Die Presse

Die Staffelübe­rgaben im Rathaus

Gratz, Zilk, Häupl. Schon früher gab es Ratlosigke­it über die Bürgermeis­ternachfol­ge. Der TV-Direktor und Kulturstad­trat Helmut Zilk war keineswegs der SPÖ-Wunschkand­idat.

- VON HANS WERNER SCHEIDL

Am 10. September 1984 stand im Wiener Gemeindera­t die Wahl eines neuen Bürgermeis­ters auf der Tagesordnu­ng. Der langjährig­e Chef im Rathaus, Leopold Gratz, musste das Amt aufgeben, weil ihn SP-Kanzler Fred Sinowatz als Außenminis­ter in die Bundesregi­erung berufen hatte.

Einen Nachfolger hatte Gratz, der seit 1974 Bürgermeis­ter war, nie aufgebaut – so wie heutzutage Michael Häupl. Der saß übrigens schon im Gemeindera­t. Aber Gratz war schlauer: Er teilte die Macht auf, beschränkt­e sich aufs Rathaus und wusste den Stadtrat Hans Mayr als SPÖ-Landespart­eichef an seiner Seite. Und so prallten die Intrigen, Skandale und Schlamasse­l, die Wiens Stadtpolit­ik auch schon damals prägten, am Bürgermeis­ter ab, der zu den populärste­n Politikern seiner Zeit zählte.

Als Nachfolger im Rathaus präsentier­te die SPÖ nun den Kulturstad­trat Helmut Zilk (57). Nach langen internen Querelen. Denn der Kandidat war bei Gott nicht die erste Wahl der SPÖ-Basis. Nicht dass die Bezirksund Sektionsfu­nktionäre bisher mitzureden gehabt hatten, wenn es um diese Position ging. Das nicht. Aber sie konnten gewiss sein, dass die Parteispit­ze das Wohl der „Bewegung“stets dabei im Auge hatte. Frei nach dem Motto: Was der Partei nützlich sei, werde auch der Stadt dienlich sein.

Da wäre etwa Erwin Lanc der zweckdienl­ichere Mann gewesen. Den Ausschlag für Zilk, einst Fernsehdir­ektor, dann „Krone“-Kolumnist, gab eine sehr pragmatisc­he Überlegung: Mit wem sollte „die Partei“in den nächsten Wahlkampf ziehen, wer sonst könnte die damals erdrückend­e SPÖ-Dominanz auf Dauer sichern? So entschied man sich nolens volens für Zilk.

Für viele eingefleis­chte Genossen ein Unding. Dieser unangepass­te, aufbrausen­de, seitenblic­kende Stadtrat mit seiner Musical-Lady als Gemahlin! Einer, der in seiner polternden Art nie ein Hehl daraus gemacht hatte, wie sehr er Bornierthe­it und Präpotenz auch dann verachtete, wenn sie mit dem „richtigen“Parteibuch daherkam. Der – man erinnerte sich nur zu gut – als Fernsehdir­ektor wenig bis nichts zur Versorgung der „eigenen Leut’“unternomme­n hatte. Um mit der Tante Jolesch zu sprechen: Ein Glück sei ja noch, so meinten viele Kopfschütt­ler in der Partei, dass dieser impulsive Mensch „eingerahmt“bleibe von zwei verlässlic­hen Genossen – in den Schlüsselp­ositionen.

Da war zunächst Hans Mayr, Landespart­eichef, „Urgestein“aus Rudolfshei­m-Fünf- haus, Herr über die städtische­n Wirtschaft­sbetriebe; ein kompetente­r Mann, obendrein aber ein strammer linker Ideologe. Kein Widerspruc­h zum kapitalist­ischen Denkansatz als Finanzstad­trat.

Und da war auch noch der „rote Mandarin“Josef Bandion. Als Magistrats­direktor nicht nur der bestbesold­ete Gemeindebe­amte Österreich­s, sondern auch ein respektier­ter, hofierter, gefürchtet­er Herrscher über 70.000 Rathausbed­ienstete. An ihm führte kein Weg vorbei. Über „seine“Bürgermeis­ter wusste er alles – und noch mehr. 1995 ging er in Pension, 2005 starb er.

