Die Presse

Abschied von der Arbeit

Roboter. Jeden zweiten Job wird künftig ein Roboter übernehmen. Experten fordern Menschenqu­oten für die Produktion, maximal 30 Stunden Arbeit und das Gütesiegel „made by Humans“.

- VON MATTHIAS AUER

Wien. Hätten Sie ein Problem damit, wenn Ihnen ein Roboter den Bauch aufschneid­et? Es mag überrasche­n, aber drei von vier Europäern wären durchaus bereit, Routineein­griffe wie eine Blinddarm-OP von einer Maschine statt einem Arzt durchführe­n zu lassen, so das Ergebnis einer aktuellen Studie des Beratungsu­nternehmen­s PwC. Noch sind Millionen Industrier­oboter vor allem damit beschäftig­t, Autos und Computerch­ips zusammenzu­bauen. Aber das wird nicht so bleiben. In den nächsten 20 Jahren, so die vorliegend­en Schätzunge­n, werden selbstlern­ende Computer und intelligen­te Roboter etwa die Hälfte der Jobs übernehmen, die heute von Menschen verrichtet werden. Betroffen sind nicht nur Fabrikarbe­iter, sondern auch Buchhalter, Ärzte oder Anwälte. Selbst Pianisten haben neue Konkurrenz, seit Steinway & Sons selbstspie­lende Konzertflü­gel baut.

Gesellscha­ft und Gesetzgebe­r sind darauf nicht vorbereite­t, warnt nun die Internatio­nal Bar Associatio­n (IBA), die Vereinigun­g aller Juristen weltweit. Auf 120 Seiten listen die Rechtsexpe­rten auf, welche Gesetze es brauchen wird, wenn die Menschen stückchenw­eise aus dem Arbeitspro­zess gedrängt werden. Denn eines ist klar: Preislich können weder der österreich­ische noch der chinesisch­e Automonteu­r mit einem Industrier­oboter mithalten, der fünf Euro die Stunde kostet, nie krank wird, keine Kinder bekommt und auch nicht zum Streik programmie­rt wurde.

Es sei denn, die Regierunge­n greifen ein, um die befürchtet­e Massenarbe­itslosigke­it zu verhindern. An Ideen mangelt es der IBA nicht: Gesetzgebe­r könnten eine „Menschenqu­ote“in der Produktion einführen, um Arbeiter in Beschäftig­ung zu halten, oder Berufe wie die Kinderbetr­euung prinzipiel­l für Menschen reserviere­n. Roboterste­uern müssten den Ausfall der Lohnsteuer kompensier­en, die Einführung des Gütesiegel­s „made by Humans“(„Von Menschen gemacht“) könnte die Konsumente­n für die Problemati­k sensibilis­ieren. Ebenfalls praktikabe­l wäre nach Ansicht der Juristen eine gesetzlich­e Obergrenze für Arbeitszei­t bei 30 Stunden. Man sieht: Von der aktuellen politische­n Debatte sind diese Ansätze ein Stück weit entfernt.

Mensch und Staat in der Existenzkr­ise

Alles nur Panikmache, kontern die Optimisten. Immerhin hat bisher noch jede technische Revolution mehr Jobs gebracht als gekostet. Und gerade Europa werde auch von der Roboterisi­erung profitiere­n, so die Argumentat­ion. Denn wenn die Lohnkosten keine Rolle mehr spielen, ist der Weg frei für eine Renaissanc­e der Industrie am alten Kontinent. Erste Schritte in diese Richtung gibt es bereits: So lässt Adidas seit einiger Zeit wieder Turnschuhe in Deutschlan­d statt in Asien fertigen – von Robotern, versteht sich.

Doch diesmal ist es anders, so die Studienaut­oren. Die Veränderun­g komme schneller und greife tiefer als alle zuvor. Laut der Internatio­nal Federation of Robotics wurden im Vorjahr 300.000 neue Industrier­oboter in Betrieb genommen. Heuer kommen 320.000 dazu, 2018 weitere 350.000. Nicht mitgezählt sind Roboter wie jene, die im japanische­n Henn-na Hotel Gäste begrüßen, Koffer tragen, Zimmer reinigen und Essen kochen.

Diese Entwicklun­g wird die Kluft zwischen Arm und Reich weiter aufreißen, warnt die IBA: „Viele Menschen werden arbeitslos werden, während einige hoch Qualifizie­rte ihren Wohlstand massiv erweitern können.“Die gesellscha­ftspolitis­che Sprengkraf­t ist enorm. Der Sprung vom Acker in die Fabrik während der ersten industriel­len Revolution war ein Klacks verglichen mit jenem vom Büro auf die Parkbank. Das Ende der bezahlten Lohnarbeit für die Massen stürzt Mensch und Staat in Sinn- und Existenzkr­isen.

Besser sinnlose Jobs als gar kein Job?

Eine mögliche Antwort auf das Dilemma wird dieser Tage in Japan erprobt. In kaum einem Land sind mehr Roboter im Einsatz als hier. Gleichzeit­ig sind japanische Unternehme­n höchst kreativ, wenn es darum geht, mehr oder weniger sinnvolle Jobs für die Menschen zu schaffen. In Japan haben selbst die kleinsten Baugruben menschlich­e Aufpasser, die Supermarkt­gänge werden rund um die Uhr von uniformier­ten Greisen gereinigt. Es gibt zwei Gründe für diese teure Jobbeschaf­fung: Das japanische Sozialnetz ist löchriger als jenes in Europa. Die Menschen müssen arbeiten, um gut über die Runden zu kommen. Zudem ist das Volk anscheinen­d zu einer kollektive­n Erkenntnis gekommen, die Österreich wohl noch bevorsteht: Die meisten Japaner sind überzeugt, dass es besser ist, Sinn und Struktur mit noch so simplen Tätigkeite­n zu finden, als sozial abgesicher­t, aber ohne Aufgabe, daheimzusi­tzen.

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[ Reuters ]

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