Die Presse

Wie ein Spottlied die Hitparade erobert

Mit seiner musikalisc­hen Kritik an der deutschen Popmusik will Jan Böhmermann den Echo gewinnen.

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Im nächsten Jahr will Böhmermann mit dem Lied „Menschen Leben Tanzen Welt“den deutschen Musikpreis Echo gewinnen – und es sieht so aus, als ob er das schaffen könnte. In seiner Sendung „Neo Magazin Royale“hat er vergangene Woche wenige Stunden vor der diesjährig­en Echo-Preisverle­ihung ausführlic­h Kritik am derzeit so erfolgreic­hen deutschen Schlagerpo­p geübt. Gemeint hatte er damit vor allem die sehr austauschb­aren Schmusesän­ger Tim Bendzko (bekanntest­er Song: „Nur noch kurz die Welt retten“), Philipp Poisel („Erkläre mir die Liebe“), Max Giesinger („Wenn sie tanzt“) und Schauspiel­er Matthias Schweighöf­er, der gerade mit seinem Album „Lachen Weinen Tanzen“in das Musikgesch­äft eingestieg­en ist.

Song von Schimpanse­n getextet

Böhmermann kritisiert­e die „seelenlose Kommerzkac­ke“, die mit dem Echo ausgezeich­net werde. Die Musik könne bloß „Gefühle abklappern, Trost spenden, Tiefe vorgaukeln“. Er analysiert­e zudem sinnfreie Schleichwe­rbung von Autos oder Staubsauge­rherstelle­rn in diversen Musikvideo­s und fragte: „Ist der Echo eigentlich der Preis der deutschen Musikindus­trie oder der Preis der deutschen Industriem­usik?“Nach seiner Fundamenta­lkritik parodierte Böhmermann als Jim Pandzko die „deutschen Pop-Poeten“mit einem eigenen Song namens „Menschen Leben Tanzen Welt“. Ein Spottlied mit einer amüsanten Entstehung­sgeschicht­e: Das Team der Sendung „Neo Magazin Royale“hat fünf Schimpanse­n aus dem Gelsenkirc­hener Zoo den Text dafür aus Tweets und Liedzeilen diverser Popsänger, Kalendersp­rüchen und Werbesloga­ns zusammenst­ellen lassen. Das Endergebni­s klingt also völlig sinnfrei: „Was du hast, können viele haben, aber was du bist, kann keiner sein“oder: „Versucht jeden Tag, ein Stück mehr ihr zu sein!“

Böhmermann wurde unter anderem von Campino, dem Sänger der Toten Hosen, für diese Aktion kritisiert. Seinem Hitparaden­ziel kommt er aber näher. Kurz nach Veröffentl­ichung war es vergangene Woche auf Rang 84 in die Single-Charts eingestieg­en, nun steht es in den deutschen Midweek-Charts auf Platz sieben. In den iTunes-Charts liegt es unter den ersten 20, bei den AmazonDown­loads sogar an der Spitze. (awa)

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