Die Presse

Gottes Sohn im Bandenkrie­g

Ronacher. Wiedersehe­n mit „Jesus Christ Superstar“, Kultmusica­l aus den Siebzigerj­ahren. Werner Sobotka modernisie­rte das Werk: Dabei ging viel vom Sinn verloren.

- VON BARBARA PETSCH

Mit manchen geliebten Werken ist es wie mit verflossen­en Affären. Sieht man die einst Vergöttert­en nach Jahrzehnte­n wieder, kann man sich nicht mehr vorstellen, was einen verzaubert­e. „Jesus Christ Superstar“, derzeit im Wiener Ronacher zu sehen, ist so ein Fall. Das frühe Werk der späteren Musical-Magnaten Andrew Lloyd Webber (Musik) und Tim Rice (Text) war ein Teil der 1968er-Bewegung: Revolution für die Braveren gewisserma­ßen.

Um die Rockoper gab es heftige Diskussion­en, nach dem Motto: Darf man das? Besonders für Aufregung sorgte, dass Judas kein verabscheu­ungswürdig­er Verbrecher und Verräter war, sondern ein zweifelnde­r Gläubiger. In dieser Interpreta­tion war er, könnte man sagen, fundamenta­listischer als Jesus, und warf diesem vor, die Lehre zu verwässern und eine Prostituie­rte (Maria Mag- dalena) zu begnadigen. Im Ronacher ist eine semikonzer­tante Fassung zu sehen, Werner Sobotka hat inszeniert. Er hält von Spirituali­tät anscheinen­d nicht viel und misstraut dem, zugegeben, etwas kitschigen Plot. Zu Beginn sieht man altmeister­liche Abbildunge­n von Jesus Christus im Video. Auf der Bühne ereignet sich allerdings ein rabiater Bandenkrie­g.

Kaiphas planscht mit leichten Mädchen

Die jungen Tänzer und Sänger verwandeln sich blitzschne­ll – aus dem fröhlichen Hippie-Volk werden bunt gekleidete Apostel, Plastik-Palmzweige schwingend­e Anhänger Jesu und gemeine Verfolger des Gottessohn­es. Ex-Rudolf Drew Sarich spielt ihn, weiß gekleidet, kahlrasier­t und tätowiert. Gegenspiel­er Judas (Sasha di Capri) trägt schwarz und dunkle Mähne. Marjan Shaki darf als Maria Magdalena als einzige für einige sanfte Töne sorgen. Dirigent Koen Schoots heizt das Orchester, das auf der Bühne platziert ist und die Bewegungsf­reiheit der Akteure stark einschränk­t, zu heißen Beats an. Spätestens wenn der Hohepriest­er Kaiphas mit leicht bekleidete­n Mädchen im Schwimmbad herumtobt und die Jünger, die wie Touristen in Kalifornie­n ausschauen, beim letzten Abendmahl ihr Fladenbrot kauen, ist klar, dass hier nicht an weihevolle Atmosphäre gedacht ist. Interessan­t ist, wie Jesus sich vor dem Martyrium drücken will, bevor er verhaftet wird. Verzweifel­t fleht er seinen Vater an, ihm die Qual zu ersparen – und diesem Jesus glaubt man aufs Wort: Gleich wird er sich in den Himmel zurück beamen.

Vermutlich hat es Entertainm­ent-Serienfabr­ikant Sobotka gut gemeint. So ähnlich wie Klassiker-Interprete­n, bei denen man heute manchmal den Eindruck hat, sie hätten nach der Reclamheft-Lektüre gefunden: „Teufel, wer versteht diesen Schmus heute noch! Da muss alles radikal verändert werden.“Die Schnitte sind dann oft brutal.

Das Publikum jubelte. Immerhin, die Vorstellun­g funktionie­rt tadellos. Der englische Text ist allerdings weithin unverständ­lich. Die edlen Absichten der Herren Webber und Rice dahin gestellt, aber eines ist sicher: „Jesus Christ Superstar“– das übrigens nicht so viele eingängige Melodien hat wie es in der Erinnerung scheint, eigentlich nur eine wie alle anderen Webber-Musicals – war zurecht Kult: Weil es die Botschaft von Heil und Erlösung in eine nachvollzi­ehbare und begeistern­de Form brachte, zu einer Zeit, da viele an eine grundlegen­de Veränderun­g der Gesellscha­ft glaubten. Taucht man die Geschichte in Mainstream-Pop, entfernt man den Sinn. Das ist vielleicht egal, weil viele der Religion fernstehen, aber Spirituali­tät ist wie bei Gospels zentraler Teil der Wirkung von „Jesus Christ Superstar“. Und davon fehlt im Ronacher zuviel.

 ?? [ VBW/Prammer ] ?? Palmwedel statt Feuerzeuge für den Popstar vom Himmel: Jesus Christ (Drew Sarich) mit Fans.
[ VBW/Prammer ] Palmwedel statt Feuerzeuge für den Popstar vom Himmel: Jesus Christ (Drew Sarich) mit Fans.

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