Die Presse

Stärkerer Blick auf Gewalttäte­r

Familie. Jede fünfte Straftat findet zu Hause statt. Um dem entgegenzu­wirken, sollen neben Opfern auch Täter intensiv beraten werden. Vorarlberg führt ein Pilotproje­kt durch.

- VON ANNA THALHAMMER

Wien. Es war ein Aluminiumb­esenstiel, der 2011 das Land entsetzte. Mit diesem wurde der dreijährig­e Cain von seinem Stiefvater tagelang brutal misshandel­t – bis der Bub schließlic­h qualvoll starb. Der Gerichtsme­diziner gab bei der Verhandlun­g in Feldkirch (Vorarlberg) zu Protokoll, dass beide „Oberschenk­el und Gesäßhälft­en eine einzige Trümmerzon­e“gewesen seien. Der damals 27-Jährige wurde zu lebenslang­er Haft verurteilt.

Cains Tod war die Folge von häuslicher Gewalt – weltweit gesehen die häufigste Todesursac­he für Frauen und Kinder noch vor Krebs und Verkehrsun­fällen. Auch in Österreich findet ein Fünftel aller Gewalttate­n in den eigenen vier Wänden statt. 2015 wurden 8261 Betretungs­verbote und 2391 einstweili­ge Verfügunge­n ausgesproc­hen – Tendenz steigend.

Täterberat­ung

Das Land Vorarlberg zog aus dem Fall Cain Konsequenz­en und initiierte gemeinsam mit der KlartextIf­S-Gewaltbera­tung ein Pilotproje­kt, das sich der Täterberat­ung widmet. Die Ziele: Prävention und Deeskalati­on. Die Idee: Nach Wegweisung­en wird der Beschuldig­te gefragt, ob seine Telefonnum­mer an die Beratungss­telle weitergege­ben werden darf. Falls er zustimmt, wird ihm innerhalb von 72 Stunden psychologi­sche Hilfe angeboten. Während Opfern nach Gewalttate­n Anlaufstel­len wie Frauenhäus­er, Hotlines oder Beratungss­tellen zur Verfügung stehen, gibt es diese für Täter kaum.

Gerade nach Wegweisung­en befinden sich diese aber in einer Krisensitu­ation, wissen oft nicht, wohin sie gehen sollen, sind verzweifel­t – und neigen dazu, sich als missversta­ndene Opfer zu sehen. Das kann in extremen Fällen zu weiteren Taten führen. So war etwa auch der Amokfahrer in Graz, der im Juli 2015 drei Menschen tötete und Dutzende verletzte, mehrmals von seiner Familie weggewiese­n worden – dennoch hatte man ihn nicht weiter beobachtet. Das Land Steiermark nahm sich damals vor, Strategien zu entwickeln, wie Weg- gewiesene künftig besser an Betreuungs­einrichtun­gen vermittelt werden können.

In Vorarlberg funktionie­rt das schon gut: Rund ein Drittel der Weggewiese­nen begibt sich freiwillig in Therapie. „Wenn sich Täter nicht mit ihrem Verhalten auseinande­rsetzen, dann bleiben sie gefährlich – ein Großteil wird rückfällig“, sagt Arno Dalpra, Leiter der IFS-Gewaltbera­tung.

Ob die Rückfallsq­uote nach einer Beratung niedriger ist, könne nur schwer überprüft werden. „Bei denen, die lang bei uns sind, wissen wir aber schon, dass es immer wieder Krisen gibt – aber viele melden sich bei unserer Hotline, bevor sie wieder Gewalt anwenden. Man sucht dann andere Lösungen für den Konflikt.“Manche Klienten kommen nur zu einigen Sitzungen, andere sind bis zu zwei Jahre in Betreuung. Rund 95 Prozent der Klienten sind Männer – aber auch 15 Prozent Frauen, die ihren Partnern und Kindern gegenüber gewalttäti­g werden. Österreich­weit gesehen, waren es 2015 rund 85 Prozent Frauen, die in Opferschut­zeinrichtu­ngen beraten wurden. 92,4 Prozent der Gefährder waren männlich.

Gesetzesän­derung gefordert

Der grüne Justizspre­cher, Albert Steinhause­r, will, dass das Vorarlberg­er Pilotproje­kt auf ganz Österreich ausgeweite­t wird, und stellt nun einen dementspre­chenden Antrag. Damit das umgesetzt werden kann, ist neben Geld auch eine Gesetzesän­derung nötig: Derzeit werden Opfer nach polizeilic­her Interventi­on verpflicht­end von Beratungse­inrichtung­en kontaktier­t – Täter nicht. Der Grund: Daten dürfen wegen der Unschuldsv­ermutung nicht weitergege­ben werden.

„Eine Tat ist in Österreich erst eine, wenn es eine Verurteilu­ng gibt – aber die Handlung ist schon viel früher passiert, und je eher sich ein Täter damit auseinande­rsetzt, desto besser“, sagt Steinhause­r. Was den Opferschut­z betreffe, sei Österreich gut aufgestell­t, bei den Tätern gebe es Nachholbed­arf – immerhin habe man bereits 1997 das erste Mal eine derartige Gesetzesän­derung angedacht.

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