Amazon expandiert ins Großkundengeschäft
Handel. Den Einzelhandel hat der Online-Riese aus Seattle bereits radikal verändert. Nun hat er den Milliardenmarkt mit Geschäftskunden entdeckt. Die Großhändler fürchten, dass der Preisdruck dadurch deutlich zunehmen wird.
Österreich. Der US-Onlinehändler Amazon steigt im deutschsprachigen Raum nun auch in den Markt mit Geschäftskunden ein. In den USA gibt es bereits „Amazon Business“. Für das Jahr 2020 wird im gesamten Onlinehandel mit Geschäftskunden ein Umsatzvolumen von 6,7 Billionen Dollar erwartet – doppelt so viel wie mit Privatkunden.
Wien. Florian Böhme kam in betont friedlicher Mission zu Österreichs Händlern. „Ich möchte Sie als potenzielle Kunden ansprechen“, sagte der deutsche Amazon-Manager mit einer einladenden Geste auf der Branchenkonferenz des heimischen Handelsverbands Anfang April. „Alles, was Sie an Amazon lieben. Für Unternehmen“, stand hinter ihm an die Wand projiziert. Die Reaktionen im Saal waren aber verhalten.
Das Misstrauen ist hausgemacht: Denn das Angebot von Amazon, andere Händler über seine Homepage ihre Waren verkaufen zu lassen, entwickelte sich für diese oft zum Bumerang. Der Online-Riese habe die Praxis, die meistverkauften Produkte seiner Händler ins eigene Sortiment zu übernehmen – und dabei auch gleich den Preis zu unterbieten –, hieß es bei der Podiumsdiskussion des Handelsverbands wieder einmal aus der Branche. Amazon wurde so zum Konkurrenten seiner Händler, von denen er bis zu 15 Prozent Provision kassiert. Im Einzelhandel ist dies schon geschehen. Jetzt geht die Befürchtung um, das Spiel könnte sich im Großhandel wiederholen.
Rasche „Landnahme“
Der in Seattle beheimatete Konzern von Jeff Bezos hat seit jeher zwei Credos: verkaufen, was sich verkaufen lässt. Und nur auf den Kunden zu schauen, während die Konkurrenz auf ihn schaut. Da war es die logische Konsequenz, dass Amazon in den milliardenschweren Geschäftskundenmarkt (B2B) einsteigt. In den USA startete Amazon Business im Frühling 2015. Heute kann er 400.000 Käufer, 30.000 Händler, monatliche Zuwachsraten von 20 Prozent und einen Umsatz im ersten Jahr von gut einer Mrd. Dollar vorweisen. Das scheint erst die Spitze eines lukrativen Eisbergs zu sein. Laut einer Forrester-Studie sollen die US-weiten Onlineumsätze im B2BBereich bis 2020 auf 1,1 Billionen Dollar steigen. 2015 waren es 780 Mrd. Dollar. Analysten schätzen, dass das weltweite Volumen bis dahin auf 6,7 Billionen Dollar wachsen wird. Damit wäre es doppelt so groß wie das weltweite Onlinegeschäft mit Privatkunden. In internen Dokumenten, die im Herbst öffentlich wurden, betont AmazonBusiness-Chef Prentis Wilson, die „Landnahme“müsse bis 2018 rasch vor sich gehen, solange der Markt offen daliege – alle Größenvorteile bei Preis, Service und Logistik müssen ausgespielt werden.
Seit Dezember ist Amazon Business nun im deutschsprachigen Raum vertreten, seit einer Woche in Großbritannien. Daher auch der Kennenlernbesuch von Böhme in Wien. Um Aufmerksamkeit zu schaffen, wie er betont. Und wohl auch, um Berührungsängste zu nehmen. „In erster Line profitieren die Kunden vom Wettbewerb – und der findet nicht nur exklusiv bei Amazon, sondern generell im Internet statt“, wiederholt er das Motto seiner Firma. Außerdem beweise eine aktuelle Umfrage, dass 83 Prozent der deutschen Unternehmen im Internet einkaufen, aber nur 49 Prozent online verkaufen. Man könne sich nicht einseitig von der Entwicklung ausnehmen, die man selbst befeuere.
Jeder hat ein Berufsleben
Der Konzern weiß, wo er ansetzen muss. Schließlich haben seine 300 Millionen Privatkunden großteils auch ein Berufsleben. „Wir wissen, dass viele Firmen Amazon bereits nutzen, um ihren Bedarf zu de- cken“, sagt Böhme. Diese würden reihum kontaktiert. Die Mitarbeiter könnten Vorteile wie die PrimeMitgliedschaft mit dem Gratisversand zum Geschäftskonto mitnehmen. 50.000 Geschäftskunden und 10.000 Verkäufer folgten dem Ruf des Riesen auf der deutschen Seite in den ersten vier Monaten.
Viele Großhändler bezweifeln dennoch, dass es Amazon schafft, in ihrem Teich zu fischen: Eine langjährige Beziehung zwischen Geschäftspartnern basiert auf Loyalität und direktem Austausch, da passe kein anonymes Amazon dazwischen. Aber auch das Unternehmen weiß mittlerweile, dass Sortiment, Komfort und Preistransparenz im B2B-Markt nicht heilbringend sind. Das Lehrgeld hat es beim Erstversuch 2012 bezahlt. Damals wollten die Amerikaner ihren Marktplatz quasi eins zu eins auf Geschäftskunden umlegen und scheiterten. Heute bietet man neben Services wie Nettorechnungen, intelligente Firmenkonten und Mengenrabatte vor allem eines: eine Heerschar an direkten Ansprechpartnern.
Christoph von Lattorff vom europäischen B2B-Marktplatz Mercateo nennt den zweiten reflexartigen Konter der Händler: Ihr Geschäft könne man nicht kapern – etwa weil sie so komplizierte oder sperrige Waren verkaufen, dass diese nicht so leicht zu kopieren oder zu transportieren sind wie ein Buch. „Es passt für die, die eine Nische haben, die sie kontrollieren können. Alle anderen müssen sich die Zusammenarbeit wirklich gut überlegen“, sagt er. Jeder solle abwägen, ob er für Millionen potenzieller Kunden in Konkurrenz zu einem Marktplatz treten wolle, der selbst handelt und produziert.
Ob man sich diese Abwägung angesichts der steigenden Marktmacht Amazons überhaupt leisten kann, ist aber eine andere Frage.