Die Presse

Pippi Langstrump­fs süß-saure Sinnsuche

Streamingt­ipps. Der deutsche Film „Tiger Girl“zeigt junge Frauen, wie sie die Gesellscha­ft ungern sieht: Schlagfert­ig, selbstbewu­sst, ausgeflipp­t. „Die Presse“empfiehlt zum Start fünf Storys über Rotzmädche­n und Riot Grrrls.

-

Was ist nur los mit der Jugend von heute? Keine Werte, keine Perspektiv­e, kein Respekt. Hedonistis­ch, zügellos, vulgär. Früher hätt’s das nicht gegeben, früher gab’s klare Grenzen, früher glaubte man noch an etwas. Woran glaubt eigentlich die Generation Yolo? Tja. Harmony Korine, Enfant terrible des US-Kunstkinos, kennt die Antwort auch nicht. Aber immerhin ist die Frage bei ihm mehr als nur rhetorisch. Statt wie viele seiner Kollegen ein kulturpess­imistische­s Lamento über die moralische Verkommenh­eit der Jugend anzustimme­n, begeg- net er dem Nachwuchs auf Augenhöhe: Sein Film „Spring Breakers“stürzt sich in die Exzesse der US-College-Frühlingsf­erienkultu­r, saugt ihre Ikonografi­e auf wie ein Schwamm und nutzt Terrence Malicks traumartig­e Panta-rhei-Ästhetik, um das Spirituell­e daran hervorzuke­hren.

Vier Bikini-Girls auf Sinnsuche (Disney-Channel-Absolventi­nnen Vanessa Hudgens, Selena Gomez und Ashley Benson sowie Korines Frau, Rachel) pilgern zum Dauerfeier­n nach Florida, wo ein Macho-Rapper (fantastisc­h: James Franco) sie unter seine Fittiche nimmt. Sein Mantra? Spring Break Forever. Aber nichts währt ewig. Strittig, ob das Ganze als Emanzipati­onsfantasi­e funktionie­rt – berücken und berühren tut’s auf jeden Fall. Jamie Hewlett and Alan Martins „Tank Girl“-Comics machten ihre freche Titelheldi­n – eine postapokal­yptische Pippi Langstrump­f im Punk-Gewand – in England zur Gegenkultu­r-Galionsfig­ur der späten Achtziger. Die Großbudget­Verfilmung von Rachel Talalay ist zwar kein Meisterwer­k und streckenwe­ise ziemlich albern, aber die leichtblüt­ige Anarchie der Vorlage scheint darin immer noch durch. In der Zukunftswü­stenei werden alle Wasservorr­äte von einem bösen Konzern kontrollie­rt. Tank Girl (Lori Petty) setzt sich gegen ihn – und allerlei präpotente­s Männergeha­be – zur Wehr. Malcolm McDowell spielt dabei den Bösewicht, Naomi Watts ist in einer ihrer ersten größeren Rollen zu sehen. Clueless, also ahnungslos, wirkt Beverly-Hills-Prinzessch­en Cher (Alicia Silverston­e) eigentlich nicht: Sie ist reich, attraktiv, populär und trotz ihrer Naivität ziemlich bauernschl­au. Voller Optimismus und Lebenslust tänzelt sie durchs Highschool-Biotop, im- merzu bestrebt, andere glücklich zu machen – meist als heimliche Kupplerin. Aber irgendwie geht es im Leben auch um mehr als nur um Shoppen, Status und soziale Spielchen – oder nicht? Amy Heckerling­s Kultfilm versetzt Jane Austens „Emma“ins sonnige Los Angeles der Neunziger und nähert sich seinen klischeebe­hafteten Rich-Kid-Lebenswelt­en mit großer Empathie – und ebenso viel Humor. Ein kleines Popkulturw­under. Starke, unabhängig­e Frauen sind im Genrekino zum pseudofemi­nistischen Stereotyp verkommen. Oft werden sie auf männermord­ende Femmes fatales in hautengen Latexanzüg­en reduziert. Adam Wingards toller Low-Budget-Thriller „You’re Next“flirtet mit dieser Konvention, umschifft aber deren Fallstrick­e: Hauptfigur Erin (Sharni Vinson) könnte zwar jedem x-beliebigen Indie-Drama entstammen, doch als ihr Familientr­eff von maskierten Killern angegriffe­n wird, packt sie die Survival-Skills aus und schlägt zurück – pragmatisc­h und effizient, mit Haushaltsg­egenstände­n und improvisie­rten Todesfalle­n. Dass sie dabei verwundbar und menschlich bleibt, ist das größte Verdienst dieses Films. „Wos hostn scho wieder für a Gschau?“, fragt der Vater seine Tochter, als sie beim Abendessen trüben Blicks in den Nockerln stochert. Ein den Umständen entspreche­ndes, möchte man ihm antworten. Kleinbürge­rmief, VorstadtTr­istesse und Außenseite­rdasein haben die Lebenslust der 15-jährigen Rita (Barbara Osika) im Keim erstickt. Dennoch regt sich Widerstand. Rita rebelliert, wie man das in Österreich so macht: heimlich und verstohlen, ohne wirklich aufzufalle­n, kein klares Ziel vor Augen. Ein jämmerlich­er Hieb mit dem Turnsacker­l gegen die vorbeilauf­ende Rivalin: Das ist ihre Vorstellun­g eines Befreiungs­schlags. Immer öfter stiehlt sie sich aus der katholisch­en Schule davon, sucht Erlösung im Flirt mit dem viel älteren Busfahrer oder im grenzübers­chreitende­n Spiel mit dem viel zu jungen Nachbarsbu­ben. Dass das nicht lang gut geht, versteht sich von selbst. Jessica Hausners Langfilmde­büt ist trotz deutlich spürbaren Haneke-Einflusses die ungeschlif­fenste (und darob vielleicht eindringli­chste) Arbeit der Regisseuri­n: schonungsl­os und präzise als Milieuskiz­ze, ungemütlic­h abgehackt im Schnitt. Nur die periodisch­en, abrupten Zooms tragen ein Freiheitsv­ersprechen in sich. Eingelöst wird es nie.

 ?? [ Wild Bunch Germany] ?? „Spring Breakers“mit Vanessa Hudgens, James Franco, Selena Gomez.
[ Wild Bunch Germany] „Spring Breakers“mit Vanessa Hudgens, James Franco, Selena Gomez.

Newspapers in German

Newspapers from Austria