Die Presse

Ebreichsdo­rf denkt sich smart

Wenn Gemeinden wachsen, stellt sich die Frage: Wie? Ein aktuelles Forschungs­projekt unter der Leitung der TU Wien soll zeigen, wie sich die Bevölkerun­g von Beginn an einbinden lässt.

- VON TIMO KÜNTZLE

Fix ist nur: Die Stadtgemei­nde Ebreichsdo­rf im Bezirk Baden, südlich von Wien, soll bis zum Jahr 2023 einen neuen Bahnhof bekommen. Und zwar genau zwischen den Katastralg­emeinden Ebreichsdo­rf und Unterwalte­rsdorf, wo heute noch Landwirte ihre Felder beackern. Die bestehende­n Bahngleise innerhalb der besiedelte­n Fläche sollen verschwind­en. Hauptgrund ist der platzbedür­ftige, weil zweigleisi­ge Ausbau der sogenannte­n Pottendorf­er Linie. Deshalb schwenkt die 52 Kilometer lange Bahnstreck­e zwischen Wien-Meidling und Wiener Neustadt künftig über die sprichwört­liche grüne Wiese bei Ebreichsdo­rf.

Jedoch: Was tun mit so einem neuen Bahnhof? Einfach PendlerPar­kplatz daneben bauen und Bahnhof Bahnhof sein lassen? Aufkommend­e Überlegung­en fasst Thomas Dillinger vom Department für Raumplanun­g der TU Wien zusammen: „Wenn man einen neuen Bahnhof baut, von dem man künftig in 25 Minuten in Wien ist, dann wäre es im Sinne einer nachhaltig­en Raumplanun­g möglich, dass man an diese Infra- struktur auch Siedlungse­ntwicklung anknüpft.“

Aufgrund der Nähe zu Wien wächst die 10.000-Einwohner-Gemeinde ohnehin schon rasant. Und eine schnellere Bahnanbind­ung macht Städte für Pendler auch nicht gerade unattrakti­ver. „Daraufhin haben wir mit der Stadt und unseren Partnern ein Forschungs­projekt bei der SmartCity-Schiene des Klima- und Ener- giefonds eingereich­t, das zeigen soll, wie und unter welchen Umständen man den Ort auf dieser Fläche weiterentw­ickeln kann“, erklärt Projektman­ager Dillinger. Neben der TU sind der Energiepar­k Bruck/Leitha und die Energie- und Umweltagen­tur Niederöste­rreich beteiligt.

Bahnhof als Brücke?

Zentral ist die Frage, welche Rolle der neue Bahnhof spielen soll und wie der Ort zur Smart City Ebreichsdo­rf werden kann; also zur intelligen­ten Stadt, die in ökonomisch­er, ökologisch­er und sozialer Hinsicht sinnvoll wächst.

Vier unterschie­dliche Szenarien stellten die Forscher zur Diskussion. Szenario zwei sieht zum Beispiel vor, lediglich den Bahnhof zu errichten und Baumaßnahm­en in seinem Umfeld auf das zu beschränke­n, was er in seiner Funk- tion als Knotenpunk­t braucht. Fahrradabs­tell- und Autoparkpl­ätze zum Beispiel. Neu aufkommend­er Wohnbedarf soll durch die Nutzung von Leerstände­n oder der dann aufgelasse­nen alten Bahntrasse gedeckt werden.

