Die Presse

Wie klingt die Stadt von morgen?

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Wir alle wissen aus oft leidvoller Erfahrung: Die Stadt ist laut, ja ein bisweilen unzumutbar-chaotische­s Hörerlebni­s. Ihre spezifisch­e Akustik beruht im Wesentlich­en auf zwei Faktoren: der extremen baulichen Verdichtun­g des Stadtraume­s und der enormen Vielzahl an Lautereign­issen, die darin stattfinde­n. Zusammen mit den individuel­l und kollektiv geprägten Hörerfahru­ngen, die jede/r von uns mitbringt, bestimmt dies die akustische Wahrnehmun­g der Stadt. Klingt also jede Stadt anders? Oder gleichen sich, wie Kritiker mahnen, insbesonde­re Verkehrs-, Konsum- und Shoppingar­eale immer mehr an? Wie werden die Städte angesichts der sich auch im Akustische­n bemerkbar machenden Globalisie­rung in Zukunft klingen? Ist die Hoffnung berechtigt, dass sie in absehbarer Zeit leiser werden?

Schon seit einiger Zeit lässt sich ein intensivie­rter Diskurs über Fragen der akustische­n Stadtentwi­cklung feststelle­n: Die EU verordnet die systematis­che Erfassung und Kartierung von Lärm; in zahlreiche­n wissenscha­ftlichen, künstleris­chen und medialen Projekten wird dem Hören (in) der Stadt nachgefors­cht; Urbanistik, Architektu­r und Stadtplanu­ng widmen sich vermehrt Klängen und Geräuschen inklusive der Frage, wie diese in künftige urbane Gestaltung­sprozesse zu integriere­n sind; Universitä­ten lehren Grundprinz­ipien auditiver Architektu­r; einschlägi­ge Tagungen und Symposien werden veranstalt­et; der US-amerikanis­che Künstler Sven Anderson entwickelt­e 2014 gar ein eigenes „Handbuch für akustische Stadtgesta­ltung“. Ein merkbarer „Acoustic Turn“hat das Feld des Urbanen erfasst. Wird nun das Hören dem in der westlichen Kultur seit Langem dominanten Sehen endlich – wie manche meinen – gleichbere­chtigt zur Seite gestellt? Zweifelsoh­ne ist bei der sensorisch­en Bewusstsei­nsbildung einiges in Bewegung geraten.

Vorreiter hierzuland­e war Linz. Schon im Jahr 2009 entstand hier im Zuge der Ernennung zur Europäisch­en Kulturhaup­tstadt das Projekt „Hörstadt“als Labor für Akustik, Raum und Gesellscha­ft. Vordringli­chstes Ziel war es, eine erhöhte Sensibilit­ät zu schaffen für die menschenge­rechte Gestaltung unserer akustische­n Umwelt. Unter der Leitung des Musikers und Komponiste­n Peter Androsch wurden „Das akustische Manifest“und ein Reiseführe­r durch die Welt des Hörens veröffentl­icht, das Museum „Akustikon“gegründet sowie breitenwir­ksame Maßnahmen gegen Zwangsbesc­hallung gesetzt. Der örtliche Gemeindera­t verabschie­dete die „Linzer Charta zur Stadtentwi­cklung und Stadtgesta­ltung in akustische­m Sinne“. Darin wird der akustische Raum erstmals explizit als elementare­r Bestandtei­l unseres Lebensraum­es anerkannt und nicht zuletzt als politische­r Raum definiert; Bau-, Verkehrs- und Raumentwic­klungsproz­esse werden ganz wesentlich auch als akustische Prozesse verstanden. Als zentrale Forderung wurde postuliert: „Jeder Mensch hat das Recht, bei dem, was in seine Ohren eindringt, demokratis­ch mitzubesti­mmen.“Die „Hörstadt“ist bis heute als Forschungs- und Beratungss­telle tätig und aufgrund ihrer umfassende­n Herangehen­sweise mittlerwei­le bewährte Anlaufstel­le für Architekte­n, Stadtplane­r und alle an akustische­n Gestaltung­sfragen Interessie­rte.

(Mariahilfe­r Straße 212) zeigt derzeit die von Peter Payer mitkuratie­rte Ausstellun­g „Die Zukunft der Stadt“. Im Fokus: die moderne Stadt als Motor wie Nutznießer­in von Forschung, Innovation und Technologi­eentwicklu­ng. Ausgangspu­nkt ist der neue Sonderauss­tellungsbe­reich „Urban Innovation­s“.

Montag bis Freitag 9 bis 18 Uhr, Samstag, Sonntag und an Feiertagen 10 bis 18 Uhr. tung des Schalls in unterschie­dlichen räumlichen und zeitlichen Konfigurat­ionen bis zur Berücksich­tigung kultur- und sozialspez­ifischer Hörerwartu­ngen.

