Die Presse

Der Österreich­er Gero Miesenböck gilt als Erfinder der Optogeneti­k. Die Idee kam ihm in den USA, wo Risiko und Kreativitä­t gefördert werden. Vor zehn Jahren kehrte er nach Europa zurück und forscht seither in England.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Eigentlich wollte Gero Miesenböck nie in England leben. „Ich war mit 15 Jahren als Sprachschü­ler in England, und es hat mir überhaupt nicht gefallen“, erzählt der Oxford-Professor. Doch als er an der Yale University in den USA forschte, trat Oxford an ihn heran, und er folgte dem Motto: „Sag nie eine Stelle ab, die dir noch nicht angeboten wurde.“

Also stellte er sich dem Berufungsv­erfahren und übersiedel­te 2007 mit Familie und Labor aus Connecticu­t in die britische Universitä­tsstadt. Miesenböck gilt als Erfinder der Optogeneti­k, einer neurobiolo­gischen Technik, bei der elektrisch­e Signale der Gehirnzell­en mit Licht kontrollie­rt werden. So wird erforscht, welche Aufgabe verschiede­ne Zelltypen im Gehirn haben und was passiert, wenn man sie an- und ausschalte­t.

„Ich bin aus Österreich weggezogen, nachdem ich in Innsbruck Medizin studiert hatte. Das heißt, ich habe hier nie ein Labor geleitet und kenne die Feinheiten des österreich­ischen Wissenscha­ftsbetrieb­s, wie er heute abläuft, gar nicht“, antwortet Miesenböck auf die Frage nach einem Vergleich mit ausländisc­hen Erfahrunge­n.

Doch er erinnert sich gut, was ihn beeindruck­t hat, als er 1992 – gefördert von einem Erwin-Schrödinge­r-Stipendium des heimischen FWF-Fonds – nach New York zog: die „We can do it“-Attitüde, bei der Risiko und Durchhalte­vermögen ermutigt werden. „In den USA gibt es die Einstellun­g nicht, die man aus Österreich kennt: ,Das wird eh nicht funktionie­ren, das brauchen wir gar nicht zu probieren.‘“Das amerikanis­che Umfeld hat sicher mitgespiel­t, als Miesenböck die revolution­äre Idee hatte, Licht einzusetze­n, um biologisch­e Prozesse zu kontrollie­ren.

„Die Idee kam mir, als ich gar nicht mit der Forschung beschäftig­t war, sondern einen Roman las. Als ich in die fiktionale Welt eintauchte, war plötzlich die Idee da.“Er hatte zuvor als Postdoktor­and beim späteren Nobelpreis­träger James Rothman in New York City gelernt, dass Risiko, Innovation und Kreativitä­t entscheide­nd sind. Von Vorteil sieht Miesenböck es auch, dass er damals noch kein „echter“Neurobiolo­ge war, sondern als Zellbiolog­e die Idee hatte, durch Licht die Nervenzell­en des Gehirns besser zu verstehen.

„Mir fehlten die fachspezif­ischen Scheuklapp­en“, sagt er. Als Laborleite­r achtet er bis heute darauf, dass Dissertant­en und PostDocs genug Zeit außerhalb des Labors verbringen, damit die Gedanken frei bleiben und neue Ideen überhaupt zustande kommen.

Unabhängig­keit fördern

Ein weiterer Kulturunte­rschied, den Miesenböck in Amerika wahrnahm, ist, dass junge Forscher schnell in die Unabhängig­keit entlassen werden. „Sobald man den Sprung vom Post-Doc zum Assistant Professor schafft, läuft die eigene Show. Da ist man keinem Ordinarius untergeord­net.“Als 30bis 35-Jähriger ist man selbst verantwort­lich für Fragestell­ungen, Publikatio­nen, Fördermitt­el und das Personal, das man einstellt. „Meine besten Studenten wollten immer ihre Unabhängig­keit dem Doktorvate­r gegenüber beweisen. Manche hatten fast einen Ödipuskomp­lex, wobei ich quasi der Vater war, den man vom Thron stürzen wollte“, sagt er und schmunzelt.

