Die Presse

„Wer die Stadt treffen will, muss den BVB treffen“

Interview. Extremismu­sforscher und BVB-Fan Borstel über Dortmunds Probleme mit Linken, Rechten und Salafisten.

- Von unserem Korrespond­enten JÜRGEN STREIHAMME­R

Die Presse: Herr Professor, unabhängig davon, wer hinter dem Anschlag steckt, hat Dortmund ein Problem? Täuscht der Eindruck, oder ist die Stadt ein Biotop für Extremismu­s von links, rechts und Salafisten? Dierk Borstel: Es stimmt, dass es in Dortmund eine überaus agile rechtsextr­eme Szene gibt, die allerdings seit Jahren stagniert. Der gelingt es aber immer wieder, mit einem Minimum an Einsatz ein Höchstmaß an Aufmerksam­keit zu erzielen. Im Bereich des Salafismus sehen wir eine starke Radikalisi­erung, wie übrigens in den letzten zwei, drei Jahren auch der linken Szene. Aber das ist noch ein blinder Fleck.

Es scheint, als würden sich diese Strömungen gegenseiti­g hochschauk­eln. Ja, es gibt Auseinande­rsetzungen, im Rahmen der jährlichen Nazi-Demonstrat­ionen in Dortmund zum Beispiel. Militante Antifaschi­sten rufen dann zum symbolhaft­en Kampf nach Dortmund. Bei diesen Gegendemon­strationen wurden von den Linken auch Steine und chemische Substanzen gegen Polizisten eingesetzt.

Warum Dortmund? Die sozialen Probleme sind hier größer als anderswo in Deutschlan­d. Es gibt hier ganze Stadtteile mit einer massiven Desintegra­tion und noch immer eine weit, weit überdurchs­chnittlich­e Arbeitslos­igkeit. Wir haben soziale Brennpunkt­e, es geht auch um Armutsmigr­ation und Kriminalit­ät, wie die Diskussion um No-Go-Areas zeigt.

Gibt es diese No-Go-Areas? Nein. Es gibt keinen Bereich in der Stadt, in den sich die Polizei nicht in Mannschaft­sstärke wagen würde. Aber wir haben einige Angstzonen, in die viele Menschen nur ungern hingehen und in denen sich teilweise kriminelle Milieus stark ausbreiten.

Woran liegen die sozialen Verwerfung­en? Die Stadt hatte ärgste Strukturpr­obleme: Einst gab es den Dreiklang Stahl, Kohle, Bier – die Brautradit­ion. Alle drei Bereiche sind mit wenigen Ausnahmen verschwund­en. Die Stadt musste sich neu erfinden und einfache Arbeiter mussten massive Opfer bringen.

Das klingt nach enormem sozialen Sprengstof­f? Ja, der BVB hat diesen Sprengstof­f ein Stück weit entschärft. Wenn der arbeitslos­e Vater nach Hause kam und mit seinem pubertiere­nden Sohn nicht mehr reden konnte, aber der BVB 2:1 im Revierderb­y gegen Schalke gewonnen hatte: Dann war es wieder gut. Soll heißen: Auch wenn alles andere doof war, auf den BVB waren wir stolz. Es kursierten zwei Schreiben. In dem einen reklamiere­n Islamisten, im anderen Antifaschi­sten den Anschlag für sich. Was halten Sie davon? Ich weiß nur: Wenn man die Stadt treffen will, also die Politik, die Gesellscha­ft, die Form, wie wir hier leben, dann muss man den BVB treffen. Trotz aller sozialen Schwierigk­eiten steht dieser Verein für den Zusammenha­lt in der Stadt. Er hat eine andere Bedeutung als andere Klubs. Vor einem Spiel sind die Straßen wie leergefegt, jeder läuft im schwarz-gelben Trikot herum. Und als „Kloppi“(Jürgen Klopp) als Trainer gegangen ist, waren hier die Fahnen auf Halbmast. Mit dem BVB trifft man die Stadt ins Mark.

Sie haben die linke Szene angesproch­en, die ein blinder Fleck sei. Warum? Es gibt eine gut strukturie­rte, in sich aber durchaus zerstritte­ne linksextre­mistische Szene in Dortmund, von der ein Teil militant ist. In diesem linken Milieu gibt es viele Graubereic­he. Von dem Problem sind auch zivilgesel­lschaftlic­he Organisati­onen bis hin zu SPD und Gewerkscha­ften betroffen.

Auffallend ist auch der massive Anstieg der Zahl der Salafisten in Ihrem Bundesland, Nordrhein-Westfalen, von 500 auf 2500 innerhalb von vier Jahren. Das kann auch daran liegen, dass man nun genauer hinsieht. Aber ja, es gibt ein Problem im Bereich Salafismus. Der Berliner Attentäter Anis Amri war auch in der Dortmunder Szene unterwegs. Das betrifft vor allem die Nordstadt Dortmunds, wo es eine starke islamistis­che Szene gibt. Das wurde aber zu spät thematisie­rt.

Dortmund und der BVB haben auch ein rechtes Problem. Die Hooligan-Gruppe „0231 Riot“zum Beispiel. Es gab jetzt zwar Stadionver­bote, aber erst nach Angriffen auf Gästefans, darunter Familien. Hat der Verein zu lange weggesehen? Alle Probleme dieser Stadt finden sich im Stadion wieder. Der BVB hat aber sehr lange das Thema Rechtsextr­emismus verschlafe­n, zuletzt jedoch viel gemacht. Aber es stimmt auch, dass wir ein Ultras-Problem haben. Dass die Ultras hinter dem Anschlag stecken könnten, schließe ich aber aus. Für die Ultras ist die Mannschaft ein Heiligtum.

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[ APA ] Ein Polizeihun­d im Stadion von Dortmund. Die Sicherheit­smaßnahmen sind massiv verstärkt worden.

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