Die Presse

Leitartike­l von Wieland Schneider

Europas Politiker müssen Erdo˘gan klarmachen, dass sie das Kippen der Türkei in ein autoritäre­s System nicht akzeptiere­n – und trotzdem Türen offen halten.

- VON WIELAND SCHNEIDER E-Mails an: wieland.schneider@diepresse.com

E r hat eine stabile Türkei versproche­n, ein Land, in dem Ruhe und Wohlstand herrschen. Dafür hat Recep Tayyip Erdogan˘ etwas gefordert: Er wollte, dass die Türken das Präsidente­namt – und damit in weiterer Folge ihn – per Referendum mit einer ganz neuen Machtfülle ausstatten. Das haben sie, zumindest laut türkischer Regierung und Wahlkommis­sion, mit einer hauchdünne­n Mehrheit getan. Doch die versproche­ne Stabilität ist nicht in Sicht. Die Opposition will das Ergebnis nicht akzeptiere­n. Das lässt unruhige Zeiten befürchten. Denn Erdogan˘ und seine Anhänger haben bereits den Sieg verkündet und denken nicht daran, sich ihn wieder nehmen zu lassen.

Anders als die Führung der linken, prokurdisc­hen HDP blieben die Spitzenpol­itiker der größten Opposition­spartei, der kemalistis­chen CHP, bisher von polizeilic­her Verfolgung weitgehend unbehellig­t. Sollte sich der Streit zwischen Regierung und CHP um die Gültigkeit des Referendum­s aber auf die Straße verlagern, würde das hochbrisan­ten Sprengstof­f in sich bergen. Vor allem, wenn die Regierung in Versuchung geriete, auch diesen politische­n Konflikt mithilfe des Sicherheit­sapparats auszutrage­n. Denn anders als die kleinere HDP ist die CHP tief im türkischen Mainstream verankert.

Die Türkei ist bereits jetzt mit einer ganzen Reihe massiver Probleme konfrontie­rt: Beim Nachbarn Syrien tobt ein verheerend­er Bürgerkrie­g, in dem die türkische Regierung freilich als einer der externen Spieler mitmischt. Kein anderes Land hat so viele syrische Flüchtling­e aufgenomme­n wie die Türkei. Zugleich hat der Konflikt in Syrien auch in einer anderen Form die Grenze zur Türkei überschrit­ten – in Form blutiger Anschläge des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS).

Der Friedenspr­ozess mit den Kurden liegt in Scherben. In der Südosttürk­ei herrscht Kriegszust­and zwischen der Armee und der kurdischen Untergrund­organisati­on PKK. Die Sicherheit­skräfte gehen mit massiver Gewalt gegen aufständis­che kurdische Städte vor. Und kurdische Attentäter haben den Konflikt in Metropolen wie Istanbul getragen. Dann noch der Putschvers­uch im Juli und die massiven Gegenmaßna­hmen der Regierung. Zigtausend­e Personen fielen Massentlas­sungen und Verhaftung­en zum Opfer – Menschen, die den Machthaber­n im Weg standen und wohl kaum in den Militärput­sch verwickelt waren.

Für die türkische Führung wäre es an der Zeit, das Land endlich in ruhigere Gewässer zu steuern. Doch sie fügt nur ein weiteres Problem hinzu: Mit dem Referendum haben sich die Gräben weiter vertieft. Wenn Erdogan˘ nun darangeht, das Präsidials­ystem zum Aufbau eines noch autoritäre­ren Staates zu benutzen, führt er das Land in noch mehr Instabilit­ät – und immer weiter weg von Europa. Denn eine EU-Mitgliedsc­haft einer Türkei, die derartige autoritäre Strukturen aufweist, ist nicht denkbar.

Der EU-Beitrittsp­rozess war für die Türkei einst ein Reformmoto­r, gerade in den Anfangsjah­ren der Regierung Erdogan.˘ Für viele der EU-Staaten kam – trotz anderslaut­ender Verspreche­n – eine Mitgliedsc­haft der Türkei in Wahrheit aber nie infrage. Die Entscheidu­ng darüber, ob der Beitrittsp­rozess weitergefü­hrt werden soll, könnte nun Erdogan˘ Europas Politikern abnehmen: Sollte er auch die Todesstraf­e einführen, würde er die Beitrittsv­erhandlung­en von sich aus abbrechen. Auch in Ankara weiß man, dass ein Land mit Todesstraf­e nicht EU-Mitglied werden kann. D amit würde Erdogan˘ jene Türken in Geiselhaft nehmen, die nicht mit seinen Plänen einverstan­den sind. Und gerade das Referendum hat gezeigt, dass das nicht wenige sind: Selbst nach Angaben der Regierung stimmten nur etwa 51 Prozent für ein Ja zu Erdogans˘ Präsidials­ystem. Und das, obwohl die Regierung mit einer ungeheuren Maschineri­e an Propaganda und Repression für ein Ja geworben hatte.

Europas Politiker stehen nun vor einer schwierige­n Aufgabe: Sie müssen Erdogan˘ endlich klarmachen, dass sie den Umbau der Türkei in ein autoritäre­s System nicht akzeptiere­n. Und zugleich müssen sie jenen die Tür offen halten, die sich in der Türkei dagegen wehren.

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