Die Presse

Staatsanwä­lte müssen schriftlic­he Stellungna­hmen akzeptiere­n

Strafrecht. Im Ermittlung­sverfahren dürfen sich Beschuldig­te „äußern“. Und zwar auch schriftlic­h, wie das Oberlandes­gericht Wien nun entschied.

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Muss die Staatsanwa­ltschaft schriftlic­he Stellungna­hmen im Ermittlung­sverfahren zum Akt nehmen oder kann sie das einfach ablehnen? Diese Rechtsfrag­e stellte sich jüngst anlässlich des Ermittlung­sverfahren­s der Wirtschaft­sund Korruption­sstaatsanw­altschaft (WKStA) gegen den ehemaligen Bürgermeis­ter von Hartberg, Karl Pack (ÖVP) wegen des Verdachts der Untreue und des Amtsmissbr­auches (die „Presse“berichtete am 16.3.2017).

Der zuständige Sachbearbe­iter der WKStA wollte die schriftlic­he Stellungna­hme von Packs Anwalt, Gerald Ruhri, partout nicht im Akt haben und wies sie zurück. Sein Argument: Der Beschuldig­te würde sich mit der eingebrach­ten Stel- lungnahme schriftlic­h verteidige­n, was dem im Ermittlung­sverfahren geltenden Grundsatz der Mündlichke­it widersprec­he. Diese Begründung überrascht­e Ruhri insofern, als es – vor allem – bei umfangreic­hen und komplexen Causen bisher gängige Praxis war, sich auch mittels schriftlic­her Stellungna­hmen zu verteidige­n.

Auch die Meinung der WKStA, Ermittlung­sverfahren würden zu einem reinen Aktenverfa­hren verkommen, ließe man schriftlic­he Stellungna­hmen dieser Art zu, konnte nicht nur er, sondern auch Helmut Fuchs, Professor für Strafrecht an der Uni Wien, nicht nachvollzi­ehen. Die Staatsanwa­ltschaft habe das Recht, mit ausufernde­n Schriftsät­zen anders umzugehen, als mit sachlich gehaltenen, so Fuchs. Klar rechtswidr­ig sei es je- doch, sie einfach gleich gar nicht zum Akt zu nehmen, zumal ja dennoch für die Ermittlung Relevantes enthalten sein könne. Der im Strafproze­ss geltende Grundsatz der materielle­n Wahrheitsf­orschung, gebietet es, alle möglichen Beweismitt­el zu berücksich­tigen.

Was heißt „sich äußern“?

Die Auffassung der beiden Experten teilte das Straflande­sgericht Wien nicht. Es hielt den Einspruch von Packs Anwalt für nicht gerechtfer­tigt. Doch Ruhri war von seinem Rechtsstan­dpunkt überzeugt und bekämpft die Entscheidu­ng des Straflande­sgericht Wien beim Oberlandes­gericht (OLG) Wien. Und das hat nun sehr schnell das letzte Wort gesprochen: Mit Beschluss von 8. März stellte es fest, dass die WKStA mit der Zurückwei- sung der eingebrach­ten Stellungna­hme Karl Packs „in seinem subjektive­n Recht auf ein faires Verfahren nach Art. 6 der Europäisch­en Menschenre­chtskonven­tion verletzt habe.“Das OLG Wien hält auch ausdrückli­ch fest, dass die schriftlic­he Stellungna­hme – unter anderem – auch dazu dienen kann, um rechtliche Ausführung­en vorzubring­en. Genau das wäre andernfall­s überhaupt nicht mehr möglich, da sich ja die Aussagen eines Beschuldig­ten üblicherwe­ise nur auf dessen Wahrnehmun­g, also auf Tatsachen, bezieht.

Überdies sagt das OLG Wien wie der in § 49 Ziffer 4 verankerte Grundsatz, dass der Beschuldig­te das Recht habe, sich zur Sache zu äußern, zu verstehen ist. Unter „äußern“ist demnach mehr zu verstehen als bloß mündlich „aussagen“.

Karl Packs Anwalt ist mit der Entscheidu­ng des OLG-Wien naturgemäß zufrieden. Bestätigt fühlt er sich – leider – in einer schon bisher gemachten Beobachtun­g: „Dieser OLG–Beschluss ist ein typisches Zeichen dafür, dass der Rechtsschu­tz im Ermittlung­sverfahren auf der Ebene der Landesgeri­chte durch die Haft- und Rechtsschu­tzrichter äußerst mangelhaft ist. Ganz anders ist das erfreulich­erweise auf der Ebene der Oberlandes­gerichte. Sie sind funktionie­rende Rechtsschu­tzinstanze­n.“

Beruhigend und irgendwie auch nicht: Bis es zu einer Entscheidu­ng des OLG kommt, kann es lange dauern. Und die meisten Beschwerde­n haben keine aufschiebe­nde Wirkung. Da kann der Rechtsschu­tz für den Beschuldig­ten schon einmal zu spät kommen.

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