Von Kreuzfahrt und Kreuzzug, Kreuzklang und Kreuzweh
Folterinstrument, Koordinatensystem, Zeichen der Christentums, Teil der Wirbelsäule, Segen und Fluch: Das Kreuz kann vieles bedeuten. Darf man denn Witze mit dem Heiligsten machen? Ja. Wenn es wirklich das Heiligste ist, hält es das gut aus.
Ab sofort stehen alle ungläubigen Schauspieler, Sänger, Sportler und sämtliche Prominenten in Deutschland und anderen Kreuzfahrer-Nationen auf Todesliste des Islamischen Staates.“Das stand in einem angeblichen Bekennerschreiben zum Anschlag auf den Bus des Fußballvereins Borussia Dortmund, und das hat, bei allem Schrecken, auch etwas Tragikomisches an sich – durch die Verwendung des Wortes „Kreuzfahrer“statt „Kreuzzügler“oder „Kreuzritter“: Als wollten die traurigen Islamisten, die sich laut Bekenner- schreiben als „kleine dreckige Untertanen“fühlen, um die sich die Kanzlerin nicht schert, der verhassten westlichen Gesellschaft weniger deren christliche Fundierung als die Lust am Leben vorwerfen, mit der die „Ungläubigen“mitunter auch auf Kreuzfahrt gehen, etwa auf dem Mittelmeer.
Ja, das Kreuz ist vieldeutig: Folterinstrument und Schmuckmotiv, Koordinatensystem und christliches Zeichen, musikalisches Vorzeichen und Sternbild, Farbe der französischen Spielkarten, Symbol für Addition und Multiplikation, Segen und Fluch. Wer sich in der Kirche bekreuzigt, murmelt vielleicht schon im Gasthaus danach, wenn der panierte Fisch nicht und nicht daherkommt: „Es is halt a Kreiz“– wie der Herr Permaneder in Thomas Manns „Buddenbrooks“, über den die Konsulin bekümmert sagt: „Aber mich dünkt, Tom, er sollte das Fluchen lassen. Verstand ich ihn recht, so sprach er in einer Weise vom Sacramente und vom Kreuze . . .“
Das Kreuz steht auch kurz für das Kreuzbein, das Os sacrum, das Hieron osteon (nach einer möglichen Erklärung so benannt, weil die Genitalien, die es beschützt, den Alten als heilig galten), zu dem die Kreuzwirbel bei uns Menschen verschmolzen sind und das uns bisweilen Schmerzen bereitet, wie schon der junge Wolfgang Ambros wusste, als er 1973 in „Heidenspaß“sang: „Mir geht es wie dem Jesus, mir tut das Kreuz so weh.“
Wohl in diesem Doppelsinn ist auch die Rockband „Kreuzweh“benannt, in der der evangelische Bischof Michael Bünker Schlagzeug spielt, nicht heute – da meditiert er in der Lutherischen Stadtkirche (Wien 1, Dorotheergasse 18, um 20 Uhr, Eintritt frei) in der Reihe „Kreuzklang“zu Michael Radulescus Komposition „Tenebrae“über die Theologie des Kreuzes –, aber doch, wie man in Wien so sagt, alle heiligen Zeiten einmal . . .
„Sie belustigen sich wieder einmal über das Heiligste“, sagt, wieder in den „Buddenbrooks“, der Konsul vorwurfsvoll zu seinem Vater, als dieser sich darüber mokiert, wie kreuzbrav seine Enkelin Tony den Katechismus aufsagt. Darf man denn Witze mit dem Heiligsten machen? Ja. Wenn es wirklich das Heiligste ist, hält es das gut aus. Sogar am Tag, an dem im Tempel der Vorhang reißt.