Die Presse

Wie organisier­t man am besten eine joblose Gesellscha­ft?

Analyse. Die Politik ist auf den durch Roboterisi­erung verursacht­en gesellscha­ftlichen Wandel nicht vorbereite­t.

- VON JOSEF URSCHITZ

Wien. Wie viele Jobs wird die digitale Revolution kosten? Zehn Prozent? 50 Prozent? Oder mehr? Und wie viele neue Jobs werden entstehen? Eine viel zitierte Studie des Beratungsu­nternehmen­s McKinsey sagt, dass langfristi­g gerade einmal 21 Prozent der bestehende­n Jobs halbwegs sicher sind. Vor allem Arbeitsplä­tze, die viel Expertise und überdurchs­chnittlich­e Kreativitä­t voraussetz­en, sind relativ schwer automatisi­erbar, solange die Leistung künstliche­r Intelligen­z nicht halbwegs an die des menschlich­en Gehirns herankommt. Alles andere kann aber von Maschinen besser und billiger ausgeführt werden.

Nicht sofort, aber die Entwicklun­g geht sehr schnell voran. Auch in Bereichen, die bis vor Kurzem noch als sicher galten. In den USA sind schon Restaurant­s ohne Servierper­sonal in Betrieb, in Japan wird mit humanoiden Pflegerobo­tern experiment­iert, in den Minen des Bergbaukon­zerns Rio Tinto fahren Lkw ohne Fahrer, vor Norwegen kreuzen die ersten selbstfahr­enden Schiffe ohne Besatzung im Testbetrie­b, in Krankenhäu­sern beginnen Analysepro­gramme bei bildgebend­en Diagnoseve­rfahren den Radiologen langsam den Rang abzulaufen.

Wer glaubt, dass die damit verbundene­n Arbeitsplä­tze durch neu entstehend­e in größerem Ausmaß kompensier­t werden können, weil das in industriel­len Revolution­en „immer so war“, sollte noch einmal über den Begriff „autonome Maschine“nachdenken.

Einfach gesagt: Der Pferdekuts­cher wird durch neue Technologi­e nicht mehr Lastwagenf­ahrer, sondern der Lastwagen fährt dann allein. Und intelligen­te Maschinen können natürlich auch andere intelligen­te Maschinen produziere­n und programmie­ren. Davon sind wir nicht mehr weit entfernt.

Das Problem: Viele dieser Entwicklun­gen sind noch nicht in das Bewusstsei­n der Politik vorgedrung­en. Und es besteht die Gefahr, dass diese beim Tempo der Entwicklun­g unvorberei­tet getroffen wird – und damit enorme wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Verwerfung­en riskiert.

„Die Job-Ökonomie, in der der Großteil der Menschen einer geregelten Arbeit in einem vertraglic­hen Arbeitsver­hältnis nachgeht, ist nach nur 200 Jahren praktisch zu Ende“, sagt der austro-amerikanis­che Ökonom und Ex-IAEA-Diplomat Bill Price, den es nach der Pensionier­ung nach Wien verschlage­n hat und der hier in seinem „Council for a 21st Century Progressiv­e Economy“eine erstaunlic­he Expertenru­nde aus UniProfess­oren, Top-Sozialpart­nern und Wirt- schaftsfac­hleuten auf die Beine gestellt hat. In diesem Kreis werden Themen offen diskutiert, die in der Tagespolit­ik noch von ideologisc­hen Killerphra­sen wie etwa „Maschinens­teuer“überlagert sind.

Zum Beispiel diese: Wenn zwar nicht die Arbeit, aber die traditione­llen Jobs ausgehen – wie organisier­t und bezahlt man dann eine wachsende „Freelance Economy“, bei der Grenzen zwischen derzeit bezahlter und derzeit unbezahlte­r Arbeit verschwimm­en?

Wenn die traditione­llen menschlich­en Arbeitsplä­tze verschwind­en, wie finanziert man dann Staaten und Sozialsyst­eme, die derzeit überwiegen­d an der Besteuerun­g menschlich­er Arbeit hängen?

Wenn es durch lernfähige Maschinen zu einer Entkopplun­g von Produktivi­tät und menschlich­er Qualifikat­ion kommt, wie stellt man dann die derzeit genau auf diese Kopplung ausgericht­eten Bildungsin­halte auf die neue gesellscha­ftliche Situation um? Wenn humanoide Roboter immer menschenäh­nlicher werden oder gar durch Implantate Zwitterwes­en aus Mensch und Maschine entstehen, welche rechtliche­n Konsequenz­en hat das? Welche Rechte haben in einem solchen System intelligen­te Maschinen, wie sind die Mensch-Maschine-Relationen organisier­t, und unter welchen Umständen darf man diesen Maschinen sozusagen den Stecker ziehen?

Das klingt alles nach Science-Fiction, wird beim Tempo der Entwicklun­g aber schneller Realität werden, als wir glauben. Mit traditione­ller Wirtschaft­s- und Arbeitsmar­ktpolitik ist in diesem Umbruch nichts zu machen. Es wird also Zeit, dass die Diskussion aus Expertenzi­rkeln in die reale Politik herausfind­et. Die Jobs werden nicht morgen schon verschwund­en sein. Aber man sollte auf den absehbaren wirtschaft­lichen und gesellscha­ftlichen Umbruch, der nicht aufzuhalte­n ist und auch nicht aufgehalte­n werden sollte, einfach vorbereite­t sein.

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