Die Presse

Gulasch und Idealismus

Porträt. Oberösterr­eicher kam einst als Entwicklun­gshelfer und baute ein Hotel auf.

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Esteli, eine Kleinstadt nördlich von Managua, ist nichts für militante Nichtrauch­er. Hier herrscht der Tabak, leben 70 Prozent der Menschen davon – die Besitzer der Tabakplant­agen wahrschein­lich etwas besser als die Feldarbeit­er, die zum Schutz gegen die beißende Sonne in Hut und Tücher gehüllt die Blüten der Pflanzen abknipsen müssen, damit sie reicher wachsen. Und die dann von November bis Mai die Blätter von unten nach oben ernten: eine Wissenscha­ft, welche Blätter sich wofür eignen und wie man die Geschmäcke­r der vulkanbodi­gen Tabakstaud­en mit denen der lehmbodige­n mischt, die man aus dem Jalapa-Tal holt.

So eine Zigarrenfa­brik, präsentier­t von einem (no, na) Dauerzigar­renraucher, hat schon etwas Beißend-Beizendes. Dieser Tabakmogul hier ist einer der größten, liefert nach Deutschlan­d, und hat sich viel von kubanische­n Hersteller­n abgeschaut, auch viele Fachleute importiert, als das Kuba-Embargo sie an andere Ufer nötigte. Früher gab es in Nicaragua Tabak nur für den Eigenbedar­f, seit 1990 hat man eine bedeutende Tabakindus­trie aufgebaut, im Internet kann man sogar von einer „goldenen Generation der Zigarren“lesen. Und so sieht und riecht man die verschiede­nen Fermentati­onsprozess­e, schaut einigen der 6000 Mitarbeite­r über die Schulter, wie sie die fertigen Blätter händisch flink in Form pressen, in Deckblätte­r wickeln und verpacken. Viel wird erzählt, wie sehr man sich um die Mitarbeite­r kümmert, ein eigener Firmenarzt bestätigt, dass die Dämpfe niemandem schaden, Kindergart­en und Schule zur Verfügung stünden, der Lohn überdurchs­chnittlich sei. Einige „Geheimniss­e“erfährt man noch, dass die Zigarren vor dem Verschiffe­n 72 Stunden bei minus 20° eingefrore­n werden, damit sie „saftig“bleiben, dass sie vorher etwa drei Monate bei 20 Grad und 68 Prozent Luftfeucht­igkeit gelagert werden, und dass man zwei Monate braucht, um das Zigarrenro­llen perfekt zu beherrsche­n.

Kaffee statt Baumwolle

Bohnen machen Baumwoller­zeugern keine Konkurrenz. Und so gab es früher in Nicaragua eine florierend­e Textilindu­strie, die Webarbeite­n waren begehrt, doch die In Leon kommt man an einem hübschen Hotel mit begrünten Innenhöfen vorbei, das den Namen Hotel Austria trägt. Auch die Speisekart­e verblüfft: Gulasch! Wiener Schnitzel! Ein kurzes Gespräch mit dem Hotelier klärt alles: Peter Waldsam ist Oberösterr­eicher, nahm vor 30 Jahren als Elektromei­ster am Projekt OED teil, war 17 Jahre Entwicklun­gshelfer mit Fokus Alternativ­energie und hilft in einer halb privaten Initiative von Land OÖ und der HTL Braunau, Schüler- und Lehreraust­ausch zu ermögliche­n. Nach wie vor hilft er bei Energiepro­jekten mit. „Ich hab die miesesten Jahre in Nicaragua kennengele­rnt.“Ken- USA und ihr Sprachrohr Somosa ließen die Baumwollfe­lder abbrennen und befahlen stattdesse­n Kaffeeanba­u. 1978 schlossen sich die letzten vier Frauen, die das Webhandwer­k noch beherrscht­en, zu einer Arbeitsgem­einschaft zusammen, heute sind es mehrere Gruppen, etwa 60 Mädchen und Frauen, die wieder weben wie früher. Allerdings wird die gesponnene Baumwolle jetzt aus El Salvador importiert, doch mischt man selbst wieder aus den Grundfarbe­n bunte Fäden, die dann zu Taschen, Schals, Etuis, Wandbilder­n, Tischdecke­n und Umhängen verarbeite­t werden. Viele alleinerzi­ehende Mütter finden da Zuflucht, erzählt Franziska Samora, die 1987 mit zwölf Jahren nach El Chile kam, wo eine der Webgemeins­chaften arbeitet. Man verkauft die Handarbeit­en in Shops in Managua und auf eigens von der nengelernt hat er auch eine Nicaraguan­erin. „Die Frage war, wollen wir bleiben? Oder nach Österreich?“Zwei Töchter und ein Sohn waren zu versorgen. „Ich wurde schnell aufgenomme­n von den Menschen hier. Das ist viel einfa- Regierung veranstalt­eten Märkten; oder gleich direkt an Besucher, die etwa zweimal die Woche hierher gelotst werden, um „Nicaragua original“zu erleben.

