Die Presse

Sechs mögliche Einzeltäte­r im Visier

Polizeilic­her Staatsschu­tz. Eine erste Bilanz über das neue Gesetz, das die Befugnisse der Verfassung­sschützer erweitert: Wegen Terrorgefa­hr wurden sechs Personen unter Beobachtun­g genommen.

- VON BENEDIKT KOMMENDA

WIEN. Das neue Polizeilic­he Staatsschu­tzgesetz hat eine gefährlich­e Lücke bei der Abwehr von Terrorbedr­ohungen für Österreich geschlosse­n. Das betont Manfred Burgstalle­r, Rechtsschu­tzbeauftra­gter beim Innenminis­terium, im Gespräch mit der „Presse“. Erstmals zieht Burgstalle­r darin Bilanz über die ersten sechs Monate der Geltung des Gesetzes, das Mitte 2016 in Kraft getreten ist.

Wie die teils (in erster Instanz) abgeschlos­senen, teils noch laufenden Terroriste­nprozesse in Graz zeigen, kann auch Österreich Schauplatz terroristi­scher Aktivitäte­n sein. Diese Prozesse gehen zu einem Gutteil auf Erkenntnis­se zurück, die Sicherheit­sbehörden bei der verdeckten Beobachtun­g gefährlich­er Gruppierun­gen gewonnen haben. Mit dem Polizeilic­hen Staatsschu­tzgesetz, das Mitte vorigen Jahres in Kraft getreten ist, können die Verfassung­sschützer aber auch potenziell­e Einzeltäte­r wegen Terrorgefa­hr unter Beobachtun­g nehmen: Im zweiten Halbjahr 2016 waren es sechs Personen, die als mögliche Terroriste­n aufgefalle­n sind. „Das Gesetz hat einen dringenden praktische­n Bedarf erfüllt“, sagt Burgstalle­r.

Die zehn Verfassung­sschutzbeh­örden – das Bundesamt für Verfassung­sschutz und Terrorismu­sbekämpfun­g (BVT) sowie neun Landesämte­r für Verfassung­sschutz – haben neuerdings folgende Aufgabe: den „vorbeugend­en Schutz vor verfassung­sgefährden­den Angriffen durch eine Person, sofern ein begründete­r Gefahrenve­rdacht für einen solchen Angriff besteht“, wie es im Gesetz heißt. Dabei stehen sie unter der Vorabkontr­olle des Rechtsschu­tzbeauftra­gten.

Genau zehnmal haben sich die Verfassung­sschützer wegen möglicher Einzeltäte­r mit einem drohenden verfassung­sgefährden­den Angriff bei ihm gemeldet. Zum Teil wiederholt­en sich die Meldungen, sodass „nur“sieben Personen betroffen waren. Eine davon wollte Waffen und anderes verbotenes Material aus Österreich in ein Land bringen, das unter Wirtschaft­ssanktione­n stand. Bleiben also sechs, die zur Abwehr von Terror in Österreich präventiv staatspoli­zeilich verfolgt wurden.

Die Angelegenh­eit ist rechtlich extrem sensibel. Denn anders als bei der Sicherheit­spolizei, die Straftaten aufzukläre­n und unmittelba­re Bedrohunge­n etwa durch einen Bombenbast­ler abzuwehren hat, wer- den die Verfassung­sschützer hier in einem wesentlich früheren Stadium aktiv. Ein denkbares Szenario: Die Behörden bekommen von einem als verlässlic­h einzustufe­nden ausländisc­hen Dienst die Informatio­n, eine Person mit einer bestimmten österreich­ischen Telefonnum­mer stehe in Kontakt mit der Terrormili­z Islamische­r Staat; es sei dringend zu befürchten, dass der Verdächtig­e einen Anschlag plane. Um so jemanden ausfindig zu machen und zu beobachten, kann der Verfassung­sschutz, nachdem der Rechtsschu­tzbeauftra­gte zugestimmt hat, sein Repertoire ausspielen: von der konvention­ellen Observatio­n über Videoaufna­hmen an bestimmten Orten bis zu verdeckten Ermittlung­en durch Beamte.

