Die Presse

„Zucker-Bashing“– oder wie der ORF Informatio­n vergiftet

Am Küniglberg sollte man sich wieder verstärkt der Recherche widmen.

- VON OSKAR WAWSCHINEK DI Oskar Wawschinek MAS MBA, Food Business Consult und Pressespre­cher für den Fachverban­d der Lebensmitt­elindustri­e.

Der öffentlich-rechtliche ORF hat eine ganze Woche lang sein gesamtes Informatio­nsangebot unter den Schwerpunk­t: „Zucker – Das süße Gift“gestellt. Wie ist allein dieser Titel mit den journalist­ischen Grundsätze­n von Genauigkei­t und Unterschei­dbarkeit vereinbar (siehe Ehrenkodex für die österreich­ische Presse)? Da vermutet man statt Informatio­n platte Meinungsma­che. Haben der ORF und wir das notwendig?

Oder muss ein Sender einfach nur mehr möglichst reißerisch auftreten, um im Medien-Overflow überhaupt noch Aufmerksam­keit erzielen zu können? Wohl nicht, denn der ORF finanziert sich aus Gebühren, die jeder Besitzer eines Fernsehger­äts („Rundfunkem­pfangseinr­ichtung“) zahlen muss. Und – das ist freilich der zentrale Punkt – der ORF hat einen gesetzlich­en Bildungsau­ftrag. Warum dann dieser in jeder Hinsicht unsachlich­e Themen-Schwerpunk­t?

Der ORF hat damit leider eine Chance versäumt: Fundiert über Lebensmitt­el und Ernährung zu berichten und das ohne unqualifiz­ierte, pauschalie­rende oder tendenziös­e Angriffe. Gerade zum Thema Zucker hätten sich in der Tat jede Menge Informatio­nen und Diskussion­en unterbring­en lassen.

Aufklärung, nicht Panikmache

Spannend wäre das sicher auch gewesen. Denn der Bogen der Argumente zum Zucker kann weit gespannt werden: Er reicht vom perfekten Energielie­feranten, der als Traubenzuc­ker „Freund der Sportler“ist, bis zum klassische­n Geschmacks­träger und zur technologi­schen Zutat; er reicht vom Zucker als regionales und von österreich­ischen Rübenbauer­n nachhaltig produziert­es Lebensmitt­el bis sozialen und ökologisch­en Standards bei der Zuckerrohr­produktion in Entwicklun­gsländern.

Klar ist: Geht es um gesundes Leben, spielen Essen und Trinken eine Rolle. Aber eben nur eine Rol- le. Denn mehrere Faktoren haben Einfluss darauf, ob jemand übergewich­tig ist oder nicht. Dazu gehören das Pensum an Bewegung, Schlaf, Stress oder auch genetische Veranlagun­g. Zentral ist das Wissen rund um Lebensmitt­el. Da kommt es auf Sachinform­ationen an, nicht auf Angstmache.

Zucker per se macht nicht dick

Tatsache ist: Zucker per se macht weder dick noch zuckerkran­k. An Übergewich­t und Stoffwechs­elerkranku­ngen sind nie einzelne Lebensmitt­el oder Bestandtei­le der Ernährung „schuld“, sondern ein Mix aus Faktoren. Einfach gesagt: Wird dem Körper mehr Energie zugeführt als dieser verbraucht, entsteht Übergewich­t.

Zucker trägt zur Kalorienau­fnahme ebenso bei wie der Verzehr anderer Kohlenhydr­ate, Fette oder Eiweiße. Die Diskussion über einen einzelnen Nährstoff ist daher schlichtwe­g falsch. Wichtig für ein gesundes Leben sind vor allem ausreichen­d Bewegung und ein aktiver Lebensstil.

Allerdings hätte man dafür recherchie­ren müssen, hätte auch andere Meinungen einholen und in gleicher Form darstellen müssen. Das ist harte journalist­ische Arbeit. Andere Medien, vor allem Printmedie­n, haben sich nicht vor den Karren tendenziös­er Meinungsma­che spannen lassen. Und moderne Medienkons­umenten, auch in sozialen Netzwerken unterwegs, sind auf diese Stimmungsm­ache ebenfalls nicht hereingefa­llen. Das „ZuckerBash­ing“beschränkt­e sich auf den ORF. Es blieb also nur ein Sturm im „zuckersüße­n“Wasserglas. . .

Der ORF wäre gut beraten, sich in Zukunft wieder verstärkt für journalist­ische Qualitätsa­rbeit einzusetze­n. Das Potenzial und die Möglichkei­ten dazu hätte er ohne Zweifel. Lassen wir uns überrasche­n!

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