EU bei Migration besser als ihr Ruf
Eine Studie belegt, dass die EU-Institutionen erfolgreich zur Eindämmung der Flüchtlingskrise beigetragen haben. Das Hauptproblem liegt bis heute eher bei säumigen Mitgliedstaaten.
Wien. Die Kritik ist massiv: Nichtregierungsorganisationen werfen der EU inhumanes Vorgehen gegen Flüchtlinge vor. Nationale Politiker wie der ungarische Ministerpräsident, Viktor Orban,´ machen die EU-Institutionen für den illegalen Zuzug von Terroristen verantwortlich. Aber ist es wirklich so, dass vor allem die EU-Kommission nicht ausreichend schnell und umfassend auf die Flüchtlingskrise reagiert hat? Eine Studie der CDUnahen Konrad-Adenauer-Stiftung kommt zu einem anderen Schluss: „Trotz einiger offener Fragen hat die EU in vielen Bereichen Handlungsfähigkeit bewiesen und erste Erfolge erzielt.“Um dies zu überprüfen, fasst „Die Presse“die aktuelle Lage zusammen, zeigt Erfolge und Misserfolge auf:
1 Ankommende werden zu fast 100 Prozent registriert
Auf die untragbare Situation von 2015, als Migranten ohne Registrierung und Prüfung eines Asylgrunds über die Türkei und den Westbalkan nach Mitteleuropa weitergezogen sind, hat die EU-Kommission reagiert. Sie hat den Aufbau von Hotspots auf griechischen Inseln und in Süditalien organisiert. Mittlerweile werden laut der Konrad- Adenauer-Stiftung „nahezu 100 Prozent“aller Neuankommenden registriert. Das heißt, sie werden mit Fingerabdruck erfasst und in einer Datenbank gespeichert. Auch die Chancen auf Asyl werden besprochen. Die EU-Grenzschutzagentur Frontex und das EU-Asylhilfsbüro EASO haben dafür Hunderte Experten bereitgestellt. Auf Lesbos sind beispielsweise 137 Frontex-Mitarbeiter, Dutzende weitere Hilfskräfte aus den Mitgliedstaaten und rund 100 EASO-Mitarbeiter eingesetzt.
2 Kontrolle der Außengrenze wurde deutlich verstärkt
Auf Vorschlag der EU-Kommission und durch Beschluss aller Mitgliedstaaten sowie des EU-Parlaments wurde Frontex zu einer operativen Grenzschutzorganisation aufgewertet. Gegenwärtig stellt die Agentur 1550 Beamte, die zur Unterstützung von Mitgliedstaaten zum Einsatz kommen. Die Kontrolle der Außengrenze konnte auf diese Weise innerhalb weniger Monate verstärkt werden, blieb aber lückenhaft. Das hat zum einen mit der immensen Länge der zu kontrollierenden Küsten zu tun. Zum anderen mit fehlenden Ressourcen, die laut der EU-Kommission von den Mitgliedstaaten nicht ausreichend bereitgestellt wurden. Frontex hat zudem seit 2016 auch die Rettung von in Seenot geratenen Migranten übernommen. In diesem Zeitraum wurden rund 50.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet.
3 Partnerschaften mit Herkunftsländern ausgeweitet
Die EU-Kommission hat gemeinsam mit engagierten Mitgliedstaaten Partnerschaftsverträge mit Transitländern abgeschlossen. Neben dem Flüchtlingsabkommen mit der Türkei 2016, das den Zuzug nach Griechenland deutlich reduziert hat, wurden Abkommen mit Niger, Nigeria, Mali, Coteˆ d’Ivoire, Senegal, Libanon, Jordanien und Äthiopien vorbereitet oder bereits abgeschlossen. Sie reichen von humanitärer Hilfe bis zur wirtschaftlichen Entwicklung. Im Gegenzug müssen die Länder bei der Reduzierung der Flüchtlingswelle helfen. In Niger hat diese Kooperation beispielsweise dazu beigetragen, dass 4400 irreguläre Migranten abgefangen sowie 102 Menschenschmuggler vor Gericht gestellt wurden. Probleme gibt es nach wie vor bei der notwendigen Partnerschaft mit Libyen, da es dort keine Regierung gibt, die das gesamte Territorium kontrolliert. Dennoch wurden auch hier Maßnahmen ergriffen, um etwa die libysche Küstenwache zu unterstützen.
4 Manko bei Rückführung bleibt bestehen
Das größte Manko bleibt die Rückführung der nicht anerkannten Flüchtlinge. Zwar wurde ein europäischer Pool aus 690 Beobachtern und Begleitpersonen bereitgestellt, um die Rückführungen zu unterstützen, doch bleiben die Zahlen gering. Zwischen Oktober und Ende Jänner wurden von Frontex insgesamt 78 Rückführungsaktionen durchgeführt. Sie brachten 3421 irreguläre Migranten in ihr Ursprungsland zurück. Im gleichen Zeitraum kamen aber in Italien und Griechenland 33.500 neu an.
5 Ausmaß und Aufteilung bleiben problematisch
Zwar haben alle Maßnahmen der EU und die bilateral initiierte Schließung der Westbalkanroute den Strom an Migranten eingedämmt. Doch allein seit Jänner kamen laut UN-Flüchtlingshochkommissariat wieder über 28.000 Menschen in der EU an – 905 starben im Mittelmeer. Die von allen Mitgliedstaaten beschlossene Aufteilung von insgesamt 160.000 Asylwerbern aus Italien und Griechenland hat nicht funktioniert. Nach wie vor ist mangels Solidarität unter den Mitgliedstaaten die Belastung einzelner Länder besonders groß.