Abschied von der Arbeit
Roboter. Jeden zweiten Job wird künftig ein Roboter übernehmen. Experten fordern Menschenquoten für die Produktion, maximal 30 Stunden Arbeit und das Gütesiegel „made by Humans“.
Wien. Hätten Sie ein Problem damit, wenn Ihnen ein Roboter den Bauch aufschneidet? Es mag überraschen, aber drei von vier Europäern wären durchaus bereit, Routineeingriffe wie eine Blinddarm-OP von einer Maschine statt einem Arzt durchführen zu lassen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie des Beratungsunternehmens PwC. Noch sind Millionen Industrieroboter vor allem damit beschäftigt, Autos und Computerchips zusammenzubauen. Aber das wird nicht so bleiben. In den nächsten 20 Jahren, so die vorliegenden Schätzungen, werden selbstlernende Computer und intelligente Roboter etwa die Hälfte der Jobs übernehmen, die heute von Menschen verrichtet werden. Betroffen sind nicht nur Fabrikarbeiter, sondern auch Buchhalter, Ärzte oder Anwälte. Selbst Pianisten haben neue Konkurrenz, seit Steinway & Sons selbstspielende Konzertflügel baut.
Gesellschaft und Gesetzgeber sind darauf nicht vorbereitet, warnt nun die International Bar Association (IBA), die Vereinigung aller Juristen weltweit. Auf 120 Seiten listen die Rechtsexperten auf, welche Gesetze es brauchen wird, wenn die Menschen stückchenweise aus dem Arbeitsprozess gedrängt werden. Denn eines ist klar: Preislich können weder der österreichische noch der chinesische Automonteur mit einem Industrieroboter mithalten, der fünf Euro die Stunde kostet, nie krank wird, keine Kinder bekommt und auch nicht zum Streik programmiert wurde.
Es sei denn, die Regierungen greifen ein, um die befürchtete Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. An Ideen mangelt es der IBA nicht: Gesetzgeber könnten eine „Menschenquote“in der Produktion einführen, um Arbeiter in Beschäftigung zu halten, oder Berufe wie die Kinderbetreuung prinzipiell für Menschen reservieren. Robotersteuern müssten den Ausfall der Lohnsteuer kompensieren, die Einführung des Gütesiegels „made by Humans“(„Von Menschen gemacht“) könnte die Konsumenten für die Problematik sensibilisieren. Ebenfalls praktikabel wäre nach Ansicht der Juristen eine gesetzliche Obergrenze für Arbeitszeit bei 30 Stunden. Man sieht: Von der aktuellen politischen Debatte sind diese Ansätze ein Stück weit entfernt.
Mensch und Staat in der Existenzkrise
Alles nur Panikmache, kontern die Optimisten. Immerhin hat bisher noch jede technische Revolution mehr Jobs gebracht als gekostet. Und gerade Europa werde auch von der Roboterisierung profitieren, so die Argumentation. Denn wenn die Lohnkosten keine Rolle mehr spielen, ist der Weg frei für eine Renaissance der Industrie am alten Kontinent. Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits: So lässt Adidas seit einiger Zeit wieder Turnschuhe in Deutschland statt in Asien fertigen – von Robotern, versteht sich.
Doch diesmal ist es anders, so die Studienautoren. Die Veränderung komme schneller und greife tiefer als alle zuvor. Laut der International Federation of Robotics wurden im Vorjahr 300.000 neue Industrieroboter in Betrieb genommen. Heuer kommen 320.000 dazu, 2018 weitere 350.000. Nicht mitgezählt sind Roboter wie jene, die im japanischen Henn-na Hotel Gäste begrüßen, Koffer tragen, Zimmer reinigen und Essen kochen.
Diese Entwicklung wird die Kluft zwischen Arm und Reich weiter aufreißen, warnt die IBA: „Viele Menschen werden arbeitslos werden, während einige hoch Qualifizierte ihren Wohlstand massiv erweitern können.“Die gesellschaftspolitische Sprengkraft ist enorm. Der Sprung vom Acker in die Fabrik während der ersten industriellen Revolution war ein Klacks verglichen mit jenem vom Büro auf die Parkbank. Das Ende der bezahlten Lohnarbeit für die Massen stürzt Mensch und Staat in Sinn- und Existenzkrisen.
Besser sinnlose Jobs als gar kein Job?
Eine mögliche Antwort auf das Dilemma wird dieser Tage in Japan erprobt. In kaum einem Land sind mehr Roboter im Einsatz als hier. Gleichzeitig sind japanische Unternehmen höchst kreativ, wenn es darum geht, mehr oder weniger sinnvolle Jobs für die Menschen zu schaffen. In Japan haben selbst die kleinsten Baugruben menschliche Aufpasser, die Supermarktgänge werden rund um die Uhr von uniformierten Greisen gereinigt. Es gibt zwei Gründe für diese teure Jobbeschaffung: Das japanische Sozialnetz ist löchriger als jenes in Europa. Die Menschen müssen arbeiten, um gut über die Runden zu kommen. Zudem ist das Volk anscheinend zu einer kollektiven Erkenntnis gekommen, die Österreich wohl noch bevorsteht: Die meisten Japaner sind überzeugt, dass es besser ist, Sinn und Struktur mit noch so simplen Tätigkeiten zu finden, als sozial abgesichert, aber ohne Aufgabe, daheimzusitzen.