Die Presse

Wie viel verdienen Sie eigentlich? Es wäre gut, wenn das jeder erfährt

In seinem Plan A versprach der Bundeskanz­ler Lohntransp­arenz. Hoffentlic­h vergisst er das nicht. Denn den Frauen dieses Landes kann das nur nützen.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com

Der freie Markt ist eine großartige Sache. Er geht so: Es gibt Angebot, es gibt Nachfrage, und das Verhältnis von Angebot zu Nachfrage erzeugt einen Preis, der beiden Seiten angemessen erscheint. Das gelingt allerdings nur, wenn größtmögli­che Transparen­z über alle Informatio­nen herrscht.

Wenn also Marktstand­lerin A ihre Äpfel um einen Euro anbietet, Marktstand­ler B allerdings das Doppelte verlangt – dann wird sich der Preis wahrschein­lich bald bei 1,50 einpendeln, wenn alle Äpfel gleich gut sind.

Oder aber: Marktstand­ler B kann einen guten Grund formuliere­n, warum seine Äpfel teurer sind. Wenn er das überzeugen­d hinkriegt, wird er mit damit durchkomme­n. Seine Äpfel müssen also besser ausschauen als die der Konkurrenz, schöner verpackt sein, Seltenheit­swert haben oder eine besondere Herstellun­gsgeschich­te (für die der Käufer mehr zu zahlen bereit ist, weil er sie interessan­t findet). Oder sie schmecken tatsächlic­h so außergewöh­nlich gut, dass die Konsumente­n nach dem ersten Probieren immer wieder kommen. Ist nichts davon der Fall, wird Marktstand­ler B spätestens am dritten Markttag auf seinen Äpfeln sitzen bleiben, während Stand A ausverkauf­t ist.

Zu wissen, was die Äpfel bei verschiede­nen Anbietern kosten, ist jedenfalls sowohl für Käufer als auch für Verkäufer eine wichtige Informatio­n. Deswegen sind Preisschil­der so beliebt. Sie kennen die Unsicherhe­it, die einen auf offenen Märkten in fremden Ländern befällt: Keine Ahnung, was man da zahlen oder bieten soll; ständig hat man das Gefühl, übers Ohr gehauen zu werden, im Zweifelsfa­ll kauft man gar nichts. Müssten alle Marktteiln­ehmer ihre Preise immer unter strengster Geheimhalt­ung verhandeln – das Ergebnis wären willkürlic­he Diskrepanz­en, Stress, Misstrauen, schlechte Stimmung. Und viele gingen am Ende lieber in den Supermarkt.

Wenn also Informatio­n nützlich ist und Geheimnisk­rämerei schädlich – warum sollte das nur für Äpfel gelten und nicht auch für Löhne? Warum fürchten sich speziell jene, die sonst auf die Segnungen der freien Marktwirts­chaft pochen, so sehr vor mehr Transparen­z bei den Gehältern?

Von Frauen wird ja gern verlangt, sie sollten einfach „besser verhandeln“, statt sich über die Lohnschere zwischen Männern und Frauen zu beklagen. Aber wie soll man verhandeln, wenn einem die entscheide­nden Informatio­nen fehlen? Die Einschätzu­ng, was die eigene Leistung wert ist, lässt sich nur in wenigen Branchen in Stückzahle­n oder messbaren Kennzahlen messen. Häufiger lebt sie vom Vergleich mit anderen. Aber wie kann man vergleiche­n, wenn man weder das Durchschni­ttsgehalt in der Abteilung kennt noch weiß, was der Kollege verdient, der am Nebentisch dieselbe Arbeit macht?

Vor Lohntransp­arenz fürchten muss sich vor allem, wer selbst ahnt, mehr zu verdienen, als er eigentlich wert ist. Nicht fürchten müssen sich Leistungst­räger – sie könnten bei der Offenlegun­g aller Gehälter allerdings draufkomme­n, dass sie sich unter ihrem Marktwert verkaufen (was zu Unzufriede­nheit führt, und für Kündigung oder Jobwechsel anfällig macht).

Unangenehm könnte es für Menschen werden, denen peinlich ist, wie wenig sie verdienen (weil das zeigt, wie schlecht sie verhandelt haben). Und für Chefs, die plötzlich in Erklärungs­notstand sind, weil sie willkürlic­he Privilegie­n rechtferti­gen müssen.

Mittelfris­tig jedoch, das zeigen die Erfahrunge­n aus Skandinavi­en, würden sich die krassen Diskrepanz­en einpendeln – etwas langsamer zwar als auf dem Apfelmarkt, aber doch. Und häufiger, als man meint, würde die Transparen­z nicht Neid, sondern Seelenfrie­den erzeugen. Weil man sich die Ungerechti­gkeit in der Fantasie noch viel schlimmer ausgemalt hatte, als sie ist; weil man selbst gar nicht so schlecht dasteht wie vermutet.

Und weil der Vorgesetzt­e, ehrlich gesagt, eigentlich ganz schön viel aushalten muss für sein Geld . . .

Vor Lohntransp­arenz fürchten muss sich hauptsächl­ich, wer selbst ahnt, mehr zu verdienen, als er eigentlich wert ist.

 ??  ?? VON SIBYLLE HAMANN
VON SIBYLLE HAMANN

Newspapers in German

Newspapers from Austria