Land, geschieden, sucht neue Freunde
Analyse. Mit dem Austritt aus der EU muss Großbritannien alte Partnerschaften neu beleben und neue Beziehungen knüpfen. Leicht wird das nicht.
London. Ausgerechnet Charles de Gaulle, der alte Widersacher der Briten, hat es immer schon gewusst: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen“, formulierte er einmal in einem Apercu,¸ das heute als Kurzzusammenfassung der britischen Außenpolitik gelesen werden kann. Mit dem Austritt aus der EU beeilt sich London, sich neu in der Welt zu positionieren.
Dabei drängen die Briten gewaltig aufs Tempo. Sobald der Parlamentsfahrplan es gestattet, schwirren dieser Tage die Regierungsvertreter in alle Welt aus: So war Premierministerin Theresa May zuletzt in Jordanien und Saudiarabien, Finanzminister Philip Hammond in Indien und Handelsminister Liam Fox in Malaysia, Indonesien und Philippinen.
Überall geht es darum, die Wirtschaftsbeziehungen anzukurbeln, denn mit dem Ausscheiden aus dem EU-Binnenmarkt verliert Großbritannien seinen weitaus wichtigsten Handelspartner. Daher darf man auch nicht heikel sein. In Riad verteidigte Premierministerin May britische Waffenlieferungen an Saudiarabien, ein Land, das von vielen Experten als zentraler Krisenherd in der Region angesehen wird.
Auf den Philippinen pries Handelsminister Fox die „gemeinsamen Werte“mit Präsident Rodrigo Duterte, der sich schon einmal damit brüstete, eigenhändig Drogenhändler umgebracht zu haben, eine Praxis, die in Großbritannien (bisher) eher nicht verbreitet war. Wie der „Economist“trocken anmerkte: „45 Prozent unserer Exporte gehen in die EU, 0,1 Prozent auf die Philippinen.“
Rosenkrieg mit Europa
Im Umgang mit den Europäern hingegen zeigt man sich weniger entspannt. Mit Wut und Empörung reagierte die britische Regierung auf die Richtlinien von EU-Rats- präsident Donald Tusk zu den Brexit-Verhandlungen, die Spanien ein Veto über Gibraltar einräumen. Der ehemalige Parteivorsitzende der Konservativen, Michael Howard, erinnerte sogar an den Falkland-Krieg als er von „der neuerlichen Verteidigung einer kleinen Gruppe von Briten gegen ein Spanisch sprechendes Land“sprach. „Nur ein paar Tage sind nach Auslösung des Brexit vergangen, und schon sprechen wir von Krieg gegen unsere bisherigen europäischen Partner“, schnaubte der Vorsitzende der Liberaldemokraten, Tim Fallon.
Dazu wird es nicht kommen. May unterstrich ihre Unterstützung für „die Souveränität Gibraltars“, betonte aber nach ein paar Tagen Nachdenkpause sichtlich irritiert, dass sie Gespräche bevor- zuge. In ihrer Brexit-Erklärung vor dem Unterhaus hatte sie betont, dass London „tiefe und besondere Beziehungen“mit Europa anstrebe und „bester Freund“sein wolle.
„Global Britain“
Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass die strategische Ausrichtung der Briten weiter gefasst ist. Durch alle Reden Mays zieht sich seit Monaten der Begriff des „Global Britain“, ein Land, das sich frei von allen bisherigen Verpflichtungen überall nach Belieben seine Freunde und Partner suchen kann. Besonderen Stellenwert genießt dabei die von den Briten so viel beschworene „Special Relationship“mit den Vereinigten Staaten. May eilte als erste europäische Regierungschefin zu Donald Trump ins Weiße Haus, und sie war nicht ge- kommen, um auf Distanz zu gehen: „Wir sind beide sehr ambitioniert, unsere Beziehungen zu vertiefen“, sagte sie Ende Jänner. Von Washington eilte sie in die Türkei – was insofern kurios anmutet, als die Brexit-Befürworter im Vorfeld des Referendums über den EUAustritt Großbritanniens im Juni 2016 die türkische EU-Mitgliedschaft als Schreckgespenst an die Wand gemalt hatten.
Die von manchen Brexit-Anhängern gehegten Hoffnungen auf die Entstehung einer angloamerikanischen Allianz aus den USA, Großbritannien und Australien wird aber ebenso eine Illusion bleiben wie eine Vitalisierung des Commonwealth, des vorwiegend symbolischen Zusammenschlusses ehemaliger britischer Kolonien. Der frühere australische Außenminister Gareth Evans meint: „Das Problem beginnt schon damit, dass keiner der in diesem Zusammenhang stets genannten Staaten ein Interesse an einer derartigen Politik hat.“
Wie die Briten mittlerweile bei aller Anbiederung erfahren mussten, gilt das Wort von de Gaulles aber für alle Staaten, nicht nur für sie. Als May sich um eine Vertiefung der Beziehungen zu Indien in die Bresche warf, holte sie sich eine glatte Abfuhr. Für mehr Handel wollten die Inder mehr Aufenthaltsberechtigungen für ihre Bürger in Großbritannien. Das ist allerdings mit der Hauptforderung des Brexit-Lagers nach einer dramatischen Reduzierung der Einwanderung nicht vereinbar.
Eine Studie der London School of Economics kommt zu dem Ergebnis: „Nach dem Brexit ist Großbritannien ein weniger attraktiver außenpolitischer Partner.“Sollte in den nächsten Jahren auch noch das Vereinigte Königreich mit einer Abspaltung Schottlands und einer Wiedervereinigung Irlands zerfallen, würde von der einstigen Großmacht wenig mehr als Little England bleiben. Entsprechend würden wohl die Chancen auf dem globalen Heiratsmarkt sinken.