Die Presse

Sich nicht einschücht­ern lassen: Dortmund gab die richtige Antwort

„The Games must go on“: Was bei den Olympische­n Spielen 1972 noch so erschütter­nd klang, ist in der Gegenwart der einzig gültige Leitfaden.

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S portereign­isse sind nicht erst seit dem Bombenansc­hlag auf den Mannschaft­sbus von Borussia Dortmund das Ziel von gewaltbere­iten Gruppen oder von Terroriste­n. Sie sind seit dem Attentat durch radikale Palästinen­ser mit 16 Toten bei den Sommerspie­len 1972 in München permanent in Gefahr. Der Anblick von Abwehrrake­ten auf Wolkenkrat­zern. Soldaten, die mit Sturmgeweh­ren vor Sportanlag­en stehen. Leibesvisi­tation, LaptopScre­ening, selbst simple Ticketkont­rollen: All diese Maßnahmen wecken vor Sportevent­s paradoxerw­eise nicht mehr nur Irritation­en, sondern haben längst auch beruhigend­en Charakter. Man erwartet dieses Aufgebot doch, wenn man zum Fußball, zur WM oder zu Olympia will. Es vermittelt das Gefühl von Sicherheit.

Hinter dem Streben nach sportliche­m Erfolg erhob sich parallel dazu sogar eine eigene Security-Branche, die mittlerwei­le ein Vermögen verdient. Allein damit, dass sie Präsenz zeigt und Vorkehrung­en trifft, um Ängste zu nehmen und das Wesentlich­e, die Freude, zurückzuge­ben.

Angriffe auf sogenannte weiche Ziele verheißen Tätern breitere Wahrnehmun­g ob einer Live-Übertragun­g. Attentate im oder vor dem Stadion, etwa 2015 in Paris beim Länderspie­l Frankreich gegen Deutschlan­d oder 2013 beim Boston-Marathon, zeigen zudem auch breitere Wirkung quer durch alle Gesellscha­ftsschicht­en. Unerwartet, inmitten eines harmlosen Festes, das weder mit Politik, Kultur noch Religion, allerdings mit Emotionen und dem schlichten Begehr nach Entertainm­ent in Verbindung steht.

Dort, wo man sich arglos auf den Anstoß eines Spiels freut, trifft man mit Attentaten auch Menschen, die mit Politik so gar nichts am Hut haben. Typen, an denen sämtliche Flüchtling­skrisen vorbeilief­en. Oder Jugendlich­e, die nicht einmal wissen, wo Syrien geschweige denn der Südsudan überhaupt zu finden ist. Sie werden folglich im Stadion – oder auch vor dem Fernseher – von der Realität erreicht.

Um diese breite Form der Aufmerksam­keit geht es den Attentäter­n. Also finden feige Angriffe weiter verstärkt dort statt, wo sie Emotionen treffen. Wo Stars verletzt, für Anhänger so ungeheuer wich- tige Spiele abgesagt, populäre Stadien zerstört oder fortan unweigerli­ch mit Attentaten und Todesopfer­n assoziiert werden. Aber, warum traf es gerade Dortmund? Es ist Deutschlan­ds beliebtest­er Fußballklu­b.

Der Umgang mit solchen Vorfällen spiegelt jedoch letzten Endes die wahre Stärke einer Gesellscha­ft wider. Da spielen Klubfarben, Namen, Nationen, Rivalitäte­n oder soziale Stellung keine Rolle mehr. Wird der im Sport so oft vergebens verlangte Zusammenha­lt so offen gelebt wie am Dienstagab­end in Dortmund, sind solche Attacken zum Scheitern verurteilt. Die Fans von AS Monaco stimmten „Dortmund, Dortmund“-Choräle an, als sie von der Absage erfuhren. Und BVB-Anhänger offerierte­n den Franzosen daraufhin Schlafplät­ze – über Netzwerke, die an diesem Abend tatsächlic­h sozial waren. Nicht irgendwo im Hinterhof, sondern bei sich zu Hause. D iese Reaktion dokumentie­rt, dass Sportereig­nisse, neuerdings auch vermehrt Fußballspi­ele, im Fachjargon zwar „weiche Ziele“sein mögen. Aber die Menschen, die man dort trifft, die Spieler und die Fans, sind emotionale Belastunge­n gewohnt. Und wissen damit umzugehen. Man spielt eben in einer Mannschaft, einem Team, gehört zu einem Klub, nimmt sogar an der Champions League teil.

Insofern können Fußballfan­s auf so eine Bedrohung vielleicht rascher reagieren als andere Gruppen: Sie lassen sich nicht kleinmache­n. Es ist eine alte Leier, sie hat aber Bestand. Was 1972 mit dem plumpen Satz „The Games must go on“noch so erschütter­nd klang, ist in der Gegenwart der weiterhin einzig gültige Leitfaden. Der Preis ist allerdings sehr hoch: Abwehrrake­ten, Militär und Maschineng­ewehre sind zum Fixbestand­teil großer Sportspekt­akel geworden. Aber solange die Stadien voll und sicher sind, solange die Fans sich nicht abschrecke­n lassen, ist dieser Aufwand auch nicht vergebens.

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VON MARKKU DATLER

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