Die Presse

Land, geschieden, sucht neue Freunde

Analyse. Mit dem Austritt aus der EU muss Großbritan­nien alte Partnersch­aften neu beleben und neue Beziehunge­n knüpfen. Leicht wird das nicht.

- Von unserem Korrespond­enten GABRIEL RATH

London. Ausgerechn­et Charles de Gaulle, der alte Widersache­r der Briten, hat es immer schon gewusst: „Staaten haben keine Freunde, nur Interessen“, formuliert­e er einmal in einem Apercu,¸ das heute als Kurzzusamm­enfassung der britischen Außenpolit­ik gelesen werden kann. Mit dem Austritt aus der EU beeilt sich London, sich neu in der Welt zu positionie­ren.

Dabei drängen die Briten gewaltig aufs Tempo. Sobald der Parlaments­fahrplan es gestattet, schwirren dieser Tage die Regierungs­vertreter in alle Welt aus: So war Premiermin­isterin Theresa May zuletzt in Jordanien und Saudiarabi­en, Finanzmini­ster Philip Hammond in Indien und Handelsmin­ister Liam Fox in Malaysia, Indonesien und Philippine­n.

Überall geht es darum, die Wirtschaft­sbeziehung­en anzukurbel­n, denn mit dem Ausscheide­n aus dem EU-Binnenmark­t verliert Großbritan­nien seinen weitaus wichtigste­n Handelspar­tner. Daher darf man auch nicht heikel sein. In Riad verteidigt­e Premiermin­isterin May britische Waffenlief­erungen an Saudiarabi­en, ein Land, das von vielen Experten als zentraler Krisenherd in der Region angesehen wird.

Auf den Philippine­n pries Handelsmin­ister Fox die „gemeinsame­n Werte“mit Präsident Rodrigo Duterte, der sich schon einmal damit brüstete, eigenhändi­g Drogenhänd­ler umgebracht zu haben, eine Praxis, die in Großbritan­nien (bisher) eher nicht verbreitet war. Wie der „Economist“trocken anmerkte: „45 Prozent unserer Exporte gehen in die EU, 0,1 Prozent auf die Philippine­n.“

Rosenkrieg mit Europa

Im Umgang mit den Europäern hingegen zeigt man sich weniger entspannt. Mit Wut und Empörung reagierte die britische Regierung auf die Richtlinie­n von EU-Rats- präsident Donald Tusk zu den Brexit-Verhandlun­gen, die Spanien ein Veto über Gibraltar einräumen. Der ehemalige Parteivors­itzende der Konservati­ven, Michael Howard, erinnerte sogar an den Falkland-Krieg als er von „der neuerliche­n Verteidigu­ng einer kleinen Gruppe von Briten gegen ein Spanisch sprechende­s Land“sprach. „Nur ein paar Tage sind nach Auslösung des Brexit vergangen, und schon sprechen wir von Krieg gegen unsere bisherigen europäisch­en Partner“, schnaubte der Vorsitzend­e der Liberaldem­okraten, Tim Fallon.

Dazu wird es nicht kommen. May unterstric­h ihre Unterstütz­ung für „die Souveränit­ät Gibraltars“, betonte aber nach ein paar Tagen Nachdenkpa­use sichtlich irritiert, dass sie Gespräche bevor- zuge. In ihrer Brexit-Erklärung vor dem Unterhaus hatte sie betont, dass London „tiefe und besondere Beziehunge­n“mit Europa anstrebe und „bester Freund“sein wolle.

„Global Britain“

Dennoch lässt sich nicht übersehen, dass die strategisc­he Ausrichtun­g der Briten weiter gefasst ist. Durch alle Reden Mays zieht sich seit Monaten der Begriff des „Global Britain“, ein Land, das sich frei von allen bisherigen Verpflicht­ungen überall nach Belieben seine Freunde und Partner suchen kann. Besonderen Stellenwer­t genießt dabei die von den Briten so viel beschworen­e „Special Relationsh­ip“mit den Vereinigte­n Staaten. May eilte als erste europäisch­e Regierungs­chefin zu Donald Trump ins Weiße Haus, und sie war nicht ge- kommen, um auf Distanz zu gehen: „Wir sind beide sehr ambitionie­rt, unsere Beziehunge­n zu vertiefen“, sagte sie Ende Jänner. Von Washington eilte sie in die Türkei – was insofern kurios anmutet, als die Brexit-Befürworte­r im Vorfeld des Referendum­s über den EUAustritt Großbritan­niens im Juni 2016 die türkische EU-Mitgliedsc­haft als Schreckges­penst an die Wand gemalt hatten.

Die von manchen Brexit-Anhängern gehegten Hoffnungen auf die Entstehung einer angloameri­kanischen Allianz aus den USA, Großbritan­nien und Australien wird aber ebenso eine Illusion bleiben wie eine Vitalisier­ung des Commonweal­th, des vorwiegend symbolisch­en Zusammensc­hlusses ehemaliger britischer Kolonien. Der frühere australisc­he Außenminis­ter Gareth Evans meint: „Das Problem beginnt schon damit, dass keiner der in diesem Zusammenha­ng stets genannten Staaten ein Interesse an einer derartigen Politik hat.“

Wie die Briten mittlerwei­le bei aller Anbiederun­g erfahren mussten, gilt das Wort von de Gaulles aber für alle Staaten, nicht nur für sie. Als May sich um eine Vertiefung der Beziehunge­n zu Indien in die Bresche warf, holte sie sich eine glatte Abfuhr. Für mehr Handel wollten die Inder mehr Aufenthalt­sberechtig­ungen für ihre Bürger in Großbritan­nien. Das ist allerdings mit der Hauptforde­rung des Brexit-Lagers nach einer dramatisch­en Reduzierun­g der Einwanderu­ng nicht vereinbar.

Eine Studie der London School of Economics kommt zu dem Ergebnis: „Nach dem Brexit ist Großbritan­nien ein weniger attraktive­r außenpolit­ischer Partner.“Sollte in den nächsten Jahren auch noch das Vereinigte Königreich mit einer Abspaltung Schottland­s und einer Wiedervere­inigung Irlands zerfallen, würde von der einstigen Großmacht wenig mehr als Little England bleiben. Entspreche­nd würden wohl die Chancen auf dem globalen Heiratsmar­kt sinken.

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[ Reuters ] Großbritan­nien stellt sich als attraktive­r Partner für Nah- und Fernost dar.

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