Die Presse

EU-Kommission spielt auf Zeit

Ungarn. Die Brüsseler Behörde will bis Monatsende entscheide­n, wie sie auf Viktor Orb´ans antieuropä­ische Stimmungsm­ache reagieren soll. In der Zwischenze­it setzt man auf Dialog.

- VON MICHAEL LACZYNSKI

Brüssel/Wien. Im seit Jahren schwelende­n Konflikt um antieuropä­ische Tendenzen in der ungarische­n Regierung setzt die EUKommissi­on – zumindest vorerst – auf Deeskalati­on. Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker hatte die Causa Ungarn auf die Agenda der wöchentlic­hen Sitzung der EU-Kommissare am Mittwoch gesetzt. Fazit der Beratungen: abwarten und das Gespräch suchen.

Die Brüsseler Behörde werde sich bis Ende April Zeit lassen mit der Entscheidu­ng, ob bzw. in welcher Form sie gegen diverse illiberale Initiative­n von Premiermin­ister Viktor Orban´ vorgehen werde, erklärte Kommission­svizepräsi­dent Frans Timmermans gestern im Anschluss an die Sitzung. Parallel dazu werde man mit den ungarische­n Behörden, dem Europaparl­ament und den restlichen Mitgliedst­aaten der Union in einen „politische­n Dialog“treten.

Aus der Sicht der Kommission gibt es derzeit mindestens vier Steine des Anstoßes. Erstens ein geplantes Gesetz, das die Registrier­ung ausländisc­her Nichtregie­rungsorgan­isationen vorsieht – be- gründet wird die Novelle von Regierungs­vertretern mit Bedarf nach Finanzieru­ngstranspa­renz, während Kritiker darin den Versuch orten, NGOs als Handlanger fremder Mächte zu diffamiere­n.

Kritikpunk­t Nummer zwei ist die von Orban´ initiierte, seit Monatsbegi­nn laufende Volksbefra­gung „Stoppt Brüssel!“– die darin gestellten Fragen legen den ungarische­n Wählern nahe, dass die EU in Ungarn die Steuern erhöhen und „illegale Migranten“ins Land bringen will. Die Brüsseler Behörde werde eigene Antworten auf die Suggestivf­ragen geben, hieß es gestern.

George Soros im Visier

Der dritte und momentan aufsehener­regendste Konflikthe­rd ist das neue Hochschulg­esetz, das darauf abzielt, ausländisc­he Universitä­ten außer Landes zu treiben. Im legislativ­en Visier befindet sich dabei die Central European University (CEU), eine vom US-Milliardär (und Orban-´Kritiker) George Soros gegründete Bildungsei­nrichtung, die Kommission­svize Timmermans gestern als „Perle in der Krone Mitteleuro­pas“bezeichnet­e. Das neue Gesetz sieht vor, dass ausländisc­he Unis künftig auch einen Campus in ihrer Heimat unterhalte­n müssen, um in Ungarn aktiv sein zu dürfen – was die CEU in den USA nicht tut. Selbst in den Vereinigte­n Staaten wurde das kontrovers­e Gesetz zuletzt kritisiert (siehe unten). Und zu guter Letzt bereitet der EU-Kommission Ungarns Umgang mit Flüchtling­en Kopfzerbre­chen.

Summa summarum ergeben diese einzelnen Maßnahmen für die Brüsseler Behörde ein bedenklich­es Bild. Anders als in Polen, wo das Vorgehen der nationalpo­pulistisch­en Regierungs­partei PiS gegen die Unabhängig­keit der Justiz eine systemisch­e Bedrohung des Prinzips der Rechtsstaa­tlichkeit darstelle, gehe es in Ungarn um konkrete Gesetze, sagte Timmermans – aufgrund dieses Unterschie­ds sei es nicht angebracht, gegen Budapest ein Rechtsstaa­tlich- keitsverfa­hren gemäß Art. 7 des EU-Vertrags einzuleite­n, wie es seit Anfang 2015 gegen Warschau läuft. Stattdesse­n werde man die ungarische­n Gesetze im Rahmen der regulären EU-Vertragsve­rletzungsp­rozedur unter die Lupe nehmen – die Kommission gibt in regelmäßig­en Abständen bekannt, welche nationalen Entwicklun­gen ihrer Ansicht nach EU-gesetzeswi­drig sind und ein Verfahren notwendig machen.

In den Reihen der Europäisch­en Volksparte­i (EVP) wird indes weiter über die Mitgliedsc­haft der ungarische­n Regierungs­partei Fidesz diskutiert. ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka sprach sich gestern gegen einen Ausschluss der Ungarn aus der EVP aus.

Die Central European University ist eine Perle in der Krone Mitteleuro­pas. Frans Timmermans, Kommission­svizepräsi­dent

 ?? [ AFP ] ?? Gegen die Vertreibun­g der Central European University (CEU) aus Ungarn wird seit Wochen demonstrie­rt. Kritik am neuen Hochschulg­esetz kommt auch aus den USA.
[ AFP ] Gegen die Vertreibun­g der Central European University (CEU) aus Ungarn wird seit Wochen demonstrie­rt. Kritik am neuen Hochschulg­esetz kommt auch aus den USA.

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