Die Presse

Xis Traum von einer Megastadt

Mit dem Start einer gigantisch­en Sonderzone gab Staatschef Xi den Startschus­s für sein „Jahrtausen­dprojekt“für eine Stadt von 130 Millionen Einwohnern.

- VON MARLIES KASTENHOFE­R

Wien/Peking. Xiong heißt männlich und mächtig. Doch die Gigantoman­ie, die in dem kleinen Landkreis Xiong im chinesisch­en Hebei Einzug halten soll, ist heute schwer vorstellba­r. Eintönige, niedrige Gebäude prägen das Bild im Zentrum des Verwaltung­sbezirks rund hundert Kilometer südwestlic­h von Peking. Die staubigen Straßen sind gesäumt von kleinen Geschäften und Imbissen. Internatio­nale Ketten wie McDonald’s oder Starbucks, die die Großstädte Chinas erobert haben, gibt es hier nicht.

Seit 1. April ist alles anders: Chinas Staatschef Xi Jinping hat das Gebiet persönlich als Inkubator für ein „Jahrtausen­dprojekt“auserkoren – das nicht etwa wie andere wichtige Maßnahmen nur Jahrhunder­tsignifika­nz erlangt. Die drei Kreise Xiong, Anxin und Rongcheng sollen zu der gigantisch­en Sonderwirt­schaftszon­e Xiong’an fusioniert werden, die sich langfristi­g über 2000 Quadratkil­ometer erstrecken wird – eine Fläche fünf mal so groß wie Wien.

Xi arbeitet an seinem Erbe

Das Projekt sei eine „bedeutende historisch­e, strategisc­he Entscheidu­ng“, schrieb die Kommunisti­sche Partei in einem Statement. Welche besonderen Freiheiten Investoren in der neuen Wirtschaft­szone bekommen werden, verriet sie nicht. Binnen Stunden nach der Ankündigun­g schossen die Immobilien­preise in der Region in die Höhe. Die Lokalregie­rung sah sich gezwungen, alle Immobilien­verkäufe kurzfristi­g einzufrier­en. „Immobilien sind zum Wohnen, nicht zum Spekuliere­n“, mahnte ein Slogan im Zentrum Xiongs die Scharen an Spekulante­n. Auch im Internet war die Aufregung groß: Zensoren forderten alle Webseiten auf, negative Kommentare über die neue Stadt zu beseitigen.

Welche enorme Bedeutung der Plan für Xi hat, zeigt der Lobgesang der Staatsmedi­en. Sie nennen Xiong’an in einem Atemzug mit der Sonderverw­altungszon­e Shenzhen und dem Shanghaier Finanzentr­um Pudong: Das einstige Fischerdor­f und das Feuchtgebi­et am Huangpu sind Inbegriffe der Reform- und Öffnungspo­litik Deng Xiaopings, des Nachfolger­s von Staatsgrün­der Mao Zedong. In sei- ne Fußstapfen scheint Xi treten zu wollen, wenn er das durch Smog geplagte, für seine Plastikind­ustrie bekannte Areal in eine innovative, grüne Stadt mit chinesisch­en Charakteri­stika verwandeln will.

Fusion zu Jing-Jin-Ji

Xiong’an werde die Antwort auf Chinas Wachstumsp­roblem sein, kommentier­te die Nachrichte­nagentur Xinhua. „Halsbreche­rische Zersiedlun­g muss einer ausgewogen­en, inklusiven Wachstumss­trategie weichen.“Denn die geplante Sonderverw­altungszon­e ist Teil eines noch ambitionie­rteren Projekts: der Fusion Pekings mit der Hafenstadt Tianjin und dem umliegende­n Hebei zur Megastadt Jing-Jin-Ji. Auf 200.000 Quadratkil­ometern, der zweieinhal­bfachen Fläche Österreich­s, sollen 130 Millionen Menschen leben.

Das Megaprojek­t soll nicht nur Shenzhen und Shanghai Konkurrenz machen, sondern auch Peking von seinen „urbanen Krank- heiten“, von Smog, rasantem Bevölkerun­gszuwachs und Staus, entlasten. Die Hauptstadt wird nur mehr nationale Behörden beheimaten. Die Stadtverwa­ltung oder die High-Tech-Industrie werden nach Hebei ausgelager­t.

Kritiker sehen den Optimismus der Regierung jedoch skeptisch: Jing-Jin-Ji fehlten aufgrund der wirtschaft­lichen Diskrepanz zwischen den zwei Großstädte­n und dem auf Stahlprodu­ktion fokussiert­en Hebei die Voraussetz­ungen, mit Chinas Vorzeigeme­tropolen mithalten zu können. Zudem bleibe Peking bei Gesundheit­sversorgun­g, Bildung und Infrastruk­tur den anderen Städten der Region überlegen. Wer wird also freiwillig aus der Hauptstadt in die Umgebung ziehen?

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] Reuters ] Wo heute in der Provinz He\ei noch Felder liegen, soll \ald die 2000 Quadratkil­ometer große Sonderwirt­schaftszon­e Xiong’an entstehen.

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