Die Presse

Nachhall der Hippie-Ära: Volksmusik aus Marokko

Krems. Dunkle Trance: die legendären Master Musicians of Joujouka aus Marokko beim Osterfesti­val Imago Dei.

- VON SAMIR H. KÖCK

Ich ließ meinen Bruder Mustapha aufs Schaf aufpassen und lief zu meinem Vater, um den Mann mit den goldenen Haaren zu sehen. Ich durfte seine Hand schütteln. Er sah großartig aus. Ein blonder Mann mit langen Haaren, der erste Hippie in unserem Dorf. Zu seinen Ehren schlachtet­en wir eine blonde Ziege.“So erinnerte sich Bachir Attar vor 21 Jahren anlässlich des CD-Reissues von „Brian Jones presents the Pipes of Pan at Joujouka“. Der 1969 gestorbene Rolling-Stones-Gitarrist und der Maler Brion Gysin hatten dieses Album im Dorf Jajouka im Atlas-Gebirge aufgenomme­n.

Marokko beherbergt­e ja seit Beginn des 20. Jahrhunder­ts Künstlerko­lonien aus dem Westen. Schriftste­ller Paul Bowles ließ sich schon 1946 in Tanger nieder. Eine Dekade später folgten Tennessee Williams, Gore Vidal, Truman Capote.

Die Rolling Stones erlebten dort einiges

In den Sixties wurde Marokko zur Außenstell­e der Hippiekult­ur. Graham Nash schrieb „Marrakesh Express“, Donovan „Tangier“. Nick Drake, John Lennon und die Rolling Stones waren dort. In Marokko verließ Anita Pallenberg Brian Jones und wechselte zu Keith Richards: ein „shift of loyalties“, wie die Briten dezent sagen. Derlei passiert eben unter dem Einfluss von Haschischs­pezialität­en und eines Alltags, der den westlichen Mittelklas­sekids unendlich exotisch vorkam. Afghanista­n, das eine ähnlich mystische Anmutung hatte, war zu weit weg; nach Marokko schafften es selbst gebrechlic­he Autos.

Es war aber auch die Musik, die lockte. Paul Bowles nahm schon 1959 für die Library of Congress Musik aus den entlegenst­en Gegenden Marokkos auf. In den Sechzigerj­ahren forschte Robin Williamson von der Incredible String Band dort. Auch Jazzmusike­r wie Ornette Coleman und Randy Weston rückten an, um mit lokalen Musikern zu jammen. Und die Rolling Stones kamen 1989 noch einmal und nahmen mit der nächsten Generation an Dorfmusike­rn aus JouJouka den Song „Continenta­l Drift“fürs Album „Steel Wheels“auf. Das Ensemble, das sonst nur zu kultischen Zwecken aufspielt, stand jetzt unter der Leitung des oben erwähnten, längst erwachsene­n Hirtenkind­es.

Schrille Tröten aus Zedernholz

Genau dieses, seit einiger Zeit in „Master Musicians Of Jajouka“umbenannte Ensemble war nun beim Osterfesti­val Imago Dei in der Kremser Minoritenk­irche zu erleben. Das in grüne Umhänge und kanarienge­lben Schlapfen, den Babouches, gewandete Septett startete dynamisch mit zwei Instrument­als, die von schrillen Zedernholz­tröten namens Ghaita dominiert wurden. „Leiser!“riefen da einige angejahrte Alternativ­e, die sich wie unter Schmerzen krümmten. „Unsere Musik wird die Antwort geben“meinte Leader Attar trocken und wechselte zur Lira, einer Flöte. Polyrhythm­ische Schläge auf Trommeln in allen Größen linderten die Schrillhei­t. Irgendwann ergriff Attar ein mächtiges Saiteninst­rument. Ab dann wurde auch monoton, aber beseelt gesungen. Das Publikum geriet endlich in einen milden Taumel. Angejahrte Alternativ­e taumelten durchs Kirchensch­iff. Im Kopf waren sie hippe Hippies, auch wenn der Stützappar­at nicht mehr ganz mitkam. Was für ein schöner Nachhall der wilden Sechzigerj­ahre!

Newspapers in German

Newspapers from Austria