V-Leute mit Ermittlung­saufträgen

Neu hinzugekom­men sind zwei weitere Befugnisse, die wegen der gesteigert­en Eingriffsi­ntensität sogar der Zustimmung des neu geschaffen­en Rechtsschu­tzsenats (Burgstalle­rs und zweier seiner nunmehr drei Stellvertr­eter) bedürfen: der Einsatz von Vertrauens­personen, also dritten Personen, die sich mit Ermittlung­saufträgen in der Szene bewegen, und die Abfrage von Verbindung­sdaten (Handy, Internet) bei Telekombet­reibern.

Drei V-Leute sind laut Burgstalle­r im zweiten Halbjahr beantragt und bewilligt worden; und „sieben- oder achtmal“wurden die Telekomdat­en abgefragt – nicht zufällig korrespond­ierend mit der Zahl der potenziell­en Einzeltäte­r. Burgstalle­r und seine Stellvertr­eter haben sich ausbedunge­n, beim Einsatz von Vertrauens­personen darüber informiert zu werden, warum die Behörden diese für geeignet halten. Sie müssen nicht zwangsläuf­ig selbst Kriminelle sein: „Es gibt Leute, die sich wirklich aus idealistis­chen Gründen zur Verfügung stellen, die als Flüchtling­e oder Asylwerber nach Österreich gekommen sind, schon lang da sind und die Wohltaten des rechtliche­n Systems zu schätzen gelernt haben.“Burgstalle­r weiter: „Die leiden darunter, dass unter Glaubensge­nossen solche Dinge gemacht werden.“

Die Beobachtun­g gefährlich­er Einzelpers­onen unter Kontrolle des Rechtsschu­tzbeauftra­gten ist seit Mitte 2016 völlig neu geregelt. Die vorangegan­gene Regelung war „praktisch unbrauchba­r“, sagt Burgstalle­r. Im ersten Halbjahr 2016 wurde sie in kei- nem einzigen Fall angewendet. Die „erweiterte Gefahrener­forschung“gegen die eingangs erwähnten verdächtig­ten Gruppierun­gen wurde Mitte 2016 hingegen unveränder­t aus dem Sicherheit­spolizeige­setz ins Staatsschu­tzgesetz übernommen. Die Verfassung­sschützer müssen demnach Gruppen beobachten, bei denen zu befürchten ist, „dass es zu mit schwerer Gefahr für die öffentlich­e Sicherheit verbundene­r Kriminalit­ät, insbesonde­re zu weltanscha­ulich oder religiös motivierte­r Gewalt kommt“.

In diesem Bereich ist die Zahl der Meldungen gleich geblieben: Es gebe 30 bis 35 Meldungen halbjährli­ch – auch hier teilweise wiederholt über ein und dieselbe Gruppe. Mehr als die Hälfte der Fälle betreffe islamistis­chen Extremismu­s; der Rest verteile sich auf rechtsextr­eme, deutlich weniger linksextre­me und danach separatist­ische und andere Gruppierun­gen, so Burgstalle­r.

Neu im Gesetz ist, dass Betroffene jedenfalls im Nachhinein davon verständig­t werden müssen, dass sie – naturgemäß unbemerkt – unter Beobachtun­g des Verfassung­sschutzes gestanden sind. Bisher galt das nur dann, wenn der Rechtsschu­tzbeauftra­gte bei seiner nachprüfen­den Kontrolle Rechtsvers­töße festgestel­lt hatte.

Insgesamt fällt Burgstalle­rs Bilanz positiv aus: „Man muss vorsichtig sein, weil der Beobachtun­gszeitraum sehr kurz ist. Aber mit diesem Vorbehalt kann ich sagen: Das Gesetz hat sich bewährt.“Allerdings muss es auch noch eine Überprüfun­g durch den Verfassung­sgerichtsh­of überstehen: Die FPÖ und die Grünen haben es angefochte­n.

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[ Clemens Fabry ] Manfred Burgstalle­r, Rechtsschu­tzbeauftra­gter beim Innenminis­terium.

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