Eisernes Tor statt Eiserner Vorhang
Infrastruktur. Wirtschaftsakteure wollen eine Verlängerung der russischen Breitspur bis nach Österreich. Für Wien wäre es ein nicht zu unterschätzender Jobmotor, bisher fehlen aber konkrete Schritte.
Eigentlich geht es nur um 85 Millimeter, dafür aber um systemrelevante. Schienengütertransporte über Russland und China müssen immer umgeschlagen werden, da die Waggons auf unterschiedlichen Spurweiten unterwegs sind. Während in West- und Mitteleuropa die Normalspur (1435 mm) vorherrscht, dominiert weiter östlich die Breitspur (1520 mm). Der Umschlag kostet Zeit und Geld. Eine Verlängerung der russischen Breitspur in Richtung Westen könnte dies verhindern. Wien ist als Anschlussstelle im Gespräch. „Das ist eine Jahrhundertchance für Österreich und muss mit aller Kraft umgesetzt werden“, sagt Georg Spiegelfeld, Präsident des Immobilienrings Österreich. Ganz entscheidend ist dem Experten zufolge dabei die Rolle der Logistik. Seine Branche erhofft sich durch die Anbindung einen „dringend nötigen Impuls“für den Wirtschaftsstandort Österreich. Ähnlich sieht man es bei Otto Immobilien: „Eine konkrete Prognose abzugeben ist jedoch verfrüht“, sagt Tina Steindl, Immobilienberaterin für Industrie- und Gewerbeflächen bei dem Wiener Unternehmen.
Wachstum durch Drehscheibe
Heute ist nahe der slowakischen Stadt Kosiceˇ für Güter aus Metropolen wie Shanghai, Peking oder Wladiwostok auf der russischen Breitspur erst einmal Schluss. Dort heißt es umsteigen, wenn es nach Wien weitergehen soll. Die Vorteile einer Gleisverlängerung lägen auf der Hand: Wien wäre ein neuer Dreh- und Angelpunkt von Schienentransporten in und aus Richtung Asien – insbesondere Ostchina.
Pläne hierfür gibt es schon länger. Bereits 2008 gründeten internationale Bahnkonzerne die Breitspur Planungsgesellschaft. Mit an Bord sind – neben den ÖBB – auch Unternehmen aus der Slowakei, der Ukraine und Russland. Ihr Ziel ist es, das bisherige Netz um 450 Kilometer auszubauen, um auf dem 11.000 Kilometer langen Transportkorridor zwischen Ostchina und der Region Wien-Bratislava nicht auf die Normalspur umsteigen zu müssen. Außer auf dem Papier ist aber bis heute nicht viel passiert. Entsprechende Gleisbauarbeiten gibt es bis heute keine. Dass der Schienenkorridor für die Logistikwirtschaft aber interessant ist, daran besteht kein Zweifel. Die Bahn würde mit diesen Aussichten eine Lü- cke füllen: Sie ist zwar rund zehn Tage langsamer, als das Flugzeug, aber eben auch etwa zehn Tage schneller als das Seeschiff. Dass es Kundschaft gibt, die sich für dieses transportökonomische Mittelfeld zwischen den beiden Extremen interessiert, beweist die Praxis. Denn es rollen bereits zahlreiche Züge. DB Schenker etwa hat eigene Sammelgutverkehre eingerichtet, die wöchentlich zwischen dem chinesischen Wuhan und Duisburg verkehren. Far East Land Bridge – kurz Felb – begann zeitgleich wie die Breitspur Planungsgesellschaft mit ihrem Projekt. Das Unternehmen mit Hauptsitz auf der Mittelmeerinsel Zypern hat ebenfalls einen kontinuierlichen Transportbetrieb aufgebaut. Rund hundert Mitarbeiter entlang der Trasse sorgen für die Abwicklung.
Nachfrage vorhanden
Interessenbekundungen an einer Breitspurverlängerung bis nach Wien äußern auch große Logistiker, etwa der französische Dienstleister Gefco. „Jede Beschleunigung der Abwicklung kann nur Vorteile für den Aufbau von Logistikangeboten für schienenaffine Produkte in diesem Wirtschaftsraum bringen“, sagt Peter Vanek, Geschäftsführer von Gefco Österreich. Und dabei geht es dem Manager nicht nur um Massengüter. Sein Unternehmen setzt beispielsweise einen besonderen Schwerpunkt auf den Ausbau von Bahnlösungen für europaweite Autotransporte. Vanek denkt bei einer Breit- spuranbindung Wiens sowohl an den Landweg nach China, als auch an näher gelegene Regionen: „Wien könnte – effiziente Angebote vorausgesetzt – eine Drehscheibe für die Anbindung des russischen Wirtschaftsraums werden.“Vanek ist sich aber auch bewusst, dass die notwendigen Vorleistungen hinsichtlich Infrastruktur sowie modernem Wagenmaterial sehr groß sind: „Investitionen machen nur auf Basis einer langfristigen Perspektive Sinn – und das wichtigste Element dafür sind stabile und planbare Rahmenbedingungen.“Wie diese aussehen könnten, untersucht seit 2015 ein Konsortium aus österreichischen, deutschen und slowakischen Firmen. Als Ziel der neuen Studie wurde ein vorläufiges Umsetzungskonzept hinsichtlich Korridor- und Trassenwahl inklusive erster Umweltverträglichkeitsprüfungen ausgegeben.