Virtuell durch die Hintertür
Innovation. Start-ups wirbeln mit ihren digitalen Diensten zunehmend die Immobilienbranche durcheinander und stellen etablierte Marktteilnehmer vor neue Herausforderungen.
Auf der Immobilienmesse Mipim in Cannes war für sie noch das Untergeschoß reserviert. Doch das wird sich ändern. Denn die Start-ups mit klingenden Namen wie Cunio, Cubedots und NavVis werden mit ihren digitalen Diensten und Plattformen die Immobilienbranche verändern. Längst lautet die Frage nicht mehr, ob sich die Akteure mit der Digitalisierung beschäftigen wollen, sondern wann und wie. Die Proptechs (Property Technology) befeuern diesen Trend.
„Die Immobilienbranche ist ein bisschen ratlos, wie sie damit umgehen soll“, sagt Mario Schmalzl, Geschäftsführer der Digitalflex Digital Transformation Consulting GmbH. Er ist überzeugt, dass einige der neuen Anbieter durchaus in der Lage sein könnten, etablierte Player in Bedrängnis zu bringen. „Ich sehe das Risiko, dass – wie schon in anderen Branchen – Plattformanbieter einen Großteil der Margen abziehen und die Real Estate-Eigentümer zu Infrastrukturanbietern reduzieren.“
Mehr Chance als Risiko
Ein „Airbnb“für den Büromarkt hält der IT-Experte jedenfalls für denkbar. Über eine solche Plattform könnten Unternehmen etwa flexible Nutzungsmodelle für nicht mehr benötigte Büroflächen abrufen. Erste Anbieter, die in diese Nische vorstoßen, gibt es bereits. „In Deutschland und der Schweiz tut sich einiges“, sagt Schmalzl, der in der digitalen Transformation mehr Chancen als Risiken für die Immobilienbranche sieht. „Noch funktionieren viele alte Modelle. Doch die Unternehmen müssen die Zeit jetzt nutzen, um die Digitalisierung auszubauen. In zwei, drei Jahren wird der Wind sehr viel schärfer wehen.“Aktuell gibt es in Deutschland rund 140 Start-ups, die Informationstechnologie und Immobilien miteinander verbinden. Die Mehrheit ist auf die wohnwirtschaftliche Immobilienvermarktung ausgerichtet. Das Zepter selbst in die Hand genommen hat Signa-CEO Christoph Stadlhuber. Wohin die Reise geht, zeigt ein Blick in den Baucontainer für die „Parkapartments am Belvedere“in Wien. Mit Hilfe von 3-D-Brille können Interessenten die Wohnung in spe erkunden, von Zimmer zu Zimmer gehen und den Ausblick von der Terrasse genießen. „Es geht darum, einen realitätsnahen Eindruck einer Wohnung, die es noch gar nicht gibt, zu vermitteln“, sagt Stadlhuber. Wirklichkeitsnahe Visualisierungen hält er für ein wichtiges Marketinginstrument. „Wir wollen die Interessenten bei ihren Emotionen pa- cken. Anhand eines Grundrisses können sich die wenigsten etwas vorstellen.“
Virtuelle Rundgänge sind nur eine Spielwiese. Auch ZeitrafferFilme der Baustelle, Vorher-Nachher-Bilder oder Rundflüge über und im Gebäude sollen mit Hilfe einer App ein Gefühl für die Immobilie vermitteln. Dazu werden die Bilder der Projekte in der hauseigenen Zeitung mit QR-Codes hinterlegt. In einem nächsten Schritt sollen Chatbots, also rund um die Uhr verfügbare OnlineDialogsysteme, die wichtigsten Fragen der Interessenten beantworten. „Im Sommer starten wir mit den ersten Projekten. Natürlich wird keine Wohnung ohne ein echtes Gespräch verkauft, aber es geht bei diesen Systemen auch um das Herausfiltern der potenziellen Interessenten aus der Masse.“
Gerüche in der Küche
Das Wiener Start-up Squarebytes ist Spezialist für interaktive, virtuelle Rundgänge. „Der Immobilienbranche fehlt der Fun-Faktor, wir wecken den Spieltrieb“, meint Gründer Marcel Nürnberg. Auch bei Squarebytes bewegen sich die Interessenten mit Hilfe einer 3-D-Brille durch eine Immobilie: Türen und Fenster lassen sich öffnen, die Farbe der Küchenzeile kann beliebig verändert werden oder man spielt auf der Terrasse eine Runde virtuelles Schach. „Das System ermöglicht Maklern, die Wohnung mit ihren Kunden ortsunabhängig virtuell zu begehen“, sagt Co-Gründer Christian Benz.
Makler, Bauträger und Projektentwickler stehen bereits jetzt Schlange, um das Know-how von Benz und Nürnberg anzuzapfen. Längst feilen die Gründer an der Weiterentwicklung. Denkbar ist der Einsatz von Düften, etwa wenn der Kunde in der Küche steht. „Langfristig wollen wir alle Sinne ansprechen – Haptik, Geruch und Geräusche müssen möglichst realitätsnah sein“, sagt Benz. Vorerst werden vor allem hochpreisige Wohnungen mit Hilfe der virtuellen Rundgänge vermarktet.
Noch vor zwei Jahren wurden die Gründer für ihre Idee belächelt. Und auch heute bereiten solche Start-ups vielen Unternehmen kein Kopfzerbrechen, wie eine Umfrage zeigt. Neun von zehn haben „Digitale Transformation“zwar auf ihrer Agenda, aber lediglich 14 Prozent sehen in einer Umfrage von Ernst & Young Real Estate eine ernst zu nehmende Gefahr. 152 Unternehmen wurden befragt. Viele erwarten sogar, dass ihr Geschäft durch die innovativen Player zusätzlich beflügelt wird. Umgekehrt denkt allerdings auch die Mehrheit der digitalen Jungunternehmer (63 Prozent), dass sie die alten Platzhirsche herausfordern können.