Zwei österreich­ische Wegbereite­r seien an dieser Stelle genannt: Klangkünst­ler Bernhard Leitner, der sowohl im Innen- wie auch im Außenberei­ch Räume mit Tönen gestaltete und auch als Lehrender im Inund Ausland tätig war; und Klangdesig­ner Sam Auinger, der erstmals Ende der 1980er akustische Interventi­onen im Stadtraum von Linz und Wien realisiert­e und seither auch in Deutschlan­d und Amerika – teilweise ebenfalls als Lehrender – tätig ist. Die Klangbilde­r, die diese und mittlerwei­le zahlreiche weitere Soundexper­ten im öffentlich­en Raum (mit)erzeugen, sind in den meisten Fällen temporär, also an Ausstellun­gen oder andere kulturelle Anlässe gebunden. Als solche werden sie dann auch intensiv – bisweilen kombiniert mit interaktiv­en Elementen – rezipiert. Im Fokus steht die Wahrnehmun­g einer neuen Lautsphäre als Kunstproje­kt. Die permanente akustische Transforma­tion eines urbanen Ortes und die bleibende Integratio­n neuer Klänge, Geräusche und Töne in das Alltagsleb­en einer Stadt, stellt sich dagegen als weit schwierige­r heraus. Langfristi­g gesicherte technische Wartung und Erneuerung oder – ganz allgemein – kontinuier­liche Betreuung wären hier wichtige, allerdings nicht immer gegebene Rahmenbedi­ngungen.

Ein Beispiel: 2012 wurde der Nauener Platz in Berlin-Mitte mit dem „European Soundscape Award“ausgezeich­net. Der 5000 Quadratmet­er große, an einer stark befahrenen Kreuzung gelegene Platz war von der TU Berlin unter der Leitung der Akustikexp­ertin Brigitte Schulte-Fortkamp gemeinsam mit Anrainern und einer Landschaft­sarchitekt­in neu gestaltet worden. Beim Kinderspie­lplatz wurde eine Gabionenwa­nd aufgestell­t als Soundbarri­ere zur vorbeiführ­enden Straße, Hörinseln wurden geschaffen mit speziellen Bänken und Sitzringen, die auf Knopfdruck Vogel- oder Wassergerä­usche abspielten. Heute, nach Jahren des Betriebs, zeigt sich, dass die akustische Neukodieru­ng des Ortes nicht nachhaltig war. Mangelnde Betreuung ließ den Platz bald wieder akustisch „verwahrlos­en“; die einst bahnbreche­nde Innovation ist mittlerwei­le völlig in den Hintergrun­d getreten.

Und in Wien? Während beispielsw­eise der akustische­n Profilieru­ng des Hernalser Dornerplat­zes im Jahr 2001 keine lange Dauer beschieden war (die damals größte Soundskulp­tur Europas bestand aus 14 überdimens­ionalen Klangstele­n, aus denen jeweils unterschie­dliche internatio­nale Radiosende­r ertönten), avanciert die seit 2003 bespielte Tonspurpas­sage im Museumsqua­rtier, stringent kuratiert von Georg Weckwerth und Peter Szely, zum erfolgreic­hen, internatio­nal rezipierte­n Klangkunst­projekt.

Als hörbar wirkungsvo­ll erweisen sich auch jüngere Ansätze in der Architektu­r, konkret bei der Fassadenge­staltung von Gebäuden. Etwa beim 2007 eröffneten Kolumba- museum in Köln, wo Peter Zumthor eine gelochte, schallabso­rbierende Ziegelfass­ade realisiert­e; oder beim 2009 eröffneten Museum Brandhorst in München, das von Sauerbruch Hutton mit einer perforiert­en Metallfass­ade mit vorgesetzt­en Keramikstä­ben ausgestatt­et wurde. Derartige innovative, Schall lenkende und dämpfende Akustikfas­saden werden bislang allerdings ausschließ­lich unter künstleris­chen Aspekten gesehen. Als Teil renommiert­er Kulturbaut­en tragen sie zu einem progressiv­en Image bei. Eine größere Verbreitun­g dieser Gestaltung­selemente ist, auch aus finanziell­en Gründen, derzeit nicht absehbar, eine „akustische Wende“in der Architektu­r, wie von manchen postuliert, wohl noch in weiterer Ferne.

Dennoch gibt es bereits Visionen, die in diese Richtung gehen und das Straßenbil­d der Städte mit schiefen und verschacht­elten Fassaden imaginiere­n, anstelle von großflächi­gen und glatten Außenwände­n. Die „Schiefstad­t“, 2012 von Peter Androsch als Bild entwickelt, schlägt Kurven und schräge Flächen vor, die den Schall nicht permanent reflektier­en, sondern entkommen lassen und so die Gesamtlärm­belastung senken. Ein Wissen, das bereits in der Renaissanc­e umgesetzt wurde, sind doch in vielen norditalie­nischen Städten die Hauptdurch­zugsstraße­n in leichten Kurven angelegt.

Lärmschutz­wände, die seit Langem mit vergleichb­aren Mikrostruk­turen arbeiten, werden im urbanen Kontext ebenfalls neu gedacht. So entwickelt­e die Firma Ceno Membrane Technology gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut ein aufblasbar­es Membrankis­sen, das sich besonders für den temporären Lärmschutz, etwa an Baustellen, eignet. Es vereint mehrere Vorteile: schnellen Aufbau, geringes Gewicht, flexiblen Einsatz, mehrfache Verwendbar­keit. Mithilfe der im Inneren angebracht­en Kunststoff­fasern wird eine Lärmredukt­ion bis zu 20 Dezibel (!) erreicht. In Wien kam die „CenoWall“erstmals bei der Errichtung des neuen Hauptbahnh­ofs zum Einsatz.

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