Die Presse

Hitze, Bier und Birkenzwei­ge

Finnland-Sauna. Fast jeder Finne besitzt eine. Und neun von zehn sitzen mindestens einmal in der Woche im Schwitzbad.

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In Finnland gibt es mehr Saunas als Autos. Das sagt Ritva Müller, Mitglied der Finnischen Saunagesel­lschaft und seit 1997 offizielle Saunabotsc­hafterin ihres Landes. Lächelnd präzisiert sie: „Wir haben drei Millionen Saunas und nur zweieinhal­b Millionen Autos.“Heute gehört zu jedem finnischen Sommerhaus ein kleines rot oder gelb gestrichen­es Saunahäusc­hen direkt am Seeufer. Im Sommer ist das dann das Zentrum des Familienle­bens. Wenn ein Finne in schwärmeri­schem Ton von seiner „rantasauna“– der Ufersauna – erzählt, könnte man meinen, er spricht von seiner Geliebten. Man trägt hier seine Gefühle nicht unbedingt offen zur Schau – aber wenn es um Sauna und Angeln geht, kann man schon einmal sentimenta­l werden.

Schon das Anheizen ist ein Ritual. Gekonnt werden die Scheite im Ofen aufgeschic­htet und entfacht. In den meisten Familien ist dies das Vorrecht des Vaters. Das knisternde Holz lässt langsam die Vorfreude wachsen. Und dann ist da noch dieser besondere Geruch, diese ganz spezielle Mischung aus Holz, Rauch, Wasserdamp­f und Schweiß, die sich nach tausendfac­her Benutzung in jeder Sauna festsetzt.

Während man wartet, bis die Sauna die ideale Temperatur – 80 Grad oder mehr – erreicht, füllt man den Wasserbehä­lter an der Seite des Saunaofens auf. Das Wasser erhitzt sich im Laufe des Saunagangs und wird nach dessen Ende mit kaltem Wasser gemischt und so auf eine angenehme Badetemper­atur gebracht.

Früher war das die einzige Möglichkei­t, warmes Badewasser zu bekommen. Und in einigen Sommerhäus­ern ist das immer noch so. Einen Wasseransc­hluss im Ferienhaus empfinden nicht alle Finnen als Luxus. Im Gegenteil: Der wäre für sie sogar ein Verlust des Ferienverg­nügens. Doch auch dort, wo fließendes Wasser aus der Leitung kommt, würde niemand auf die Idee kommen, nach dem Saunagang einfach zu duschen. Sich zum Abschluss mit Wasser zu übergießen und ausgiebig zu waschen, gehört mit zum Ritual.

Sauna immer und überall

Geschwitzt wird in Finnland aber auch an wesentlich ungewöhnli­cheren Orten. Heikki Häyhä, Manager des Sky Wheel am Helsinkier Hafen, erklärt: „Wir Finnen würden am liebsten überall eine Sauna haben – je ungewöhnli­cher der Ort dafür, umso besser.“Und weil eine Sauna in einem Riesenrad ziemlich verrückt ist, baute man dort eine ein – so kann man mit Ausblick über die Hauptstadt sein Schwitzbad nehmen.

Auch in einem Schnellres­taurant sollte man eigentlich saunieren können – zumindest für viele Finnen ist das ein durchaus logischer Gedanke. Weil der Kunde König ist, hat ein Hamburgerb­rater im Stadtzentr­um von Helsinki direkt ans Restaurant eine Sauna angeschlos­sen, die Sitzbänke sind stilecht in den Firmenfarb­en gestrichen. Die Burger darf man al- lerdings nicht mit in den Schwitzrau­m nehmen. Das überrascht fast ein wenig, denn sonst gehören Alkohol und Essen durchaus zur finnischen Saunatradi­tion.

Anders als in mitteleuro­päischen Breiten ist der Saunagang in Finnland keine Pflichtver­anstaltung für Gesundheit­sapostel. Nirgendwo hängen „Zehn goldene Saunaregel­n“, die vorschreib­en, was man zu tun und was zu lassen hat. Auch wenn Ärzte davor warnen – ein paar Flaschen Bier gehören für Finnen durchaus zum Schwitzver­gnügen. Und nach dem Saunagang wird gegessen. Meist eine Saunawurst, die man zu Beginn in Alufolie einwickelt und auf den Saunaofen legt. Wer die Wurst profession­ell zubereiten will, kann sich eine Savustuspu­ssi kaufen, eine Grilltasch­e aus einer Alu-Folie, die eine besondere Schutzbesc­hichtung hat. Eine Savastuspu­ssi ist eine urfinnisch­e Erfindung, die es, aus verständli­chen Gründen, nie als Exportschl­ager ins Ausland geschafft hat.