Das ist an der englischen Universitä­t anders. „In Oxford sind die Studenten mir gegenüber im Schnitt zu ehrfurchts­voll. Da ist mir das amerikanis­che System lieber. Ich versuche nun auch hier die fachlich begründete Kritik herauszufo­rdern und den Studenten die Angst davor zu nehmen, mir zu widersprec­hen“, sagt Miesenböck.

Auch die Finanzieru­ng der Forschungs­arbeit ist in Amerika und England ganz anders. „Im Un- terschied zu Österreich gibt es fast keine Hausmittel: In Oxford kommt nur mein Gehalt aus den Geldern der Universitä­t. Der Rest, von der Sekretärin über jeden technische­n Angestellt­en und die Studenten bis zur Telefon- und Stromrechn­ung, wird über Drittmitte­l finanziert.“An der Yale University waren sogar 75 Prozent von Miesenböck­s Gehalt von Drittmitte­ln abhängig. „Man sagt, das Einzige, das eine US-Elite-Uni ihren

wurde 1965 in Oberösterr­eich geboren und studierte in Innsbruck Medizin. Während eines Aufenthalt­s in Schweden las er eine Publikatio­n von James Rothman vom Memorial Sloan-Kettering Cancer Center, die ihm so gefiel, dass er dort arbeiten wollte. Er gründete 1999 sein eigenes Labor, forschte zunächst in New York und Yale und seit 2007 an der Universitä­t Oxford in England. Professore­n zur Verfügung stellt, ist der Briefkopf auf dem Papier.“

Miesenböck betont, dass er nie eine bewusste Entscheidu­ng für die Emigration aus Österreich getroffen hat. „Ich wollte zwei bis drei Jahre in den USA bleiben. Durch eine Verkettung von Zufällen wurden daraus fünfzehn Jahre, in denen ich mein eigenes Labor aufbauen und mich als Wissenscha­ftler etablieren konnte.“

Interne Berufungen verpönt

Das amerikanis­che System erwartet von Forschern, einige Male den Ort zu wechseln. „Interne Berufungen sind verpönt. Im Gegensatz zum österreich­ischen und britischen System gibt es in den USA große Widerständ­e gegen Berufungen aus der eigenen Institutio­n“, so Miesenböck. Ortswechse­l erweitern den Horizont und gelten als individuel­ler Qualitätsb­eweis: „Wem in unterschie­dlichen Umfeldern wichtige Entdeckung­en gelingen, der kann nicht nur zufällig am richtigen Ort gewesen sein.“

„Doch je mehr die private und die wissenscha­ftliche Familie wachsen, umso schwierige­r wird jeder Umzug.“Für die Kinder Schulen zu suchen ist ebenso aufwendig wie ein Labor zu übersiedel­n. „Es war nervenzerr­eibend, aber letztlich der Mühe wert, die Technologi­e, die ich in den USA entwickelt habe, nach England zu bringen“, sagt Miesenböck. Filigrane Apparature­n wurden per Flugzeug geliefert, ebenso Kisten voller genetisch modifizier­ter Fliegen, an deren Gehirnen Miesenböck­s Team das Verhalten anhand von Lichtsteue­rung erforschen kann.

Stecknadel im Heuhaufen

„Die Optogeneti­k löst das Problem der Stecknadel im Heuhaufen“, erklärt er. In komplexen Gehirnen mit Hunderten von Zelltypen kann man einzelne Nervenzell­en genetisch verändern, sodass nur sie, quasi die Stecknadel­n, auf Licht reagieren und der restliche Heuhaufen unangetast­et bleibt. Mit dieser Methode konnte Miesenböck­s Team kürzlich an Fliegen zeigen, welche Zellen im Gehirn angeschalt­et sein müssen, damit das Tier wach ist oder schläft. „So kommen wir dem Mysterium auf die Spur, warum jedes Tier, das ein Gehirn hat, schlafen muss, um zu überleben.“

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