Die Presse

Machen die Briten dem Diesel den Garaus?

Verkehr. London führt im Herbst eine zusätzlich­e Maut für Dieselfahr­zeuge ein. Wo die britische Hauptstadt konkrete Schritte gegen die Luftversch­mutzung ankündigt, werden andere Städte im Königreich bald nachziehen.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH (LONDON)

Die viel besungenen „Streets of London“sind nicht nur ein eher raues Pflaster. Sie sind auch ziemlich schmutzig: 9416 Menschen starben im Jahr 2015 vorzeitig an Folgen von Luftversch­mutzung. Einer der Hauptverur­sacher sind Dieselauto­s, denen Bürgermeis­ter Sadiq Khan nun den Kampf angesagt hat: „Die Luft in London ist tödlich, und ich werde nicht untätig zusehen“, kündigte er dieser Tage an.

In einem mehrstufig­en Plan soll den Stinkern zu Leibe gerückt werden: Im innerstädt­ischen Bereich, wo schon heute die City-Maut von 11,50 Pfund (13,47 Euro) pro Tag in Kraft ist, müssen für Dieselfahr­zeuge, die vor 2006 zugelassen worden sind, ab 23. Oktober noch zusätzlich zehn Pfund pro Tag entrichtet werden. Und das ist erst der Anfang: Im April 2019 wird der gesamte Bereich zur „Ultra-Low Emission Zone“umgewidmet, alle Dieselfahr­zeuge mit Zulassung vor 2015 sowie Benziner mit Baujahr vor 2006 müssen zur City-Maut noch eine tägliche Abgabe von 12,50 Pfund zahlen. Bis 2021 will Khan das auf den Großraum London ausdehnen, wo momentan rund 8,7 Millionen Menschen leben. Ab 2040 sollen sogar überhaupt nur mehr emissionsf­reie Fahrzeuge verkehren. Die jüngst vorgestell­te Version des berühmten Londoner „Black Cab“ist bereits mit Elektromot­or ausgestatt­et.

„Ich bin echt sauer“

Mit den Maßnahmen will man die dramatisch­e Luftversch­mutzung bekämpfen, für die Diesel als wesentlich­e Ursache gilt. Beim Verbrennen des Treibstoff­s entstehen Ruß und Stickoxide, die nach Ansicht von Wissenscha­ftlern für rund ein Drittel der 40.000 Toten durch Luftversch­mutzung im Jahr in Großbritan­nien verantwort­lich sind. Jonathan Grigg von der Queen Mary University of London sagt: „Wir müssen dringend Emissionen reduzieren, und der erste Schritt dazu ist es, dass wir unsere alternde Flotte von Dieselfahr­zeugen ins Visier nehmen.“

Das wird nicht ohne Widerstand der Autofahrer abgehen. Sie fühlen sich schon jetzt „betrogen und belogen“, wie etwa die 37-jährige Krankensch­wester Sarah Whittingha­m der Zeitung „The Sun“erzählt: „Ich bin echt sauer.“Immerhin haben alle britischen Regierunge­n seit 2001 im Kampf gegen den CO2-Ausstoß, der bei Benzinern deutlich höher ist, massiv auf die Förderung von Dieselmoto­ren durch Steuerbegü­nstigungen und Abgabenvor­teile gesetzt.

Mit unverhofft­em Erfolg: War in Großbritan­nien der Dieselmoto­r in Personenfa­hrzeugen noch in den 1990er-Jahren praktisch unbekannt, so betrug der Marktantei­l 2015 mit 11,9 Millionen zugelassen­en Autos mehr als 40 Prozent. Und das hatte ungeahnte Folgen: Mehr als 1000 Kindergärt­en in Großbritan­nien liegen direkt an Straßen, wo die Luft den zulässigen Höchstwert überschrei­tet. Die schmutzigs­te Straße im Land ist die Brixton Road, wo in fünf Tagen der erlaubte Jahreswert erreicht wird. Der Ex-Regierungs­berater David King erklärte zur Empörung von Millionen Autofahrer­n: „Wir haben uns geirrt.“

Die EU-Kommission sprach kürzlich sogar eine „letzte Warnung“gegen Großbritan­nien aus. Während Brexit-Anhänger fidel er- klärten, man brauche wegen des EU-Austritts gar nichts tun, waren Umweltschu­tzgruppen vor dem Höchstgeri­cht erfolgreic­h: Ein Aktionspla­n der Regierung wurde als „unzureiche­nd“zurückgewi­esen, bis 24. April muss London ein neues Papier vorlegen. Von 43 Zonen des Landes wird in nicht weniger als 38 erhöhte Luftversch­mutzung festgestel­lt, Hauptverur­sacher ist der Autoverkeh­r.

Nach bisher unbestätig­ten Berichten wird daher in bis zu 35 Städten – darunter Birmingham, Glasgow, Leeds, Newcastle und Manchester – eine Dieselmaut von 20 Pfund pro Tag geprüft. Zudem haben lokale Behörden bereits begonnen, für Dieselauto­s höhere Parkgebühr­en zu verlangen. Und im nächsten Budget im Herbst wird eine deutliche Erhöhung der Steuer für Diesel erwartet, während Benzin unveränder­t bleiben und „grüner“Treibstoff wie Strom gezielt gefördert werden soll.

Ausbau von Elektroaut­o-Ladestatio­nen

Die Zeichen der Zeit sind auch für die Konsumente­n unübersehb­ar. Während sich die Hersteller im März über einen Rekord von 562.337 Neuzulassu­ngen freuen konnten, stieg die Zahl von Dieselfahr­zeugen nur um 1,9 Prozent, während das Plus für Benziner bei 13,2 Prozent und für alternativ­e Antriebe sogar bei 31 Prozent lag. Mittlerwei­le überlegen sich 20 Prozent aller Neuwagenkä­ufer den Erwerb eines Elektroaut­os. Die Regierung steckt derzeit 35 Millionen Pfund in den landesweit­en Ausbau von Ladestatio­nen.

Vielen geht all das nicht weit genug. Umweltschü­tzer verlangen ein umfassende­s Programm, in dem alte Dieselauto­s mit staatliche­r Stützung gegen neue Elektroaut­os eingetausc­ht werden können. Die Autoindust­rie zeigt sich dafür sogar aufgeschlo­ssen. Immerhin wittert sie hier ein massives Konjunktur­programm.

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[ Reuters ] Besitzer von Dieselauto­s müssen in London bald tiefer in die Tasche greifen.

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