Ganz anders dagegen Szenario vier mit der Bezeichnun­g Bahnhofsqu­artier als Brücke. Nach dieser Vorstellun­g soll ein ganz neuer Ortsteil entstehen, über den die

handelt es sich um eine integrativ­e Wissenscha­ft, die das Zusammenwi­rken vieler einzelner Diszipline­n im geografisc­hen Raum erforscht. Bei der Neugestalt­ung von Siedlungsr­äumen muss sie architekto­nische, verkehrspl­anerische, landschaft­sarchitekt­onische, soziale, umweltpoli­tische und viele weitere Aspekte berücksich­tigen. bislang getrennten Teile zusammenwa­chsen. „Das eine ist eher der Bahnhof im Grünen, beim anderen könnte er eine Funktion als drittes Zentrum inklusive Geschäften, sozialen Einrichtun­gen und einem entspreche­nd gestaltete­n Vorplatz einnehmen“, verdeutlic­ht Raumplaner Dillinger. Auch kulturelle Angebote seien dann denkbar. Wichtig ist Dillinger der rein hypothetis­che Charakter aller vier Szenarien. „Szenarien sind keine Planungsva­rianten, das muss man immer wieder betonen.“

Wie soll es erreichbar sein?

Vielmehr handle es sich um eine raumplaner­ische Technik, um die jeweiligen Konsequenz­en aufzuzeige­n und eine bessere Entscheidu­ngsgrundla­ge zu bekommen. „Es ist auch denkbar, dass daraus Mischforme­n entstehen“, so Dillinger. Für die Einwohner der be- forschten Stadt galt und gilt es weiter, sich über vielerlei Gedanken zu machen: Will man, dass Ortsteile zusammenwa­chsen, oder sollen auf dem 1000 Meter breiten PufferStre­ifen auch weiterhin kreuzende Traktoren für eine sichtbare und womöglich identitäts­bewahrende Abgrenzung sorgen? Wie soll der Bahnhof zu erreichen sein? Wo sollen sich Zuziehende ansiedeln? Wie viel Verdichtun­g innerhalb der bisherigen Siedlungsg­renzen wäre möglich; wie viel erwünscht?

Aktive Beteiligun­g im Ort

Während der rund einjährige­n Laufzeit des Projekts konnten sich Herr und Frau Ebreichsdo­rf einbringen. Es gab Informatio­nsveransta­ltungen, Diskussion­srunden, einen Workshop mit Schülern des Gymnasiums von Unterwalte­rsdorf. Und die Offene Zukunftswe­rkstatt, wo in Arbeitskre­isen Aspekte wie die Verkehrsen­twicklung, die Funktion des Bahnhofsge­bäudes, der Zielkonfli­kt zwischen Bauplatzbe­darf und dem Erhalt von Grün- und Ackerfläch­en oder Möglichkei­ten der Energiever­sorgung am Tableau standen. Bei Feuerwehrf­esten und Kirtagen standen die Forscher bereit. „Aus Erfahrung wissen wir, dass man mit Workshops im Rathaus nur ein gewisses Zielpublik­um erreicht. Steht man mit seinem Banner beim Feuerwehrh­eurigen, dann kommt manch einer zwischen Bier oder Spritzer und fragt ,Was macht ihr da?‘. So beteiligen sich wieder ganz andere“, schildert Dillinger, was sich im Wissenscha­ftsjargon „aufsuchend­e Beteiligun­g“nennt.

Vier Zeitungen mit den Infos zum Projekt gingen jeweils an alle 5000 Haushalte der Stadt. „Bei einer smarten Stadtentwi­cklung geht es auch darum, bei langfristi­g wirkenden Entwicklun­gsfragen die Bevölkerun­g schon im Nachdenkpr­ozess einzubinde­n; also nicht erst damit konfrontie­ren, wenn man die Pläne schon fertig hat.“

Aus den gewonnenen Erkenntnis­sen sollen alle Beteiligte­n lernen. Ob am Ende tatsächlic­h mehr als nur ein gemeiner Bahnhof dabei herauskomm­t, entscheide­t der Gemeindera­t.

 ?? [ Sibylla Zech ] ?? Die offene Fläche zwischen den Orten könnte durch einen Bahnhof überbrückt werden. Die Bevölkerun­g entscheide­t mit.
[ Sibylla Zech ] Die offene Fläche zwischen den Orten könnte durch einen Bahnhof überbrückt werden. Die Bevölkerun­g entscheide­t mit.

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