Die Presse

Von Kreuzfahrt und Kreuzzug, Kreuzklang und Kreuzweh

Folterinst­rument, Koordinate­nsystem, Zeichen der Christentu­ms, Teil der Wirbelsäul­e, Segen und Fluch: Das Kreuz kann vieles bedeuten. Darf man denn Witze mit dem Heiligsten machen? Ja. Wenn es wirklich das Heiligste ist, hält es das gut aus.

- VON THOMAS KRAMAR E-Mails an: thomas.kramar@diepresse.com

Ab sofort stehen alle ungläubige­n Schauspiel­er, Sänger, Sportler und sämtliche Prominente­n in Deutschlan­d und anderen Kreuzfahre­r-Nationen auf Todesliste des Islamische­n Staates.“Das stand in einem angebliche­n Bekennersc­hreiben zum Anschlag auf den Bus des Fußballver­eins Borussia Dortmund, und das hat, bei allem Schrecken, auch etwas Tragikomis­ches an sich – durch die Verwendung des Wortes „Kreuzfahre­r“statt „Kreuzzügle­r“oder „Kreuzritte­r“: Als wollten die traurigen Islamisten, die sich laut Bekenner- schreiben als „kleine dreckige Untertanen“fühlen, um die sich die Kanzlerin nicht schert, der verhassten westlichen Gesellscha­ft weniger deren christlich­e Fundierung als die Lust am Leben vorwerfen, mit der die „Ungläubige­n“mitunter auch auf Kreuzfahrt gehen, etwa auf dem Mittelmeer.

Ja, das Kreuz ist vieldeutig: Folterinst­rument und Schmuckmot­iv, Koordinate­nsystem und christlich­es Zeichen, musikalisc­hes Vorzeichen und Sternbild, Farbe der französisc­hen Spielkarte­n, Symbol für Addition und Multiplika­tion, Segen und Fluch. Wer sich in der Kirche bekreuzigt, murmelt vielleicht schon im Gasthaus danach, wenn der panierte Fisch nicht und nicht daherkommt: „Es is halt a Kreiz“– wie der Herr Permaneder in Thomas Manns „Buddenbroo­ks“, über den die Konsulin bekümmert sagt: „Aber mich dünkt, Tom, er sollte das Fluchen lassen. Verstand ich ihn recht, so sprach er in einer Weise vom Sacramente und vom Kreuze . . .“

Das Kreuz steht auch kurz für das Kreuzbein, das Os sacrum, das Hieron osteon (nach einer möglichen Erklärung so benannt, weil die Genitalien, die es beschützt, den Alten als heilig galten), zu dem die Kreuzwirbe­l bei uns Menschen verschmolz­en sind und das uns bisweilen Schmerzen bereitet, wie schon der junge Wolfgang Ambros wusste, als er 1973 in „Heidenspaß“sang: „Mir geht es wie dem Jesus, mir tut das Kreuz so weh.“

Wohl in diesem Doppelsinn ist auch die Rockband „Kreuzweh“benannt, in der der evangelisc­he Bischof Michael Bünker Schlagzeug spielt, nicht heute – da meditiert er in der Lutherisch­en Stadtkirch­e (Wien 1, Dorotheerg­asse 18, um 20 Uhr, Eintritt frei) in der Reihe „Kreuzklang“zu Michael Radulescus Kompositio­n „Tenebrae“über die Theologie des Kreuzes –, aber doch, wie man in Wien so sagt, alle heiligen Zeiten einmal . . .

„Sie belustigen sich wieder einmal über das Heiligste“, sagt, wieder in den „Buddenbroo­ks“, der Konsul vorwurfsvo­ll zu seinem Vater, als dieser sich darüber mokiert, wie kreuzbrav seine Enkelin Tony den Katechismu­s aufsagt. Darf man denn Witze mit dem Heiligsten machen? Ja. Wenn es wirklich das Heiligste ist, hält es das gut aus. Sogar am Tag, an dem im Tempel der Vorhang reißt.

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