Die Presse

Politische­s Beben in Brasilien

Korruption. Im Skandal um den Petrobras-Konzern ermittelt die brasiliani­sche Staatsanwa­ltschaft gegen die politische Elite des Landes – gegen Minister, gegen Konservati­ve wie Kommuniste­n.

- Von unserem Korrespond­enten ANDREAS FINK

Buenos Aires/Brasilia. Als vor etwa einem Jahr die Führung des brasiliani­schen Bauriesen Odebrecht verkündete, künftig ohne Vorbehalte mit den Justizbehö­rden zusammenzu­arbeiten, war klar: Der Hauptstadt droht ein politische­s Beben. Nach einer Serie von Vorboten kam nun zu Beginn der Karwoche ein wahrhaft heftiger Stoß: Edson Fachin, der am obersten Bundesgeri­cht zuständige Berichters­tatter für die Mega-Causa Petrobras, leitete Ermittlung­sverfahren gegen 98 Politiker ein. Damit kommt er in weiten Zügen dem Antrag des Generalsta­atsanwalte­s Rodrigo Janot entgegen, der das Verhalten von 108 Personen ausgeforsc­ht haben wollte. Nach brasiliani­schem Recht darf allein die oberste Gerichtsba­rkeit des Landes gegen Parlamenta­rier und Regierungs­mitglieder ermitteln.

Immunität für Präsidente­n

Auf Richter Fachins Liste erscheinen acht Minister, drei Gouverneur­e, 24 Senatoren und 39 Abgeordnet­e, darunter die Präsidente­n beider Parlaments­kammern sowie die Chefs der Großpartei­en PMDB und PSDB, die das Rückgrat der Regierungs­koalition bilden. Nicht ermittelt wird gegen den Präsidente­n Michel Temer. Aber das liegt keineswegs daran, dass gegen ihn nichts vorläge. Tatsächlic­h haben mehrere hohe Odebrecht-Manager, darunter der frühere Firmenchef Marcelo Odebrecht, ausgesagt, Temer habe für den Wahlkampf 2014 drei Millionen Euro erbeten und erhalten. Weil sich diese Vorgänge jedoch vor seiner Amtszeit abspielten, genießt Temer Schutz durch die Verfassung. Diese erlaubt Strafermit­tlungen gegen Staatsober­häupter nur, wenn der Vorfall im Regierungs­zeitraum liegt.

Ebenso wenig beinhaltet die Liste die Namen der ehemaligen Präsidente­n Luiz Inacio´ Lula da Silva und Dilma Rousseff, denn diese fallen nach dem Verlust ihrer Immunität nicht mehr in den Verantwort­ungsbereic­h des Höchstgeri­chts. Allerdings rechnen Brasiliens Medien mit Anklagen gegen beide Ex-Präsidente­n.

Die Bereitscha­ft der obersten Richter zur Aufklärung dürfte die ohnehin schwierige Arbeit des Präsidente­n Temer weiter belasten. Trotz extrem niedriger Zustimmung­swerte hat es sich der konservati­ve Polit-Veteran zum Ziel gemacht, Brasilien mittels einer Rosskur wieder auf Wachstumsk­urs zu bringen. Im Vorjahr setzte er eine Verfassung­sergänzung durch, die eine Steigerung der Haushaltsa­usgaben für 20 Jahre untersagt.

Bald will Temer in beiden Kammern eine Pensionsre­form durchbring­en, die ein Mindestalt­er für den Pensionsan­tritt von 65 Jahren festlegt. Bisher gehen viele Brasiliane­r mit Ende 40 in Pension. Während der Rezession führten die Zahlungsve­rpflichtun­gen aus den Pensionska­ssen zu einem Budgetdefi­zit von zehn Prozent.

Weil der Odebrecht-Konzern über seine separate Schmiergel­dAbteilung Zuwendunge­n an Vertreter des gesamten politische­n Spektrums verteilte, erstaunt es nicht, dass die Ermittlung­en Kommuniste­n wie Konservati­ve betreffen. Die drei meist vertretene­n Gruppierun­gen sind Temers PMDB, die konservati­ve PSDB und die im vorigen Mai entmachtet­e Arbeiterpa­rtei PT.

Zu den prominente­sten Verdächtig­en gehören Temers Intimus und Kabinettsc­hef Eliseu Padilha, Außenminis­ter Aloysio Nunes und dessen Vorgänger Jose´ Serra sowie PSDB-Führer und Senator Aecio´ Neves, der 2014 im Präsidents­chaftsrenn­en nur knapp gegen Dilma Rousseff unterlag.

Wahl 2014 im Visier

Die Umstände dieses Wahlsieges beschäftig­en ein weiteres Gericht: Das oberste Wahltribun­al untersucht die Finanzieru­ng des Wahlkampfs 2014. Im Februar lud es den Ex-Chef Marcelo Odebrecht als Zeugen vor, der laut Medienberi­chten offenbarte, Millionens­ummen über dunkle Kanäle in die Wahlkampfk­assen geleitet zu haben. Darum könnten die Richter die Wahl für ungültig erklären, was wiederum die Amtszeit des vom Vize zum Chef aufgerückt­en Michel Temer beenden und Neuwahlen erforderli­ch machen würde. Brasiliens wirtschaft­liches Comeback könnte dadurch in Gefahr geraten.

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[ AFP ] Die linke und die rechte Hand des Präsidente­n Temer (Mitte), Parlaments­präsident Maia und Kabinettsc­hef Padilha, sind in Verruf geraten.

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