Soziale Netze für abnorme Rechtsbrecher
Pilotprojekt. Künftig könnten Angehörige und Betreuer von Anstaltsinsassen eine größere Rolle bei der Entlassung spielen. Die Betroffenen sollen so besser auf ein Leben danach vorbereitet werden. Ein Projekt hat positive Ergebnisse gebracht.
Wien. Seit etlichen Monaten versucht Justizminister Wolfgang Brandstetter die Reform des sogenannten Maßnahmenvollzugs voranzutreiben. Die angekündigte Präsentation von Neuerungen wurde zuletzt aber mehrmals verschoben. Indessen liegt die Auswertung eines Pilotprojekts bereits vor: Demnach könnten künftig auch bei geistig abnormen Rechtsbrechern sogenannte Sozialnetzkonferenzen durchgeführt werden.
Damit würden die Betroffenen selbst, ihr privates Umfeld sowie Betreuungspersonen (Therapeuten, Sozialarbeiter, Bewährungshelfer etc.) etwa in die Frage der vorzeitig bedingten Entlassung aus der geschlossenen Anstalt eingebunden werden. Experten bewerten diesen Ansatz positiv.
Zur Erklärung: Grundsätzlich werden Täter, die nicht zurechnungsfähig sind, auch nicht zu einer Strafe verurteilt. Sondern eben in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrecher eingewiesen. Dies wird als Maßnahme (nicht als Strafe) bezeichnet.
Entlassen werden diese Personen dann, wenn sie als geheilt bzw. ungefährlich gelten. Eine Anstaltseinweisung kann aber auch zusätzlich zu einer Strafe verhängt werden – bei Personen, die speziell zur Tatzeit unter dem Einfluss einer geistigen „Abartigkeit“(Zitat Strafgesetzbuch) standen. Künftig sollen drei forensisch-therapeutische Zentren nach dem Vorbild der Einrichtung in Asten (Oberösterreich) für geistig abnorme Rechtsbrecher ausgebaut werden. Bundesweit gibt es ungefähr 800 solche Personen.
Erfahrung aus 16 Monaten Pilotprojekt
Unter der Leitung des Bewährungshilfe-Vereins Neustart ist das eingangs erwähnte Pilotprojekt 16 Monate hindurch abgewickelt worden. Das kam so: Das Justizressort hat den Verein damit beauftragt ,48 Sozial netzkonferenzen für geistig abnorme Rechtsbrecher abzuwickeln .40 sind es tatsächlich geworden.
In diesen Konferenzen kommen die Eingewiesenen mit ihren Angehörigen, mit Bekannten, aber eben auch mit den sie umgebenden Leuten aus der Anstalt und mit Vertretern von Nach betreuungs einrichtungen zusammen. Gemeinsam wird ein schriftlicher Plan für die zukünftige Lebensführung erarbeitet (so kann zum Beispiel die verlässliche Einnahme von Medikamenten ein Thema sein ). Der Plan wird von allen Konferenz teilnehmern unterschrieben.
Dann wird er dem zuständigen Strafgericht vorgelegt–er dient als Entscheidungshilfe. Der Richter soll so besser einschätzen können, ob eine Maßnahme „nur“bedingt (auf Bewährung) verhängt werden kann oder ob eine bereits bestehende Anstaltsunterbringung mit einer bedingten Entlassung enden kann. Dieses Vorgehen ist im Jugendstrafvollzug bereits gesetzlich verankert. Erst vor Kurzem wurden zum Beispiel in St. Pölten zwei unter 21-Jährige, die unter Terrorverdacht in U-Haft genommen worden waren, nach einer Sozialnetzkonferenz wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Prozess bleibt ihnen freilich nicht erspart.
Der Leiter des Projekts Sozialnetzkonferenz bei Maßnahmenuntergebrachten, Nikolaus Tsekas von Neustart, spricht sich im Gespräch mit der „Presse“dafür aus, dass Sozialnetzkonferenzen dauerhaft auch für den Maßnahmenvollzug gesetzlich festgeschrieben werden. Die Vorteile laut Tsekas: Diese Konferenzen würden zu einer „Bündelung der Ressourcen“rund um den Eingewiesenen führen.
Dadurch, dass der Betroffene selbst eingebunden sei, ergebe sich auch eine „größere Zustimmung“zu einem sinnvollen Zukunftsplan. Und: „Eine Sozialnetzkonferenz entlastet auch die Familie.“Es habe sich gezeigt, dass manche Eltern sich überfordert fühlen – weil sie sich beispielsweise selbst den Druck auferlegen, ihren in der Anstalt befindlichen Sohn freizubekommen. Absprachen im Rahmen einer Konferenz könnten diesen Druck lindern.
Vom Projekt zu geltendem Recht?
Wie viele Tage innerhalb geschlossener Anstalten sich der Staat künftig aufgrund der Konferenzen ersparen könnte, lässt sich jedoch nicht sagen. Das Projekt wurde an Anstalten bzw. psychiatrischen Abteilungen in Wien, Niederösterreich, Oberösterreich und Salzburg abgewickelt – in einer begleitenden Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie von Walter Hammerschick und Veronika Hofinger heißt es: „Eine quantifizierende Einschätzung der durch Sozialnetzkonferenzen vermeidbaren Hafttage ist aufgrund der zur Verfügung stehenden Informationen nicht ausreichend möglich.“
Allerdings wird darin auch festgehalten: „Die qualitativen Untersuchungsteile geben aber ausdrückliche Hinweise darauf, dass bedingte Maßnahmen nach Sozialnetzkonferenzen (Sonekos) ausgesprochen wurden, die andernfalls kaum gewährt worden wären.“Weiter: „Unter den Fallstudien waren zwei Sonekos, die zu einer bedingten Maßnahme führten. In beiden Fällen wurde von allen befragten professionell Beteiligten die Einschätzung abgegeben, dass ohne Soneko kaum eine bedingte Maßnahme zu erwarten war.“
Ob nun das im Pilotprojekt Erprobte zum geltenden Recht wird, bleibt abzuwarten. Ein Teil der Reformbemühungen ist es aber jedenfalls.