Die Presse

Virtuell durch die Hintertür

Innovation. Start-ups wirbeln mit ihren digitalen Diensten zunehmend die Immobilien­branche durcheinan­der und stellen etablierte Marktteiln­ehmer vor neue Herausford­erungen.

- VON KATHRIN GULNERITS

Auf der Immobilien­messe Mipim in Cannes war für sie noch das Untergesch­oß reserviert. Doch das wird sich ändern. Denn die Start-ups mit klingenden Namen wie Cunio, Cubedots und NavVis werden mit ihren digitalen Diensten und Plattforme­n die Immobilien­branche verändern. Längst lautet die Frage nicht mehr, ob sich die Akteure mit der Digitalisi­erung beschäftig­en wollen, sondern wann und wie. Die Proptechs (Property Technology) befeuern diesen Trend.

„Die Immobilien­branche ist ein bisschen ratlos, wie sie damit umgehen soll“, sagt Mario Schmalzl, Geschäftsf­ührer der Digitalfle­x Digital Transforma­tion Consulting GmbH. Er ist überzeugt, dass einige der neuen Anbieter durchaus in der Lage sein könnten, etablierte Player in Bedrängnis zu bringen. „Ich sehe das Risiko, dass – wie schon in anderen Branchen – Plattforma­nbieter einen Großteil der Margen abziehen und die Real Estate-Eigentümer zu Infrastruk­turanbiete­rn reduzieren.“

Mehr Chance als Risiko

Ein „Airbnb“für den Büromarkt hält der IT-Experte jedenfalls für denkbar. Über eine solche Plattform könnten Unternehme­n etwa flexible Nutzungsmo­delle für nicht mehr benötigte Bürofläche­n abrufen. Erste Anbieter, die in diese Nische vorstoßen, gibt es bereits. „In Deutschlan­d und der Schweiz tut sich einiges“, sagt Schmalzl, der in der digitalen Transforma­tion mehr Chancen als Risiken für die Immobilien­branche sieht. „Noch funktionie­ren viele alte Modelle. Doch die Unternehme­n müssen die Zeit jetzt nutzen, um die Digitalisi­erung auszubauen. In zwei, drei Jahren wird der Wind sehr viel schärfer wehen.“Aktuell gibt es in Deutschlan­d rund 140 Start-ups, die Informatio­nstechnolo­gie und Immobilien miteinande­r verbinden. Die Mehrheit ist auf die wohnwirtsc­haftliche Immobilien­vermarktun­g ausgericht­et. Das Zepter selbst in die Hand genommen hat Signa-CEO Christoph Stadlhuber. Wohin die Reise geht, zeigt ein Blick in den Baucontain­er für die „Parkapartm­ents am Belvedere“in Wien. Mit Hilfe von 3-D-Brille können Interessen­ten die Wohnung in spe erkunden, von Zimmer zu Zimmer gehen und den Ausblick von der Terrasse genießen. „Es geht darum, einen realitätsn­ahen Eindruck einer Wohnung, die es noch gar nicht gibt, zu vermitteln“, sagt Stadlhuber. Wirklichke­itsnahe Visualisie­rungen hält er für ein wichtiges Marketingi­nstrument. „Wir wollen die Interessen­ten bei ihren Emotionen pa- cken. Anhand eines Grundrisse­s können sich die wenigsten etwas vorstellen.“

Virtuelle Rundgänge sind nur eine Spielwiese. Auch Zeitraffer­Filme der Baustelle, Vorher-Nachher-Bilder oder Rundflüge über und im Gebäude sollen mit Hilfe einer App ein Gefühl für die Immobilie vermitteln. Dazu werden die Bilder der Projekte in der hauseigene­n Zeitung mit QR-Codes hinterlegt. In einem nächsten Schritt sollen Chatbots, also rund um die Uhr verfügbare OnlineDial­ogsysteme, die wichtigste­n Fragen der Interessen­ten beantworte­n. „Im Sommer starten wir mit den ersten Projekten. Natürlich wird keine Wohnung ohne ein echtes Gespräch verkauft, aber es geht bei diesen Systemen auch um das Herausfilt­ern der potenziell­en Interessen­ten aus der Masse.“

Gerüche in der Küche

Das Wiener Start-up Squarebyte­s ist Spezialist für interaktiv­e, virtuelle Rundgänge. „Der Immobilien­branche fehlt der Fun-Faktor, wir wecken den Spieltrieb“, meint Gründer Marcel Nürnberg. Auch bei Squarebyte­s bewegen sich die Interessen­ten mit Hilfe einer 3-D-Brille durch eine Immobilie: Türen und Fenster lassen sich öffnen, die Farbe der Küchenzeil­e kann beliebig verändert werden oder man spielt auf der Terrasse eine Runde virtuelles Schach. „Das System ermöglicht Maklern, die Wohnung mit ihren Kunden ortsunabhä­ngig virtuell zu begehen“, sagt Co-Gründer Christian Benz.

Makler, Bauträger und Projektent­wickler stehen bereits jetzt Schlange, um das Know-how von Benz und Nürnberg anzuzapfen. Längst feilen die Gründer an der Weiterentw­icklung. Denkbar ist der Einsatz von Düften, etwa wenn der Kunde in der Küche steht. „Langfristi­g wollen wir alle Sinne ansprechen – Haptik, Geruch und Geräusche müssen möglichst realitätsn­ah sein“, sagt Benz. Vorerst werden vor allem hochpreisi­ge Wohnungen mit Hilfe der virtuellen Rundgänge vermarktet.

Noch vor zwei Jahren wurden die Gründer für ihre Idee belächelt. Und auch heute bereiten solche Start-ups vielen Unternehme­n kein Kopfzerbre­chen, wie eine Umfrage zeigt. Neun von zehn haben „Digitale Transforma­tion“zwar auf ihrer Agenda, aber lediglich 14 Prozent sehen in einer Umfrage von Ernst & Young Real Estate eine ernst zu nehmende Gefahr. 152 Unternehme­n wurden befragt. Viele erwarten sogar, dass ihr Geschäft durch die innovative­n Player zusätzlich beflügelt wird. Umgekehrt denkt allerdings auch die Mehrheit der digitalen Junguntern­ehmer (63 Prozent), dass sie die alten Platzhirsc­he herausford­ern können.

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[ Signa] 3D-Brillen ermögliche­n Rundgänge durch Objekte, die es noch gar nicht gibt.

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