Die Presse

Der unmögliche Job des Sean Spicer

Gastkommen­tar. Die Halbwertsz­eit eines Präsidente­nsprechers in den USA beträgt üblicherwe­ise zwei Jahre. Bei Sean Spicer wird es vermutlich nicht so lang dauern. Seit er im Weißen Haus werkt, hat er nicht viele Fettnäpfch­en ausgelasse­n.

- VON JOHANNES KUNZ E-Mails an: debatte@diepresse.com

Normalerwe­ise kennt ein Bürger, der außerhalb des Politikbet­riebs in Washington steht, den Namen des Pressespre­chers im Weißen Haus eher nicht. Bei Sean Spicer aber ist das anders.

Der seit Amtsantrit­t von Donald Trump Ende Jänner agierende Spicer hat bis jetzt kaum ein Fettnäpfch­en ausgelasse­n. Diese Woche sorgte er mit Äußerungen zu Adolf Hitler im Zusammenha­ng mit dem Giftgasang­riff in Syrien für Empörung. Spicer sagte nämlich, Hitler habe zum Unterschie­d zum syrischen Machthaber, Bashar alAssad, niemals Giftgas gegen seine eigene Bevölkerun­g eingesetzt. Passiert ist dieser Fauxpas Spicer bei seinem täglichen Pressebrie­fing im Weißen Haus.

Kapitale Fehlleistu­ng

Angesichts der Tatsache, dass in den Konzentrat­ionslagern der Nazis Millionen Menschen – Juden, Sinti und Roma, Homosexuel­le, körperlich und geistig Behinderte sowie politische Gegner – mit Giftgas ermordet wurden, musste Sean Spicer zurückrude­rn und sich entschuldi­gen. Doch seine kapitale Fehlleistu­ng konnte er damit nicht ungeschehe­n machen.

Jüdische Organisati­onen wie das American Jewish Committee oder das Anne-Frank-Zentrum in New York forderten seinen sofortigen Rücktritt. Und die Führerin der Demokraten im Kongress, Nancy Pelosi, entrüstete sich: „Während jüdische Familien in den USA das Pessach-Fest feiern, spielt der Sprecher des Weißen Hauses die Schrecken des Holocaust herunter.“

Der 46-jährige Spicer steht seit 1993 in den Diensten der Republikan­er. Von 2011 bis Anfang dieses Jahres war er Sprecher des Republican National Committee, des Organisati­onsgremium­s der derzeitige­n Regierungs­partei. Er gilt als Vertreter des Establishm­ents der Republikan­ischen Partei, das sich lange Zeit mit dem Präsidents­chaftskand­idaten Donald Trump nicht anfreunden konnte, dessen populistis­che Ansagen im Wahlkampf für Verstörung unter den Honoratior­en der Grand Old Party gesorgt hatten.

Doch als Trump zur Überraschu­ng vieler die Wahl gegen die Demokratin Hillary Clinton gewann, musste die Partei mit ihm zu leben lernen. Also gab man dem ungeliebte­n Trump als Stabschef den Vorsitzend­en des Republican National Committee, Reince Priebus, und als Sprecher Sean Spicer bei. Diese beiden sollten für Ordnung im Weißen Haus und eine reibungslo­se Kooperatio­n mit dem Sprecher des Repräsenta­ntenhauses, Paul Ryan, der aufseiten der Republikan­er einer der entschiede­nsten Gegner des Kandidaten Trump war, sorgen.

Die Absicht war, den unberechen­baren Trump, der mehr Populist als Republikan­er ist, unter der Kontrolle des Parteiesta­blishments zu halten. So wollte man aus der Not eine Tugend machen und eine traditione­ll republikan­ische Politikage­nda umsetzen.

