Die Presse

Jede Bewegung fragt: Warum?

Staatsoper. John Crankos subtiles Puschkin-Ballett zu Musik von Tschaikows­ky, die nicht aus der gleichnami­gen Oper stammt, ist in exquisiter Besetzung wieder zu erleben.

- VON WILHELM SINKOVICZ „Onegin“, Wiederholu­ng heute, 12. April)

Onegin“– von Tschaikows­ky, seit Mitte der Sechzigerj­ahre gibt es dafür zwei Möglichkei­ten. John Cranko hat den Puschkin-Stoff, den der Komponist zur Oper gemacht hat, in ein Ballett verwandelt. Kurt-Heinz Stolze arrangiert­e wenig bekannte Musik des russischen Meisters, vor allem Klavierstü­cke, zu einer symphonisc­hen Partitur. Die ist nicht von jener Qualität, enthält nicht so viele „Ohrwürmer“, wie sie Tschaikows­ky für seine Oper eingefalle­n sind, gibt aber dem Choreograp­hen die Chance, der Handlung auf theatralis­ch direkt zupackende Art nachzuspür­en.

Die Oper hat der Komponist ja ausdrückli­ch mit der Genrebezei­chnung „lyrische Szenen“versehen – und vermeidet darin viele der üblichen, erfolgvers­prechenden dramaturgi­schen Kunstgriff­e. Etwa verpufft das Finale des ersten Akts wirkungslo­s, weil die Sensoren ganz nach innen, in die Gefühlswel­ten der Figuren gerichtet sind. Dort lotet zwar auch Cranko hin, aber er bündelt die Rückgabe des Liebesbrie­fes durch Onegin und die Ballszene, während derer es im Streit um Tatjanas Schwester Olga zur Entzweiung zwischen den Freunden Onegin und Lenski kommt, zum Showdown.

Auch sucht und findet er – etwa dann, wenn Tatjana im Finale Onegins Brief zerreißt – Reprisenwi­rkungen, um seine Arbeit formal zu runden. Diese inszenator­ische Feinarbeit nutzt das Staatsball­ett in der aktuellen Neueinstud­ierung zur differenzi­erten Gestaltung und zeigt sich firm in allen Lagen von Crankos Stilmix, er reicht vom derb-rustikalen Ton bis zur adeligen Polonaisen-Noblesse. Das Orchester sorgt – dank Guillermo Garcia Calvo vollkommen mit dem Tanz und häufig auch in sich selbst koordinier­t – für die nötige Stimmungsk­ulisse.

Tatjanas Seelen-Porträt

Die Solisten brillieren. Allen voran Roman Lazik, der im Onegin vielleicht seine IdealRolle gefunden hat. Grandios, wie er die gelangweil­te Herablassu­ng dieses Snobs in Bewegung und Gebärde umzusetzen weiß: Im ersten Pas-de-deux scheint jede energisch begonnene Figur müde auszulaufe­n; doch wird dieses Ekelpaket von einem jungen Mann in der Fantasie des jungen Mädchens zu einem Traumprinz­en: In der Spiegelsze­ne – dem Gegenstück zur „Briefszene“der Oper – ist er der leidenscha­ftlichste, dabei zärtlichst­e Liebhaber, den eine Dame sich nur erträumen kann. Die fabelhafte Nina Pola-´ kova´ ertanzt sich mit diesem Phantom-Bild ein kurzes Gastspiel im Siebenten Himmel.

Sie selbst wird dabei von der schüchtern­en Leseratte zur leidenscha­ftlichen jungen Frau; was in behutsam gesteigert­em Crescendo der Arm- und Beinarbeit in der Eingangssz­ene ahnungsoll mitschwing­t, erblüht hier zur vollen Ballerinen-Herrlichke­it. Ein Meisterstü­ck der Polakov´a´ ist auch die Rücknahme aller Emotionen im Schluss-Akt, wenn sie an der Seite ihres Ehemanns, des Grandseign­eurs Gremin (Alexis Forabosco) elegant und hoheitsvol­l agiert, aber innerlich gar nicht mehr beteiligt scheint. Im letzten Pas-de-deux mit Onegin droht sie zwar - auch das psychologi­sch sensibel umgesetzt – kurz die Contenance zu verlieren, erteilt dem nun in höchster Ekstase Werbenden dann aber eine kalte Abfuhr. In solcher Vielschich­tigkeit erzählen Tänzer diese Gesichte wahrlich nicht alle Tage. Alice Firenze dazu als kecke Olga, die, wie ihr erstes Solo beweist, ihre melancholi­sche Seiten ebenso zu zelebriere­n versteht wie ihre Lebenslust.

Verehrer Lenski hat es neben einer solchen Vollblutfr­au nicht leicht, das erweist sich, sobald Masyu Kimoto sich um adäquate Leichtigke­it und Eloquenz bemüht. Hie und da landet er nach Höhenflüge­n etwas unsanft . . .

 ?? [ Staatsoper/Taylor ] ?? Ein Traumpaar für John Crankos „Onegin“: Roman Lazik und Nina Polakov´a´ (Tatjana).
[ Staatsoper/Taylor ] Ein Traumpaar für John Crankos „Onegin“: Roman Lazik und Nina Polakov´a´ (Tatjana).

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