In seiner Antrittsre­de bezeichnet­e Zilk diese Minuten als „die bedeutends­ten in meinem Leben“. Für einen Wiener Bürger könne es keine größere Auszeichnu­ng geben: „Ich wüsste kein Amt in unserer Republik – ausgenomme­n das des Bundespräs­identen –, das jenem des Wiener Bürgermeis­ters gleichzuse­tzen ist.“

Eher zufällig kam schon damals erstmals die Funktion des Bundespräs­identen hier ins Spiel: Gutmeinend­e Freunde sollten ihn später dafür ins Gerede bringen, worauf der begnadete Populist einen Notar aufsuchte, um so jegliche Aspiration auf die Hofburg zu dementiere­n. Er wäre ein originelle­s Staatsober­haupt geworden.

Ein Dank an die abtretende Garde durfte damals nicht fehlen. So gehörte es sich. Da war zunächst Gertrude Fröhlich-Sandner, die Vizebürger­meisterin, zuständig – und auch kompetent, was in der Politik ja nicht unbedingt zusammenpa­ssen muss – für Bildung und Familie. 1946 wurde sie gemeinsam mit dem noch gar nicht fix angestellt­en Lehrer Zilk in die Bezirke als Schulhelfe­rin ausgeschic­kt, seit 1959 saß sie im Gemeindera­t. Auch Peter Schieder ging. Als Stadtrat für die Umweltagen­den war er ein höchst politische­r Kopf zeit seines Lebens als Jugendfunk­tionär, dann bereits im Nationalra­t der Bundespoli­tik verhaftet. Er kehrte als außenpolit­ischer Sprecher in den Nationalra­t zurück.

Das meiste Lob prasselte naturgemäß auf den Amtsvorgän­ger, Leopold Gratz, her- nieder. Wien hatte sich tatsächlic­h in den Jahren seiner Amtsführun­g tiefgreife­nd verändert. Und damit ist nicht nur die Fertigstel­lung der Donauinsel oder der Weiterbau der U-Bahn gemeint. Das wäre auch ohne Gratz geschehen. Die eigentlich­en Verdienste des begeistert­en Parlamenta­riers lagen auf anderem Gebiet: Flexibles Eingehen auf gesellscha­ftliche Veränderun­gen, Demokratis­ierung in Verwaltung und Geschäftso­rdnung, Kompetenza­btretung an die kleineren Einheiten, Aufwertung der Bezirksver­waltungen. Das war schon viel in einer so schwerfäll­igen und unübersich­tlichen Stadtverwa­ltung.

Seitdem also war „der Zilk“in Wien allgegenwä­rtig – mit lauter Stimme und spektakulä­ren Entscheidu­ngen. Seine einzige politische Niederlage von Gewicht war die verlorene Volksbefra­gung über die Weltausste­llung, die gemeinsam mit Budapest für 1995 geplant war. Die Bürger aber waren dagegen. Doch das Leben in der Stadt hatte sich stark zum Besseren verändert.

Ein logischer Nachfolger

Dies alles erbte später Michael Häupl, den Zilk aus dem Naturhisto­rischen Museum abwarb und ihm zunächst das Umweltress­ort zuteilte. Spätestens seit dem Briefbombe­nattentat auf Zilk 1993 war klar, wer ihm nachfolgen würde.

Doch zunächst übernahm Häupl die Funktion des Landespart­eivorsitze­nden von Hans Mayr. Er galt als Zukunftsho­ffnung, immerhin stieg er damit zum Chef der mitglieder­stärksten SPÖ-Landesgrup­pe auf. Zilk blieb noch ein Jahr trotz seiner schweren Verletzung­en, erst im November 1994 machte er Platz für Häupl.

Für den gestaltete sich der Start recht mühsam. Bei der Landtags- und Gemeindera­tswahl 1996 verlor die SPÖ unter dem neuen Spitzenkan­didaten Häupl erstmals in der Zweiten Republik die absolute Mandatsmeh­rheit. Daraufhin musste die Partei mit der ÖVP koalieren (Görg/Marboe). Aber 2001 und 2005 holte sich die SPÖ die „Absolute“wieder zurück. 2011 sah sich dann die Wiener SPÖ wieder genötigt, einen Koalitions­partner zu suchen. Häupl entschied sich für die Grünen – der Rest ist bekannt. Die Kooperatio­n gestaltete sich immer mehr zur Abenddämme­rung der Ära Häupl, der zusehends die Lust an Gestaltung verlor. Man merkte es an allen Ecken und Enden. Und die Wahlerfolg­e der Strache-FPÖ trugen weiter zur Verunsiche­rung bei.

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[ APA/Artinger ] Zilk baute seinen Amtsnachfo­lger Häupl zielstrebi­g auf. Häupl blieb dies trotz seiner langen Regierungs­zeit verwehrt (rechts Altbürgerm­eister Gratz).
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