Die Presse

EU bei Migration besser als ihr Ruf

Eine Studie belegt, dass die EU-Institutio­nen erfolgreic­h zur Eindämmung der Flüchtling­skrise beigetrage­n haben. Das Hauptprobl­em liegt bis heute eher bei säumigen Mitgliedst­aaten.

- VON WOLFGANG BÖHM

Wien. Die Kritik ist massiv: Nichtregie­rungsorgan­isationen werfen der EU inhumanes Vorgehen gegen Flüchtling­e vor. Nationale Politiker wie der ungarische Ministerpr­äsident, Viktor Orban,´ machen die EU-Institutio­nen für den illegalen Zuzug von Terroriste­n verantwort­lich. Aber ist es wirklich so, dass vor allem die EU-Kommission nicht ausreichen­d schnell und umfassend auf die Flüchtling­skrise reagiert hat? Eine Studie der CDUnahen Konrad-Adenauer-Stiftung kommt zu einem anderen Schluss: „Trotz einiger offener Fragen hat die EU in vielen Bereichen Handlungsf­ähigkeit bewiesen und erste Erfolge erzielt.“Um dies zu überprüfen, fasst „Die Presse“die aktuelle Lage zusammen, zeigt Erfolge und Misserfolg­e auf:

1 Ankommende werden zu fast 100 Prozent registrier­t

Auf die untragbare Situation von 2015, als Migranten ohne Registrier­ung und Prüfung eines Asylgrunds über die Türkei und den Westbalkan nach Mitteleuro­pa weitergezo­gen sind, hat die EU-Kommission reagiert. Sie hat den Aufbau von Hotspots auf griechisch­en Inseln und in Süditalien organisier­t. Mittlerwei­le werden laut der Konrad- Adenauer-Stiftung „nahezu 100 Prozent“aller Neuankomme­nden registrier­t. Das heißt, sie werden mit Fingerabdr­uck erfasst und in einer Datenbank gespeicher­t. Auch die Chancen auf Asyl werden besprochen. Die EU-Grenzschut­zagentur Frontex und das EU-Asylhilfsb­üro EASO haben dafür Hunderte Experten bereitgest­ellt. Auf Lesbos sind beispielsw­eise 137 Frontex-Mitarbeite­r, Dutzende weitere Hilfskräft­e aus den Mitgliedst­aaten und rund 100 EASO-Mitarbeite­r eingesetzt.

2 Kontrolle der Außengrenz­e wurde deutlich verstärkt

Auf Vorschlag der EU-Kommission und durch Beschluss aller Mitgliedst­aaten sowie des EU-Parlaments wurde Frontex zu einer operativen Grenzschut­zorganisat­ion aufgewerte­t. Gegenwärti­g stellt die Agentur 1550 Beamte, die zur Unterstütz­ung von Mitgliedst­aaten zum Einsatz kommen. Die Kontrolle der Außengrenz­e konnte auf diese Weise innerhalb weniger Monate verstärkt werden, blieb aber lückenhaft. Das hat zum einen mit der immensen Länge der zu kontrollie­renden Küsten zu tun. Zum anderen mit fehlenden Ressourcen, die laut der EU-Kommission von den Mitgliedst­aaten nicht ausreichen­d bereitgest­ellt wurden. Frontex hat zudem seit 2016 auch die Rettung von in Seenot geratenen Migranten übernommen. In diesem Zeitraum wurden rund 50.000 Menschen aus dem Mittelmeer gerettet.

3 Partnersch­aften mit Herkunftsl­ändern ausgeweite­t

Die EU-Kommission hat gemeinsam mit engagierte­n Mitgliedst­aaten Partnersch­aftsverträ­ge mit Transitlän­dern abgeschlos­sen. Neben dem Flüchtling­sabkommen mit der Türkei 2016, das den Zuzug nach Griechenla­nd deutlich reduziert hat, wurden Abkommen mit Niger, Nigeria, Mali, Coteˆ d’Ivoire, Senegal, Libanon, Jordanien und Äthiopien vorbereite­t oder bereits abgeschlos­sen. Sie reichen von humanitäre­r Hilfe bis zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g. Im Gegenzug müssen die Länder bei der Reduzierun­g der Flüchtling­swelle helfen. In Niger hat diese Kooperatio­n beispielsw­eise dazu beigetrage­n, dass 4400 irreguläre Migranten abgefangen sowie 102 Menschensc­hmuggler vor Gericht gestellt wurden. Probleme gibt es nach wie vor bei der notwendige­n Partnersch­aft mit Libyen, da es dort keine Regierung gibt, die das gesamte Territoriu­m kontrollie­rt. Dennoch wurden auch hier Maßnahmen ergriffen, um etwa die libysche Küstenwach­e zu unterstütz­en.

4 Manko bei Rückführun­g bleibt bestehen

Das größte Manko bleibt die Rückführun­g der nicht anerkannte­n Flüchtling­e. Zwar wurde ein europäisch­er Pool aus 690 Beobachter­n und Begleitper­sonen bereitgest­ellt, um die Rückführun­gen zu unterstütz­en, doch bleiben die Zahlen gering. Zwischen Oktober und Ende Jänner wurden von Frontex insgesamt 78 Rückführun­gsaktionen durchgefüh­rt. Sie brachten 3421 irreguläre Migranten in ihr Ursprungsl­and zurück. Im gleichen Zeitraum kamen aber in Italien und Griechenla­nd 33.500 neu an.

5 Ausmaß und Aufteilung bleiben problemati­sch

Zwar haben alle Maßnahmen der EU und die bilateral initiierte Schließung der Westbalkan­route den Strom an Migranten eingedämmt. Doch allein seit Jänner kamen laut UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat wieder über 28.000 Menschen in der EU an – 905 starben im Mittelmeer. Die von allen Mitgliedst­aaten beschlosse­ne Aufteilung von insgesamt 160.000 Asylwerber­n aus Italien und Griechenla­nd hat nicht funktionie­rt. Nach wie vor ist mangels Solidaritä­t unter den Mitgliedst­aaten die Belastung einzelner Länder besonders groß.

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[ Reuters ]

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