Die Presse

Otto v. Veens Amazonen

Zwei lang unentdeckt­e Gemälde sind restaurier­t: Frauenszen­en von Rubens’ Lehrer Otto van Veen.

- VON ALMUTH SPIEGLER

Zwei starken Frauen ist es zu verdanken, dass zwei Gemälde aus den Untiefen der musealen Depots gehoben wurden, die die tradierte Darstellun­g von Frauen in der Kunst – nackt, verführeri­sch, passiv – um seltene Gegenbilde­r ergänzen. Dabei war es ein Zufall, ein gemeinsame­r Brüsseler Freund, dass die New Yorker Malerin R. H. Quaytman auf die Forschunge­n der Kuratorin für flämische Malerei am Kunsthisto­rischen Museum, Gerlinde Gruber, aufmerksam wurde, die seit Jahren zwei seltsame, seit dem 18. Jahrhunder­t nicht mehr ausgestell­te Gemälde aus der KHM-Sammlung bearbeitet­e.

Zwei Bilder, von denen man nicht einmal zeitnahe zu ihrer Entstehung so recht wusste, was auf ihnen eigentlich zu sehen ist: Auf beiden entkleiden sich Frauen mit fast aggressive­r Geste selbst, einmal um Soldaten zu verführen, ein anderes Mal, um Soldaten zu verjagen. Letzteres gelingt ihnen, indem sie wie drohend ihre Röcke heben, um ihr Geschlecht zu zeigen. Worauf der Heeresanfü­hrer wie beim Anblick des Teufels sogar den Arm schützend vor die Augen reißt. Vor Schrecken scheinen die Kämpfer umzudrehen und, von der Front der Geschlecht­er fliehend, wieder in die Schlacht unter Männern zu ziehen. Siegreich, wie sich herausstel­lt.

Ab in den Wald mit den Amazonen

Was soll das für eine Geschichte sein? 1991, als die beiden Tafelbilde­r erstmals ins Verzeichni­s der Gemälde des KHM aufgenomme­n wurden, dachte man noch, es handle sich um eine wirre Version von „Coriolan und die Frauen“. Und bei der anderen Tafel um eine wohl orgiastisc­he „Szene aus der römischen Geschichte (?)“. Ihr Maler gab ähnliche Rätsel auf, niederländ­isch, Ende 16. Jahrhunder­t, lautete die Zuschreibu­ng. Gruber, die Rubens-Spezialist­in, begann mit der Lösung, diskutiert­e sie in Fachkreise­n, und heute steht fest: Bei der Paarungs-Szene der Nackten und der Soldaten handelt es sich um die Verbindung der beiden Völker der „Amazonen und Skythen“, wie Herodot sie in seinen „Historien“beschrieb. Man sieht noch, wie eine der Frauen dieses stolzen Kriegerinn­en-Stammes sich ihrer eigenen Rüstung entledigt. Bevor man sich auf die anrückende­n jungen Skythen stürzte – um mit ihnen in die Wälder abzurausch­en. Heraus kam bei all dem ein neues Völkchen, die Sauromaten, historisch gesehen ein iranisches Reitervolk aus dem 6. Jh. v. Chr.

Im Iran spielt auch das (wahrschein­liche) Pendant-Bild, die Röcke-hebenden Frauen: Gruber hat hier „Die Perserinne­n“, eine Geschichte, die Plutarch in den „Moralia“erzählt, identifizi­ert. Als die Perser nach einer verlorenen Schlacht nach Hause fliehen wollten, trieben ihre Frauen sie mit besagter Geste und folgendem Satz an die Front zurück: „Wohin wollt ihr, die Feigherzig­sten unter Allen? Denn dahin könnt ihr nicht wieder zurückkehr­en, von wo ihr herausgeko­mmen seid.“Die Männer drehten um und besiegten den Feind. Das fasziniert­e (nicht nur) die USKünstler­in Quaytman, die sich daraufhin gemeinsam mit der österreich­ischen PhileasSti­ftung für die Finanzieru­ng von Erforschun­g und Restaurier­ung der in erbarmungs­würdigem Zustand befindlich­en Gemälde engagierte. Was auch mit ein Grund gewesen sein durfte, dass die Bilder in der ehemaligen Sekundärga­lerie des KHM hinter mobilen Wänden (Wangen) verborgen gewesen sind; der damals irritieren­de Inhalt dürf- te sein Übriges dazu beigetrage­n haben.

Jetzt konnte die erste der beiden großformat­igen bemalten Eichenholz­tafeln aus der aufwendige­n Restaurier­ung durch Michael Odlozil entlassen werden. Erstmals dürfen auch die „Amazonen und Skythen“in die große Gemäldegal­erie des KHM, wo sie im Rahmen der Einzelpräs­entations-Reihe „Ansichtssa­che“zu sehen sind, inklusive einer ausführlic­hen begleitend­en Publikatio­n. Auf die „Perserinne­n“muss man dagegen noch ein wenig warten, sie dürfen erst im Herbst in der Secession ihre Röcke auslüften, im Rahmen der Einzelauss­tellung von Quaytman, die sich in ihren eigenen Arbeiten auf das Gemälde bezieht. Parallel dazu wird im KHM die große Rubens-Ausstellun­g stattfinde­n, wo die „Amazonen und Skythen“integriert sind, um das Frühwerk Rubens besser verstehen zu lernen, hofft Kuratorin Gruber.

Denn mittlerwei­le konnte der seit Mitte der 1980er-Jahre vermutete flämische Maler bestätigt werden, der die zwei Bilder wohl einst für die Prager Sammlung von Kaiser Rudolf II. anfertigte (im prüden gegenrefor­matorische­n Flandern hätte sich niemand so ein Motiv zu besitzen getraut, so Gruber): Otto van Veen (1556–1629) war der frühe und wichtigste Lehrer von Barock-Star Peter Paul Rubens. Zwischen 1594/95 und 1598 war der in van Veens Antwerpene­r Werkstatt als Lehrling beschäftig­t (und wohnte auch bei ihm zu Hause). Ob Rubens in dieser Funktion auch an den „Amazonen“und „Perserinne­n“mitgearbei­tet hat, traut Gruber sich nicht mit Sicherheit sagen. Jedenfalls sei diese Zeit bei van Veen wesentlich, um Rubens Frühstil nachvollzi­ehen zu können, als die Frauenfigu­ren noch recht gedrechsel­t wirkten und die Knie, Ellbogen und Hinterteil­e gerötet waren, wie man es von van Veen kennt. So detaillier­t wie sein Lehrer das weibliche Geschlecht in den „Perserinne­n“darstellte, traute Rubens sich das allerdings nie.

Ansichtssa­che Otto van Veen, bis 16. Juli, KHM.

 ?? [ KHM ] ?? Frisch restaurier­t und im Herbst nicht im KHM, sondern in der Secession zu sehen: „Die Perserinne­n“, Otto van Veen (1556–1629), hier ein Ausschnitt.
[ KHM ] Frisch restaurier­t und im Herbst nicht im KHM, sondern in der Secession zu sehen: „Die Perserinne­n“, Otto van Veen (1556–1629), hier ein Ausschnitt.

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