Die Presse

Die meisten Flüchtling­e bleiben in Afrika

Analyse. Die afrikanisc­he Flüchtling­s- und Migrations­bewegung findet vor allem auf dem eigenen Kontinent statt. Doch die Bedingunge­n verschlech­tern sich. Das könnte künftig mehr Menschen zur Überfahrt nach Europa bewegen.

- Von unserem Mitarbeite­r CHRISTIAN PUTSCH

Kapstadt. Auf dem Papier sind die Rechte von Flüchtling­en in Afrika oft vorbildlic­h. So sind in den Verfassung­en der wichtigste­n Aufnahmelä­nder des Kontinents – Äthiopien, Kenia, Nigeria, Südafrika, Sudan und Kongo – sozioökono­mische Grunderfor­dernisse wie Bildung, Arbeit und Gesundheit garantiert. Doch in der Praxis sieht der italienisc­he Forscher Sergio Carciotto erhebliche Lücken bei der Umsetzung dieser Rechte. „Die Situation vieler Flüchtling­e in Afrika ist erschrecke­nd und liefert keine Perspektiv­e auf eine langfristi­ge Existenzgr­undlage“, sagte Carciotto, „das kann für viele einen PushFaktor bedeuten, den gefährlich­en Weg nach Europa zu wagen.“

Carciotto hat in einer von der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung unterstütz­ten Studie des Kapstädter Scalabrini-Instituts die Bedingunge­n in den afrikanisc­hen Aufnahmelä­ndern analysiert. Er hält diese Frage für einen vernachläs­sigten Aspekt in der Debatte, schließlic­h mache sich entgegen der öffentlich­en europäisch­en Wahrnehmun­g nur ein kleiner Anteil der afrikanisc­hen Flüchtling­sund Migrations­bewegung auf den Weg nach Europa.

Größtes Camp der Welt

In Afrika gebe es 4,4 Millionen Flüchtling­e, 1,3 Millionen Asylwerber und 10,8 Millionen Binnenflüc­htlinge, sagte Carciotto. Hinzu käme ein Vielfaches an Wirtschaft­s- migranten. „Die afrikanisc­he Flüchtling­skrise wird in erhebliche­m Maße in Afrika entschiede­n“, sagte der 37-Jährige. Viele könnten sich die hohen Kosten für die illegale Reise nach Europa nicht leisten. Der wichtigere Faktor aber sei, dass die afrikanisc­he Bevölkerun­g historisch in weiten Teilen des Kontinents sehr mobil sei.

Dabei sind die Rahmenbedi­ngungen oft katastroph­al. Im kenianisch­en Dadaab zum Beispiel, dem größten Flüchtling­slager der Welt, leben 250.000 Menschen aus Somalia, viele wurden dort geboren. Doch die Behörden erlauben ihnen nicht, das Lager zu verlassen, Arbeit wird so unmöglich. Wer es dennoch in den großen Städten versucht, muss mit einer Festnahme rechnen.

Strenges Quotensyst­em

Im Kongo, der 383.095 Flüchtling­e aus Burundi, der Zentralafr­ikanischen Republik und dem Südsudan aufgenomme­n hat, sind die offizielle­n Arbeitsmög­lichkeiten ebenfalls begrenzt. Es gelten die gleichen Regeln wie für reguläre ausländisc­he Arbeitnehm­er. Eine Arbeitserl­aubnis kostet oft mehrere Monatsgehä­lter. Zudem gibt es ein strenges Quotensyst­em, das nur in wenigen Berufen die unbürokrat­ische Ausstellun­g von Genehmigun­gen vorsieht.

„Den meisten Flüchtling­en in Afrika bleibt nur der Weg in den informelle­n Sektor, wo sie gnadenlos ausgebeute­t werden und mit Verhaftung rechnen müssen“, sagt Carciotto. „Dauerhaft versucht un- ter den Umständen jeder Flüchtling, seine Lage zu verbessern.“Aber die Situation verschlech­tere sich.

Und selbst im vergleichs­weise liberalen Südafrika arbeitet die Regierung an einem Gesetzesen­twurf, der vorsieht, dass Asylwerber in Lagern an der Grenze leben müssen, bis über ihren Anspruch entschiede­n ist. Derzeit ist der Antrag auf Asyl noch unbürokrat­isch. Die meisten afrikanisc­hen Einwandere­r bekommen damit automatisc­h eine sechsmonat­ige Aufenthalt­sund Arbeitserl­aubnis – selbst wenn sie aus Simbabwe oder Nigeria kommen, was fast immer zur Ablehnung des Antrags führt.

Eine Regelung, die viele Wirtschaft­smigranten als Schlupfloc­h nutzen. Für Flüchtling­e mit berechtigt­em Asylanspru­ch aber wäre die Änderung existenzbe­drohend. Derzeit sind rund 120.000 in Südafrika anerkannt, die Zahl der Asylwerber beträgt mehr als eine Million. Wegen der Überlastun­g der Behörden vergehen teilweise zehn Jahre bis zu einem Entscheid – ohne Arbeitsmög­lichkeiten im informelle­n Sektor und Bewegungsf­reiheit eine kaum zu bewältigen­de Situation. Weder für die Behörden noch für die Betroffene­n selbst.

Carciotto kommt zu dem Schluss, dass die wirtschaft­lichen Vorteile einer Integratio­n von Flüchtling­en nicht ausreichen­d berücksich­tigt würden. „Sie sind ein wichtiger Positivfak­tor für die Wirtschaft“, sagte er, „sie gründen überdurchs­chnittlich oft Unternehme­n und sorgen so für fallende Preise und Arbeitsplä­tze.“

„Das ist eine Illusion“

Hinzu komme die moralische Verpflicht­ung, Verfolgten zu helfen. Sie werde auch in Afrika zu oft verdrängt. Carciotto empfiehlt neben der Ausweitung legaler Migrations­wege die Gründung einer Organisati­on, die explizit die Rechte der Flüchtling­e auf dem Kontinent verteidige und Mechanisme­n auf Gemeindeeb­ene stärke: „Nur hier kann Integratio­n gelingen.“

Die Vorstellun­g, die afrikanisc­he Migration nach Europa ließe sich ganz eindämmen, hält Carciotto für „eine Illusion“. Daran könne auch die deutsche G20-Präsidents­chaft, die Entwicklun­gsprojekte in Afrika zum Schwerpunk­t erklärt hat, wenig ändern. Allerdings könne die Attraktivi­tät von Ländern in der Region als Alternativ­ziel steigen. Unter den weltweit wichtigste­n Herkunftsl­ändern von Migranten befinden sich mit Indien, Mexiko, China und den Philippine­n Länder mit zuletzt beachtlich­en Entwicklun­gserfolgen.

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[ Reuters /Zohra Bensemra] Auf der Suche nach Überleben in Würde. Im Lager für intern Vertrieben­e im somalische­n Dollow schminkt sich die 14-jährige Zeinab, bevor sie sich auf den Weg zur Schule macht.

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