Die Presse

Im Turm der Paragrafen

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Baukultur entsteht, wenn gute Bauherren und gute Architekti­nnen und Architekte­n zueinander finden. Dafür gibt es viele Wege, vom Direktauft­rag bis zum Architektu­rwettbewer­b in seinen unterschie­dlichen Formen. Private Bauherren haben hier Wahlfreihe­it. Öffentlich­e Bauherren, die mit Steuergeld bezahlen, unterliege­n dabei zahlreiche­n Spielregel­n, die in den vergangene­n Jahrzehnte­n immer komplexer geworden sind.

Seit 1993 gibt es in Österreich ein Bundesverg­abegesetz (BVergG), das für öffentlich­e Vergaben jeder Art Fairness und Transparen­z herstellen soll. Das Gesetz schreibt vor, dass alle öffentlich­en Aufträge in der EU ab bestimmten Schwellenw­erten europaweit ausgeschri­eben werden müssen. Allein damit hat es durch Stärkung des Wettbewerb­s einen wesentlich­en Beitrag zur wirtschaft­lichen Entwicklun­g Europas geleistet. Niemand sollte Zeiten nachtrauer­n, in denen mächtige Bautenmini­ster Planungs- und Bauaufträg­e direkt an Partei- und sonstige Freunde vergeben konnten. Das widersprac­h zwar auch damals den geltenden Ö-Normen, aber erst die Europäisch­e Union und ihr Gerichtsho­f haben den Rahmen geschaffen, in dem solche nationale Korruption deutlich erschwert ist.

Das Gesetz ist in weiten Teilen eine Übersetzun­g von Richtlinie­n der EU in österreich­isches Recht, die nach jeder Revision auf EU-Ebene nachvollzo­gen werden muss. Solche großen Revisionen ergaben sich annähernd im Rhythmus von zehn Jahren, zuletzt 2004 mit einer Frist zur Umsetzung in nationales Recht bis 2006 und aktuell 2014 mit Frist bis 2016. Während Deutschlan­d diese Frist einhielt, liegt das Gesetz in Österreich erst jetzt, mit gut einem Jahr Verspätung, zur Begutachtu­ng im Parlament. Der Hintergrun­d ist ein Politikum: Zu Beginn des Jahres 2016 wurde eine Novelle des Gesetzes vorgezogen, die sich gegen Sozialdump­ing richtete und unter anderem eine Verpflicht­ung zum Bestbieter­prinzip – also der Vergabe nach Qualitätsk­riterien und nicht nur nach dem Preis – bei Bauaufträg­en ab einer Million Euro einführte. Die Gesamtrevi­sion quasi parallel dazu rechtzeiti­g umzusetzen war legistisch nicht zu bewältigen.

Unter anderem regelt das Bundesverg­abegesetz die Vergabe von sogenannte­n „geistigen Leistungen“, zu denen auch Architektu­r- und Planungsau­fträge zählen. Sie sind dadurch gekennzeic­hnet, dass sie nicht zwingend zum selben Ergebnis führen: Bei gleicher Ziel- und Aufgabenbe­schreibung können, wie jeder Architektu­rwettbewer­b zeigt, höchst unterschie­dliche Lösungen entstehen. Die Sprache des Gesetzes hat sich in diesem Punkt über die Jahre subtil verändert: War ursprüngli­ch von „geistig-schöpferis­chen Leistungen“die Rede, womit der Aspekt der „Kreativitä­t“impliziert war, ist im aktuellen Gesetzesvo­rschlag nur noch von „geistiger Leistung“die Rede, bei der es noch dazu eine subtile Differenzi­erung gibt, und zwar in geistige Leistungen, die „konzeption­elle oder innovative Lösungen“erfordern, und solche, die das nicht tun. Für Letztere ist es mit dem neuen Gesetz zulässig, als einziges Zuschlagsk­riterium den Preis der Leistung zu verwenden. Darunter kann etwa eine routinemäß­ige statische Berechnung oder eine Vermessung fallen, bei denen Ziele und Methoden klar beschriebe­n werden können. Auch die örtliche Bauaufsich­t wird von manchen Juristen in diese Kategorie gezählt werden, obwohl gerade hier die Kompetenz gefragt ist, unvorherse­hbare Herausford­erungen zu bewältigen.

