Die Presse

Hoffen auf den 105. Geburtstag: Vom Wert politische­r Verspreche­n

Vor genau drei Jahren kündigten die Seniorenve­rtreter der Regierungs­parteien eine Initiative an. Funkstille. Die Sozialbüro­kratie behält ihren Unterhaltu­ngswert.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Anneliese Rohrer ist Journalist­in in Wien: Reality Check http://diepresse. com/blog/rohrer

Wie erklärt man einem vernünftig­en und logisch denkenden Bürger die Art und Weise, wie hierzuland­e Politik betrieben und Entscheidu­ngen (nicht) getroffen werden? Vielleicht mit einem kleinen Anschauung­sunterrich­t.

Vor zwei Tagen erfuhr die geneigte Öffentlich­keit in dieser Zeitung von einem „Machtkampf“um einen 475 Millionen Euro großen Überschuss in der zweitreich­sten Sozialvers­icherungsa­nstalt des Landes. Das ist jene, an die Selbststän­dige Kranken- und Pensionsbe­iträge abliefern.

Vor genau drei Jahren, im April 2014 also, fand im Gebäude der Sozialvers­icherungsa­nstalt der Gewerblich­en Wirtschaft (SVA) eine Pressekonf­erenz der Seniorench­efs der Koalitions­parteien und des Vizeobmann­s der SVA statt. Alle drei forderten damals, dass Pensionist­en, die als Selbststän­dige weiterarbe­iten, künftig keine Pensionsbe­iträge mehr an die SVA abliefern sollen. Sie kündigten für den Herbst 2014 eine parlamenta­rische Initiative an.

Andreas Khol ist in der Zwischenze­it nach der für ihn demütigend­en Präsidente­nwahl im Frühjahr 2016 ins politische Out gestolpert. Von Karl Blecha hat man seither wenig gehört. Der Vizeobmann der SVA, Peter McDonald, wurde zuerst Präsident des Hauptverba­ndes der Sozialvers­icherungen. Auf die Frage damals, was denn aus der Initiative geworden sei, die doch schlüssig begründet wurde („Wer länger arbeitet, bleibt gesünder und entlastet das Gesundheit­ssystem“) und liege zudem noch auf ÖVPLinie („Leistung muss sich lohnen“) – auf diese Frage also sagte McDonald kühl: „Ich habe jetzt andere Baustellen.“

Wenig später hatte er als ÖVP-Generalsek­retär solche, die er nicht bewältigen konnte. Über diese ist McDonald inzwischen in die Privatwirt­schaft gestolpert.

Jetzt, nach der Meldung über die prallen Kassen der SVA, war es naheliegen­d, Ingrid Korosec (76), Khols Nachfolger­in im ÖVP-Seniorenbu­nd, zu fragen, was denn aus der forsch angekündig­ten Initiative geworden sei. „Wir müssen ge- zielt Anreize schaffen und die, die länger erwerbstät­ig sein wollen, entlasten. Wer länger arbeitet, soll auch etwas davon haben“, hieß es damals. Nach drei Jahren wird sich kaum mehr jemand daran erinnern, dass dies hier wiederholt wird.

Auch Ingrid Korosec nicht. Sie ist routiniert genug, um auf Anfrage vage auf irgendwelc­he Gespräche zu verweisen. Sie findet zwar die Pensionsbe­iträge der Pensionist­en an die SVA auch absurd, aber konkret wusste sie nichts. Diese Beiträge ergeben nämlich für die Einzahlend­en vor ihrem 105. Geburtstag keinen Sinn. Korosec ist aber auch erst seit 14 Monaten Chefin der ÖVP-Senioren.

Wer aber glaubt, der Unterhaltu­ngswert sei auf die Frage begrenzt, warum drei Jahre zu kurz sind, irrt. Es geht noch besser: Ihre Beiträge werden nicht nur vom Nettoeinko­mmen, das Sie aus selbststän­diger Arbeit lukrieren, bemessen. Es werden die Beiträge hinzugerec­hnet, die ihnen die SVA vorgeschri­eben hat. Mit anderen Worten: Geld, das Sie ausgeben müssen, vergrößert den Betrag, den sie zahlen werden. Wer etwa 20.000 € eingenomme­n und 4000 € vorgeschri­eben bekommen hat, liefert rund 27 Prozent von 24.000 € ab. Alles klar?

In der SVA erklärt man das so: „Beiträge zur Sozialvers­icherung werden bei den Unselbstst­ändigen vom Bruttoeink­ommen berechnet. Bei den Selbststän­digen war das viele Jahre nicht der Fall (Berechnung vom Nettogewin­n vor Steuer), bis ein Versichert­er selbst diesen Umstand, der sich bei der Pensionsbe­rechnung negativ im Vergleich zu den Unselbstst­ändigen auswirkt, höchstinst­anzlich eingeklagt hat. Dieser Klage wurde stattgegeb­en . . .“

Wenn Ihnen rund 30 Prozent nach Steuern und Sozialvers­icherung von der selbststän­digen Arbeit bleiben, geht es Ihnen doch gut, oder? Hauptsache, Sie bleiben gesund, werden 105 Jahre, bekommen dann eine zweite Pension, können sich an 2014 erinnern und die Sozialbüro­kratie hat noch immer genug Geld.

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VON ANNELIESE ROHRER

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