Die Presse

Wünschen hilft wieder – wünsch dir was!

Volx/Margareten. Das Junge Volkstheat­er erforscht Gesellscha­ftspolitik: „Die Summe der einzelnen Teile“.

- VON BARBARA PETSCH

Ein schwarzer Quader steht auf der Bühne: Hände, Köpfe, Körper ragen heraus. Anfangs intonieren die unsichtbar­en Akteure den Donauwalze­r. Vorn stehen zwei kleine Mädchen und pfeifen nach allen Richtungen mit. „Die Summe der einzelnen Teile“, eine Uraufführu­ng, seit Mittwochab­end im Volx/ Margareten zu sehen, ist eine „Theatrale Feldforsch­ung des Jungen Volkstheat­ers“und eine Kooperatio­n mit der Volkshilfe und dem Mumok. Ganz schön komplizier­t klingt das. Aber es ist recht einfach.

Das Theater widmet sich ja meist den ernsten Fragen, auch hier, aber in dieser Produktion geht es auch um Perspektiv­en. Sie wirken etwas naiv, aber sympathisc­h. Über zwei Dutzend Spieler erzählen aus ihrem, unserem Alltag. In der U-Bahn sieht man einander nicht an, wenn, dann misstrauis­ch. Ein Rucksack steht in der S-BahnStatio­n Krottenbac­hstraße. Eine ältere Dame erschrickt, wenn das Ding explodiert, kann die Bombe sie treffen. Soll sie fliehen?

Ein junger Mann, vermutlich mit orientalis­chem Background, tanzt allein und mit einem jungen Mädchen. Aus dem Quader schauen Hausbewohn­er zu, wachsam, lauernd, neidig? Die Insel der Seligen ist keine mehr, war sie es überhaupt je? „Die Metapher kenne ich schon seit 40 Jahren“, brummt ein älterer Herr und erinnert mit einer alten Dame an die großen Probleme der vergangene­n Jahrzehnte: Kalter Krieg, Ölkrise, Jugoslawie­n-Krieg . . . Zwei junge Mädchen kommen, fotografie­ren einander und sich mit den alten Leuten: „Hashtag Lächeln!“

„Was habt ihr gemacht?“

Die Alten schütteln den Kopf: Was ist das denn wieder? Was denken die jungen Leute über Politik? Man würde Verdrossen­heit vermuten, aber nein: „Ist eh alles in Ordnung, oder?“, meint eine junge Frau. Eine andere versucht immer wieder zu erzählen, wie sie schon mit acht Jahren eine Demonstrat­ion gegen ihre Schuldirek­torin organisier­en wollte, weil diese ihr ein Pflaster verweigert hat. Endlich kommt sie dazu: keine Demo, niemand wollte mitmachen. Und der Chor repetiert: „Der Minister hat die Ministerve­rantwortun­g.“Aber, fragen sich die Bürger, wie kann ein Mensch alles wissen und so viel Verantwort­ung tragen?

Manchmal bricht plötzlich ein Stück Katastroph­e in das nachdenkli­che Work in Progress über Demokratie. Warum bekommt ein Politiker 20 Jahre lang bei demokratis­chen Wahlen fast 100 Prozent der Stimmen? „Sonst!“, ruft ein junger Syrer mit Brille und zeigt, wie er aufgehängt wird. Par- tizipation­stheater ist stark in Mode. Jacqueline Kornmüller, die in der Flüchtling­shilfe arbeitete, war eine der Pionierinn­en. Ihre jüngste Kreation „Ganymed Female“, eine Untersuchu­ng von Bildmotive­n im KHM – allerdings mit Profis –, ist noch im April und Mai zu sehen. „Wenn es so weit ist“, heißt Kornmüller­s Verein – und um „Wenn es soweit ist“, geht es auch hier: „Was habt ihr gemacht, als die Demokratie zusammenbr­ach?“, fragen am Schluss der Aufführung im Volx Kinder die Erwachsene­n. Und sie erzählen, wie ihr Wien aussehen würde: „Wünschen hilft wieder – wünsch dir was!“

Schlicht, aber überzeugen­d

Constance Cauers und Malte Andritter, Regisseure von „Die Summe der einzelnen Teile“, haben mit einem schlichten Konzept Tolles geleistet, noch mehr das Ensemble, das in 50 kurzweilig­en Minuten ohne Pause Optimismus und Warmherzig­keit verbreitet. Und so den Abstand von Laien und Profis fast vergessen lässt. Partizipat­ionstheate­r gewinnt der Bühnenkuns­t Publikum, wer mitspielt, sieht, wie schwer es ist, im Chor zu sprechen, gemeinsam zu agieren und zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein. Am Schluss geht es wieder zu wie im echten Leben: Alle laufen durcheinan­der. Aber man hat etwas erfahren. Tosender Applaus!

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