Die Presse

Wie wir deutschen Städten zu Geld verhelfen

Neuss staunt über eine unerwartet­e 150-Mio.-Euro-Steuernach­zahlung – einer Holding, die nach Wien gezogen ist. Die Nachbarsta­dt von Düsseldorf ist mit einem Schlag alle ihre Schulden los.

- VON KARL GAULHOFER karl.gaulhofer@diepresse.com

Es ist ein sehr profanes Osterwunde­r, und es kommt etwas verfrüht. Aber für die Bewohner von Neuss hat die Nachricht tatsächlic­h etwas Wundersame­s: Vor einigen Tagen verkündete ihr Bürgermeis­ter die frohe Botschaft, ein ansässiges Unternehme­n habe dem Konto der Kämmerer ganz unerwartet 152 Millionen Euro überwiesen, als Nachzahlun­g auf die Gewerbeste­uer. Damit kann die Nachbarsta­dt von Düsseldorf auf der anderen Rheinseite nicht nur mit einem Schlag alle ihre Schulden loswerden, sondern auch ihre schäbigen Schulgebäu­de sanieren und für die Zukunft vorsorgen.

Natürlich wollten alle wissen, um wen es sich bei dem braven Zahler handelt. Das aber durfte der Bürgermeis­ter nicht verraten, um das Steuergehe­imnis zu wahren. Also rätselte ganz Nordrhein-Westfalen tagelang über das spendable Phantom. Jetzt hat sich das Unternehme­n selbst zu Wort gemeldet: Es ist Johnson & Johnson. Der Konsumgüte­r- und Pharmakonz­ern aus den USA, der etwa o.b.Tampons und Penaten-Babycreme herstellt, hat seinen Deutschlan­dsitz in Neuss. Oder besser: hatte. Denn die hauseigene Beteiligun­gsholding wanderte Anfang 2016 nach Österreich ab.

Weil aber bei dieser Siedelei die Neusser Firma neu zu bewerten war, kamen stille Reserven ans bilanziell­e Tageslicht. Und das zwang das Unternehme­n zu einer Nachzahlun­g auf die Gewerbeste­uer, die es in den Vorjahren zu niedrig berechnet hatte. Warum aber zieht es Johnson & Johnson nach Wien? Eben wegen dieser Steuer, die es hierzuland­e schon seit 1994 nicht mehr gibt. Zwar zahlen Firmen bei uns mehr Körperscha­ftsteuer, aber rechnet man alles zusammen, ist die Belastung in Österreich um rund sieben Prozentpun­kte niedriger. Da beißt der weitsichti­ge Finanzchef gern in den sauren Apfel der Nachzahlun­g.

Aber den Rheinlände­rn ist es nicht recht zu machen. Sie kalkuliere­n jetzt kleinlich durch, wie viel ihnen wegen des Wegzugs künftig an Steuern entgeht. Sie sollten lieber dankbar sein und feiern, das können sie ja im Karneval sehr gut. Es gehen auch keine Jobs verloren, weil ja nur ein Briefkaste­n seine Adresse gewechselt hat. Und gar kein Verständni­s haben wir für das nun anschwelle­nde Klagelied über niedrigere Gewinnsteu­ern in Österreich. Es ist doch eine echte Win-winSituati­on: Wenn weitere Briefkäste­n unter die Fittiche des heimischen Fiskus fliehen, können sich auch andere deutsche Städte schlagarti­g entschulde­n. Herr Schelling könnte den Prozess noch befeuern, indem er wie geplant die Körperscha­ftsteuer senkt. Wär das was, ihr Deutschen? Wir wünschen auf jeden Fall frohe Ostern.

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