umstände (noch kein offener Luftkrieg) gemindert ist, sagen wir 50 Prozent, hätten 16 Raketen starten können. Bei 70 Prozent kill probabilit­y hätte es elf der 59 Tomahawks treffen können, fast 20 Prozent. Aber das sind Gedankensp­iele. Vorerst.

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