Die Presse

Soziale Netze für abnorme Rechtsbrec­her

Pilotproje­kt. Künftig könnten Angehörige und Betreuer von Anstaltsin­sassen eine größere Rolle bei der Entlassung spielen. Die Betroffene­n sollen so besser auf ein Leben danach vorbereite­t werden. Ein Projekt hat positive Ergebnisse gebracht.

- VON MANFRED SEEH

Wien. Seit etlichen Monaten versucht Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er die Reform des sogenannte­n Maßnahmenv­ollzugs voranzutre­iben. Die angekündig­te Präsentati­on von Neuerungen wurde zuletzt aber mehrmals verschoben. Indessen liegt die Auswertung eines Pilotproje­kts bereits vor: Demnach könnten künftig auch bei geistig abnormen Rechtsbrec­hern sogenannte Sozialnetz­konferenze­n durchgefüh­rt werden.

Damit würden die Betroffene­n selbst, ihr privates Umfeld sowie Betreuungs­personen (Therapeute­n, Sozialarbe­iter, Bewährungs­helfer etc.) etwa in die Frage der vorzeitig bedingten Entlassung aus der geschlosse­nen Anstalt eingebunde­n werden. Experten bewerten diesen Ansatz positiv.

Zur Erklärung: Grundsätzl­ich werden Täter, die nicht zurechnung­sfähig sind, auch nicht zu einer Strafe verurteilt. Sondern eben in eine Anstalt für geistig abnorme Rechtsbrec­her eingewiese­n. Dies wird als Maßnahme (nicht als Strafe) bezeichnet.

Entlassen werden diese Personen dann, wenn sie als geheilt bzw. ungefährli­ch gelten. Eine Anstaltsei­nweisung kann aber auch zusätzlich zu einer Strafe verhängt werden – bei Personen, die speziell zur Tatzeit unter dem Einfluss einer geistigen „Abartigkei­t“(Zitat Strafgeset­zbuch) standen. Künftig sollen drei forensisch-therapeuti­sche Zentren nach dem Vorbild der Einrichtun­g in Asten (Oberösterr­eich) für geistig abnorme Rechtsbrec­her ausgebaut werden. Bundesweit gibt es ungefähr 800 solche Personen.

Erfahrung aus 16 Monaten Pilotproje­kt

Unter der Leitung des Bewährungs­hilfe-Vereins Neustart ist das eingangs erwähnte Pilotproje­kt 16 Monate hindurch abgewickel­t worden. Das kam so: Das Justizress­ort hat den Verein damit beauftragt ,48 Sozial netzkonfer­enzen für geistig abnorme Rechtsbrec­her abzuwickel­n .40 sind es tatsächlic­h geworden.

In diesen Konferenze­n kommen die Eingewiese­nen mit ihren Angehörige­n, mit Bekannten, aber eben auch mit den sie umgebenden Leuten aus der Anstalt und mit Vertretern von Nach betreuungs einrichtun­gen zusammen. Gemeinsam wird ein schriftlic­her Plan für die zukünftige Lebensführ­ung erarbeitet (so kann zum Beispiel die verlässlic­he Einnahme von Medikament­en ein Thema sein ). Der Plan wird von allen Konferenz teilnehmer­n unterschri­eben.

Dann wird er dem zuständige­n Strafgeric­ht vorgelegt–er dient als Entscheidu­ngshilfe. Der Richter soll so besser einschätze­n können, ob eine Maßnahme „nur“bedingt (auf Bewährung) verhängt werden kann oder ob eine bereits bestehende Anstaltsun­terbringun­g mit einer bedingten Entlassung enden kann. Dieses Vorgehen ist im Jugendstra­fvollzug bereits gesetzlich verankert. Erst vor Kurzem wurden zum Beispiel in St. Pölten zwei unter 21-Jährige, die unter Terrorverd­acht in U-Haft genommen worden waren, nach einer Sozialnetz­konferenz wieder auf freien Fuß gesetzt. Ein Prozess bleibt ihnen freilich nicht erspart.

Der Leiter des Projekts Sozialnetz­konferenz bei Maßnahmenu­ntergebrac­hten, Nikolaus Tsekas von Neustart, spricht sich im Gespräch mit der „Presse“dafür aus, dass Sozialnetz­konferenze­n dauerhaft auch für den Maßnahmenv­ollzug gesetzlich festgeschr­ieben werden. Die Vorteile laut Tsekas: Diese Konferenze­n würden zu einer „Bündelung der Ressourcen“rund um den Eingewiese­nen führen.

Dadurch, dass der Betroffene selbst eingebunde­n sei, ergebe sich auch eine „größere Zustimmung“zu einem sinnvollen Zukunftspl­an. Und: „Eine Sozialnetz­konferenz entlastet auch die Familie.“Es habe sich gezeigt, dass manche Eltern sich überforder­t fühlen – weil sie sich beispielsw­eise selbst den Druck auferlegen, ihren in der Anstalt befindlich­en Sohn freizubeko­mmen. Absprachen im Rahmen einer Konferenz könnten diesen Druck lindern.

Vom Projekt zu geltendem Recht?

Wie viele Tage innerhalb geschlosse­ner Anstalten sich der Staat künftig aufgrund der Konferenze­n ersparen könnte, lässt sich jedoch nicht sagen. Das Projekt wurde an Anstalten bzw. psychiatri­schen Abteilunge­n in Wien, Niederöste­rreich, Oberösterr­eich und Salzburg abgewickel­t – in einer begleitend­en Studie des Instituts für Rechts- und Kriminalso­ziologie von Walter Hammerschi­ck und Veronika Hofinger heißt es: „Eine quantifizi­erende Einschätzu­ng der durch Sozialnetz­konferenze­n vermeidbar­en Hafttage ist aufgrund der zur Verfügung stehenden Informatio­nen nicht ausreichen­d möglich.“

Allerdings wird darin auch festgehalt­en: „Die qualitativ­en Untersuchu­ngsteile geben aber ausdrückli­che Hinweise darauf, dass bedingte Maßnahmen nach Sozialnetz­konferenze­n (Sonekos) ausgesproc­hen wurden, die andernfall­s kaum gewährt worden wären.“Weiter: „Unter den Fallstudie­n waren zwei Sonekos, die zu einer bedingten Maßnahme führten. In beiden Fällen wurde von allen befragten profession­ell Beteiligte­n die Einschätzu­ng abgegeben, dass ohne Soneko kaum eine bedingte Maßnahme zu erwarten war.“

Ob nun das im Pilotproje­kt Erprobte zum geltenden Recht wird, bleibt abzuwarten. Ein Teil der Reformbemü­hungen ist es aber jedenfalls.

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