Russlands Luftabwehr blieb passiv
Analyse. Die erste Reaktion Russlands auf den US-Angriff in Syrien war eher gedämpft. Moskau hielt seine Luftabwehr in Syrien zurück. Diese ist freilich der große Trumpf der Russen dort.
Moskau/Damaskus. Die erste Reaktion aus Moskau war entrüstet, aber nicht von zu großer Härte und ohne Androhung drakonischer Folgen. Präsident Wladimir Putin verurteilte über seinen Sprecher, Dmitrij Peskow, den Angriff. Er sei „eine Aggression gegen einen souveränen Staat unter Verletzung des internationalen Rechts“, so Peskow. „Dieser Schritt Washingtons wird den US-russischen Beziehungen beträchtlichen Schaden zufügen.“
Zunächst wurde eine Vereinbarung, in der sich die USA und Russland aus Gründen der Flugsicherheit über Syrien verpflichtet hatten, Flugbewegungen abzusprechen, suspendiert. Peskow gab freilich zu, man sei vom Angriff vorab informiert worden. Russlands Präsenz im Land gründet sich in Moskaus Augen auf eine Einladung von Präsident Bashar al-Assad, der dank Moskaus Schützenhilfe seine Kon- trolle über bestimmte Teile Syriens ausbauen konnte. Doch in naher und mittlerer Zukunft könnte Assads Machtbeharren für den Kreml zum Problem werden.
Außenminister Sergej Lawrow verglich den Luftschlag auf syrische Truppen mit der US-Invasion im Irak: „Das erinnert an 2003, als die USA und Großbritannien mit ihren Verbündeten in den Irak einmarschiert sind ohne Zustimmung des UN-Sicherheitsrates“, sagte er in Usbekistans Hauptstadt Taschkent. Der damalige US-Präsident, George W. Bush, hatte die Invasion mit vermuteten irakischen Chemiewaffen begründet. Angebliche Belege dafür erwiesen sich später als falsch.
Wieder ging es um Giftgas
Diesmal haben die USA Syrien wegen des mutmaßlichen Giftgasangriffs durch dessen Luftwaffe bombardiert. Moskau vertritt die Position, dass der Angriff auf Idlib durch die Regimeseite nicht bewiesen ist. Sollte das aber so sein, heißt das, dass Moskau Damaskus nicht unter Kontrolle hat. Womöglich erklärt das die abwartende Reaktion. Für den Kreml dürfte auch entscheidend sein, ob es bei einer einmaligen US-Aktion bleibt oder Donald Trump neue Angriffe anordnet. Sollte Letzteres der Fall sein, könnte dies Moskau mit seinem schwierigen Partner Assad sogar noch enger zusammenschweißen.
Wie lange vorher die USA den Angriff angekündigt hatten, blieb unklar. Die Rede war von 30 Minuten, was wenig glaubwürdig scheint, bis zu mehreren Stunden. Immerhin galt es auch, Russen, die bekanntermaßen auf der al-Shayrat-Basis sind, sowie dort laut Informanten des Militärmagazins „Jane’s Defence“abgestellte russische Helikopter zu verschonen.
Wie gut wäre die Flugabwehr?
Hätte der Ansturm von 59 Tomahawk-Marschflugkörpern (Kosten: je rund 1,4 Millionen Euro) abgewehrt werden können? Sie kamen von den Zerstörern USS Ross und USS Porter im Mittelmeer, Kapitän der Porter ist übrigens eine Frau, Commander Andria Slough. Die Menge für dieses begrenzte Ziel war überraschend hoch: Am ersten Tag der Invasion in Afghanistan nach dem Terror von New York, am 7. Oktober 2001, starteten von amerikanischen und britischen Schiffen im Indischen Ozean etwa 50 Tomahawks gegen Ziele in ganz Afghanistan; im Golfkrieg 1991/92 flogen insgesamt 288 Tomahawks.
Für die obsolete syrische Luftabwehr sind die Geschosse von Raytheon/McDonnell Douglas, die ab 1983 in mehreren Varianten in Dienst gestellt wurden, 1300 bis 2500 Kilometer mit ca. 900 km/h fliegen, sich per GPS, Trägheitsnavigation und Terrainverfolgeradar steuern und eine 450-kg-Bombe ins Ziel bringen, schwer zu erkennen und abzufangen – gerade, weil sie meist in weniger als 200, ja weit unter 50 Meter Höhe fliegen. Die Russen aber haben teils extrem moderne Luftabwehrraketen in Syrien, bei ihren Basen in Tartus und Hmeimim nahe Latakia. Die können bis 400 km weit fliegen und decken weite Teile der Region ab, gewiss die Einflugschneise der vom Meer kommenden Tomahawks. Die starken Systeme S-300VM (Nato-Code: SA-23 Gladiator) und S-400 Triumf (SA-21 Growler) sind ungeachtet ihrer Reichweiten auch gegen sehr tief fliegende Ziele wie Tomahawks tauglich, wobei man die Trefferwahrscheinlich dabei im Westen auf mindestens 70 Prozent taxiert.
Kräftige Abschussraten drohen
Da die Amerikaner wohl keine Flugzeuge zur elektronischen Kriegsführung einsetzten, die Radar hätten stören können, wären merkliche Verluste unter den Flugkörpern gewiss gewesen. Doch ist nicht exakt bekannt, wie viele FlaSysteme die Russen in Syrien haben und wie viele davon stets startbereite Raketen haben.
Geht man bei S-400 von einem Bataillon mit acht Startern mit gesamt 32 Raketen aus, wobei die Bereitschaft wegen der Umstände (noch kein offener Luftkrieg) gemindert ist, sagen wir 50 Prozent, hätten 16 Raketen starten können. Bei 70 Prozent kill probability hätte es elf der 59 Tomahawks treffen können, fast 20 Prozent. Aber das sind Gedankenspiele. Vorerst.