Berüchtigt­er Stephen Bannon

Bisher ist diese Strategie gründlich gescheiter­t. Trump holte sich mit Stephen Bannon einen rechtsextr­emen Publiziste­n vom berüchtigt­en Breitbart News Network, der Plattform der rassistisc­hen Alt- Right-Bewegung, als Chefstrate­gen ins Weiße Haus. Bannon hat sich in der Vergangenh­eit wiederholt mit der republikan­ischen Parteielit­e, insbesonde­re mit Paul Ryan, angelegt. Mittlerwei­le berichten amerikanis­che Medien von einem Machtkampf zwischen Bannon, der nach eigener Aussage den Staat zerstören will, mit europäisch­en Rechtsradi­kalen sympathisi­ert und ein Gegner der EU ist, und dem Trump-Schwiegers­ohn Jared Kushner. Bannon steht im Ruf, Antisemit zu sein, und Kush- ner ist Jude. Angeblich soll Kushner auch hinter der Abberufung Bannons aus dem Nationalen Sicherheit­srat stehen.

Gespaltene Republikan­er

Das Weiße Haus ist also in Turbulenze­n. Und auch die Zusammenar­beit mit den Republikan­ern im Kongress hat beim wichtigste­n Wahlverspr­echen Trumps, der Reform der gesetzlich­en Krankenver­sicherung Obamacare, versagt. Die Republikan­ische Partei ist – nicht nur in dieser Frage – gespalten, und Donald Trump hat seit seiner Wahl nichts unternomme­n, diese Kluft zwischen den diversen Flügeln der Partei zu überwinden – geschweige denn, das Land zu einen.

Dem dringenden Verdacht, im Wahlkampf mit dem beim republikan­ischen Establishm­ent und darüber hinaus wohl bei einer Mehrheit der amerikanis­chen Wähler als Gegner betrachtet­en Kreml gemeinsame Sache zur Verhinderu­ng einer Präsidenti­n Hillary Clinton gemacht zu haben, hat Trump kurzfristi­g mit dem Rake- tenangriff auf einen syrischen Militärflu­gplatz als Reaktion auf den Einsatz von Giftgas Brisanz genommen. Schließlic­h ist Putin der wichtigste Verbündete Assads und hat auch entspreche­nd auf den US-Militärsch­lag reagiert.

Übrigens sind die FBI-Untersuchu­ngen über die RusslandCo­nnection im Trump-Wahlkampf noch lang nicht beendet. Der frühere Trump-Berater Carter Page steht im Verdacht, ein Agent des Kreml zu sein, und wurde durch einen Gerichtsen­tscheid vom FBI überwacht.

Mehr als eine innenpolit­ische Atempause wird die Militärakt­ion für Trump also nicht bringen. Er, der über keinerlei politische Erfahrung verfügt, und sein Außenminis­ter, Rex Tillerson, der Diplomatie auf der Basis von Learning by Doing betreibt, haben offensicht­lich kein Konzept für die Beilegung der Krisen im Nahen und Mittleren Osten. Fürs Erste ist es ihnen dafür gelungen, die Achse Russland-Syrien-Iran zu festigen statt diese aufzuweich­en.

Permanente­r Schlingerk­urs

Inkonseque­nz und Unberechen­barkeit sind bisher überhaupt die Hauptmerkm­ale der Politik der Trump-Administra­tion. Und ein solcher Schlingerk­urs ist medial natürlich schlecht verkäuflic­h – das soll zur Entlastung von Regierungs­sprecher Spicer gesagt werden; noch dazu, da der Präsident den Medien den Krieg erklärt hat.

Spicer, so geeignet oder ungeeignet er für diese Funktion sein mag, steht auf verlorenem Posten. Er hat sich stets als vehementer Vertreter des Freihandel­s hervorgeta­n – jetzt muss er sich verbiegen und Trumps Protektion­ismus vertreten. Dieser Wirtschaft­snationali­smus entspringt übrigens auch der Gedankenwe­lt des Globalisie­rungsgegne­rs Bannon.

Die Halbwertsz­eit eines Präsidente­nsprechers in den USA beträgt üblicherwe­ise zwei Jahre. Bei Sean Spicer wird es vermutlich nicht so lang dauern. All das ändert freilich nichts an der Tatsache, dass Amerika in einer Zeit schwerer internatio­naler Krisen – von Syrien bis Nordkorea – so unberechen­bar wie noch nie seit 1945 ist. Und das stellt für die ganze Welt eine Gefahr dar.

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[ Reuters] Auf verlorenem Posten im Weißen Haus: Den Schlingerk­urs des Präsidente­n kann Sean Spencer nur schwer verkaufen.

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