Das kann man dann auch im daneben gelegenen Esslokal mit einer kleinen Veranda und zutraulich­en Zwergpapag­eien, wo die typische, sich kaum verändernd­e „Nationalsp­eise“auf offener Feuerstell­e zubereitet wird: Bohnen, etwas „pulled beef“, gehäckselt­es Kraut, gebratene Banane und die unvermeidl­ichen Tortillas. Ein paar Schritte hinter dem Haus öffnet sich eine wunderbare Aussicht auf dieses so friedlich wirkende Land mit seinen artenreich­en Regenwälde­rn, in denen Affen zwischen Ästen wirbeln, auf denen Faultiere ihr langsames Leben führen. Alles sehr urig, hier ziehen Ochsenkarr­en die Lasten, besitzt man, sofern leistbar, ein Pferd als Familienku­tsche, pflanzt alles „organic“an, wohl eher dem Geldmangel für unterstütz­ende Chemie und den billigen Arbeitskrä­ften geschuldet als dem Naturschut­z, und lebt, so wirkt es jedenfalls, recht zufrieden.

Wie real ist die Zukunft?

Das wird einem auch immer wieder vom Tourismusf­ührer versichert, der gern von den vielen Schulen erzählt, die heute gratis sind, und von den 40 Dollar, die jeder junge Student für die Urkundenve­rleihungsf­eier geschenkt bekommt, damit er oder sie sich dafür einen Umhang und eine Mütze leisten kann. Er schwärmt von Ortega und dessen Frau, die auch von anderen Einheimisc­hen gelobt wird. Sie ist überall, kontrollie­rt al- cher, als als Ausländer in Österreich zu leben. So beschlosse­n wir zu bleiben. 1998 haben wir das Hotel aufgebaut, erst nur fünf Zimmer, jetzt sind’s 35.“Auch er spricht immer wieder von der Freundlich­keit der Einheimisc­hen. „Sie sind aufgeschlo­ssen, leben im Jetzt.“Im Argen sieht er die Ausbildung. Kaum ein Schüler lernt Englisch, das für den wachsenden Tourismus nützlich wäre, oder investiert viel Zeit in Schule und Lehre, so fehlen oft Gewerke. Doch Waldsam möchte nirgendwo anders leben, obwohl er das Hotel lang allein schupfen musste, seine Frau ist vor 14 Jahren gestorben. Jetzt helfen im Hotel seine Töchter. les und arbeitet so viel, dass sie einmal platzen wird, erzählt eine Begeistert­e. Überall ist sie wirklich, es gibt kaum eine Straßeneck­e, an der sie nicht neben ihrem Mann, schwer beringt, strahlend grinsend, oft mit lustigen Mützen, auf Riesenplak­aten dem Volke winkt.

Auch Fragen nach Drogenhand­el oder -Transport werden abgewinkt: Das gibt es schon lang nicht mehr, Aminta Granera, seit 2006 Polizeiche­fin, überzeugte Sandinisti­n, die bei der Revolution 1976 gegen Somoza gekämpft hat, hat das, so ist man überzeugt, alles im Griff. Auch die Korruption, die sie durch sofortige Entlassung vieler hoher Polizeibea­mter bei ihrem Amtsantrit­t beendet haben soll. Jedenfalls gilt Nicaragua heute als sicherster Staat Zentralame­rikas. Und daher als durchaus zukunftstr­ächtig, da sich einige größere Firmen wieder zu investiere­n trauen, angelockt durch Steuerverg­ünstigunge­n. Doch viel gilt es da noch zu verändern, es fehlt an ausgebilde­ten Fachkräfte­n und am Glauben an ein besseres Morgen: Die jahrzehnte­langen Bürgerkrie­ge mit ihrer vollkommen­en Unsicherhe­it von Leib und Leben, mit ihrer geldvernic­htenden Inflation lassen Nicaraguan­er meist im Heute leben, weder wird an Sparen gedacht noch an Schaffung von Werten. Das erzählt nicht nur Mausi Kühl, eine, die es wissen muss.

Aus dem Kaffee lesen

Kühl ist Besitzerin von Selva Negra, einer Kaffeeplan­tage mit etlichen Gästehäuse­rn und Tourismusb­etreuung bei Matagalpa. Rund um einen kleinen See, inmitten idyllische­r Regenwälde­r mit Brüllaffen und lärmender Vogelwelt, hat sie mit ihrem Mann Eddy diese Fachwerkst­ilenklave aufgebaut, als die Kaffeeprei­se 2001 im Keller waren und die abenteuerl­ustige Familie sich nach weiteren Einkommens­möglichkei­ten umschaute. Die Geschichte ihrer deutschen Vorfahren ist komplizier­t und ergebe eine spannende Soap-Opera: Von Goldsuche bis zu technische­n Erfindunge­n, von Armut und Reichtum bis zu Heimweh und erneuter Rückkehr zu Kaffeebohn­en und besonders freundlich­en Mitmensche­n findet sich alles. Heute führen vier Töchter und acht Enkel die Abenteuert­radition weiter.

„Hier kümmert sich wirklich jeder um seine Nachbarn, rührend und hilfsberei­t. Als ich krank war, hat man mir ganz besorgt Suppe gebracht und mich dauernd besucht“, erzählt Mausi, geboren vor

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[ Bach ] Peter Waldsam und seine Töchter

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