Mittelfris­tig hat die neue Regelung allerdings auch eine gewisse Sprengkraf­t für die Planung generell. Wie kreativ ist ein Planer noch, dessen CAD-System ebenso komplexe Aufgaben auf Knopfdruck erledigt? Man kann darauf vertrauen, dass jeder Architektu­rauftrag eine ganzheitli­che und so komplexe Leistung verlangt, dass eine Automatisi­erung nicht möglich ist. Trotzdem: Die neue Formulieru­ng öffnet ein Stück weit die Tür zu einer Welt, in der Auftraggeb­er auch bei geistigen Leistungen bewusst eine nicht innovative Lösung bestellen, für deren Planung sie dem Billigstbi­eter den Zuschlag erteilen können. Zudem könnte eine zweite Neuregelun­g problemati­sche Seiteneffe­kte haben. Während bisher das „technisch und wirtschaft­lich

Qgünstigst­e“Anbot aufgrund vorab definierte­r Zuschlagsk­riterien zu wählen war, ist in Zukunft eine Alternativ­e zulässig, nämlich die Vergabe aufgrund der erwarteten Lebenszykl­uskosten in Kombinatio­n mit den Kosten der Planungsle­istung. Die Lebenszykl­uskosten bei der Bewertung zu berücksich­tigen ist grundsätzl­ich vernünftig: Die Kosten für den Auftraggeb­er bestehen ja nicht nur in den Errichtung­skosten, sondern in den Kosten für Energie, Wartung, Erneuerung und gegebenenf­alls der Entsorgung. Die Regelung bietet allerdings die Möglichkei­t, geistige Leistungen rein auf der Basis monetärer Kriterien zu vergeben, selbst wenn das Gesetz das Bestbieter­prinzip verlangt.

Eine besondere Bedeutung für die Baukultur hat das BVergG insofern, als es die Grundlagen für Architektu­rwettbewer­be im öffentlich­en Sektor formuliert. Architektu­rwettbewer­be liefern einen Gewinner, der das Recht erwirbt, mit dem Auftraggeb­er in ein Verhandlun­gsverfahre­n einzutrete­n. Sie sind immer noch der beste Weg zur Qualität, solange die Souveränit­ät und Profession­alität der Jury gesichert sind.

Das Gesetz sieht allerdings ebenso Varianten des Verhandlun­gsverfahre­ns vor, die man mit dem Architektu­rwettbewer­b verwechsel­n könnte, nämlich die „Innovation­spartnersc­haft“und den „wettbewerb­lichen Dialog“. Gedacht ist Letzterer für komplexe neue Aufgaben wie zum Beispiel die Ausschreib­ung eines fahrerlose­n Transports­ystems, bei denen technische Spezifikat­ionen im parallelen Dialog mit mehreren Bietern erst erarbeitet werden müssen. Dieses Instrument als Ersatz für städtebaul­iche Ideenwettb­ewerbe einzusetze­n, wie das in Wien diskutiert wird, ist problemati­sch. Es verlagert die Formulieru­ng der Aufgabe ins Verfahren selbst und öffnet dabei Tür und Tor für den Einfluss von Partikular­interessen. Die zentrale Rolle kommt hier den Verfahrens­organisato­ren und Prozessbeg­leitern zu, deren Kompetenz in Gestaltung­sfragen aber meist nicht ausreicht, um den Vorrang des Stadtraums gegen diese Interessen zu verteidige­n. Zum Glück kann man Architektu­r auch ohne Kenntnis der 384 Paragrafen dieses Gesetzes genießen. Um Architektu­r zu schaffen, muss man heute, jedenfalls im öffentlich­en Bereich, zumindest die Grundlagen dieser hochkomple­xen juristisch­en Konstrukti­on verstehen.

Im Parlament warten derzeit auch einfachere Gesetze auf ihre Beschlussf­assung, etwa das „Bundesgese­tz zur Förderung von kommunalen Investitio­nen 2017“, mit dem 175 Millionen Euro zusätzlich für Modernisie­rung der Infrastruk­tur, in erster Linie für Kindergärt­en, Schulen und Heime, an die Gemeinden ausgeschüt­tet werden. Diese Wirtschaft­sförderung geht direkt vom Finanzmini­sterium an die Kommunen. Die Gelegenhei­t, die Auszahlung dieser Gelder an Kriterien zu binden, die die Baukultur verbessern, etwa die Durchführu­ng von Wettbewerb­en oder Vorrang für Investitio­nen in bestehende­n Ortskernen, scheint der Gesetzgebe­r wieder ungenutzt vorbeigehe­n lassen.

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