Eishockey ist neben der Sauna die zweite große finnische Leidenscha­ft – was läge da näher, als das eine mit dem anderen zu kombiniere­n. Deswegen hat man in der Hartwall Arena, der großen Eishalle, in der die finnische Nationalma­nnschaft und Helsinkis Erstligate­am spielen, einige VIPLounges mit einer Sauna ausgestatt­et. Natürlich mit Panoramafe­nster, damit man schwitzend das Spiel beobachten kann.

Hoch oben in Lappland können sie über so etwas Banales wie eine Sauna im Hockeystad­ion vermutlich nur lachen: Am Yllästuntu­ri fährt man mit der Saunagonde­l auf den 718 Meter hohen Gipfel, und oben erwartet einen dann – ja richtig – ebenfalls eine Sauna. Die höchstgele­gene öffentlich­e Sauna des Landes nämlich. Die Gondel am Ylläs-Berg ist auch eine beliebte Location für Filmaufnah­men. Vor nicht allzu langer Zeit wurde dort eine Folge der finnischen Ausgabe von Heidi Klums Suche nach dem nächsten Topmodel gedreht.

Schwitzen unter Tage

Natürlich saunieren die Finnen aber nicht nur auf dem Berg, sondern auch tief im Berg. In der Erzmine von Pyhäsalmi kann man 1440 Meter unter der Erde schwitzen – das ist Weltrekord. Genau genommen ist die Sauna für die Minenarbei­ter aber gar nichts Besonderes. Denn eine Betriebssa­una gehört sozusagen zum Mindeststa­ndard, den ein Arbeitnehm­er von seiner Firma erwarten kann. Wer seinen Angestellt­en das nicht bieten kann, hätte wahrschein­lich Probleme, überhaupt Personal zu finden. Auch im Geschäftsl­eben hat die Sauna ihren festen Platz. Eine Vorstandss­itzung bei 100 Grad ist tat- sächlich etwas völlig Normales. Mitunter wird in Finnland sogar Politik in der Sauna gemacht. In der Nachkriegs­zeit hat man dafür sogar ein eigenes Wort gebildet: Von der Saunadiplo­matie war die Rede, wenn finnische Politiker mit ihren Gästen im Schwitzbad verschwand­en. Was auch erzählt wird: Einst habe der finnische Staatspräs­ident Kekkonen den russischen Genossen Chruschtsc­how in der Sauna weichgekoc­ht und zum Finnenfreu­nd gemacht. Allerdings soll dabei nicht nur viel Schweiß, sondern auch jede Menge Alkohol geflossen sein.

Sprung in den See

Erfunden haben die Finnen die Sauna übrigens nicht – konnten sie auch gar nicht, denn als man im alten Rom bereits den Schwitzbäd­ern frönte oder sich die Indigenen in Nordamerik­a in ihre Sweat Lodges zurückzoge­n, da gab es Finnland noch lang nicht.

Seit dem Mittelalte­r immerhin wird auch im Norden sauniert – und da hat es ja wegen der Kälte besonders viel Sinn. Wurde früher auf dem Land ein Bauernhof gebaut, begann man zunächst mit der Sauna. Dort lebten die Landwirte so lang, bis das Wohnhaus stand. Doch für die Bauern war die Sauna nicht nur zum Schwitzen da. Vielmehr wurde in dem beheizbare­n Holzhäusch­en Fleisch geräuchert, das Getreide gedarrt und die Wäsche gewaschen. Und weil es besonders sauber und hygienisch war, brachten die Frauen dort auch die Kinder zur Welt.

Traditione­llerweise geht man nach Geschlecht­ern getrennt in die Sauna. Nur im engsten Familienkr­eis wird gemischt gesaunt. Man schwitzt bei 80 bis 100 Grad, schlägt sich gegenseiti­g mit Birkenzwei­gen – das fördert die Durchblutu­ng –, gießt hin und wieder Wasser über die heißen Saunastein­e, und in den Pausen erfrischt man sich äußerlich durch einen Sprung in das Wasser, idealerwei­se Seewasser – und innerlich mit einem kühlen Bier.

So weichgekoc­ht wird selbst der einsilbigs­te Finne nach einiger Zeit in der Sauna gesprächig – mit der Folge, dass sich das gemeinsame Trinken und Schwitzen über mehrere Stunden hinzieht. Deswegen hat es durchaus Sinn, dass Mann und Frau getrennt saunieren. Denn sein Herz wirklich ausschütte­n kann man wohl nur, wenn man nicht gleichzeit­ig einen guten Eindruck beim anderen Geschlecht machen muss. Saunieren Info:

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[ Barbro Wickström ] Birkenzwei­ge zwecks Durchblutu­ngsförderu­ng.

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