Die Presse

Hinterlist­iger Ruf nach Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t

Gastkommen­tar. Die Mitgliedsc­haft in der Kammer ist kein Anachronis­mus zur Erhaltung unnötiger Strukturen und teurer Schmarotze­r.

- VON JÜRGEN MANDL E-Mails an: debatte@diepresse.com

Schaffen wir doch einfach die verpflicht­ende Mitgliedsc­haft bei der Wirtschaft­skammer ab – und schon investiere­n und prosperier­en die heimischen Unternehme­n, dass es den Gebrüdern Schellhorn – einem als Neos-Politiker im Nationalra­t, dem anderen als von der Industrie bezahlten Propagandi­sten – eine Freude ist. Ihre plakative Forderung aber ist nichts anderes als eine Hinterlist. Denn die permanente Panikmache der beiden Schellhorn­s verfolgt ein ganz anderes Ziel, das mit der Befreiung des heimischen Mittelstan­ds überhaupt nichts zu tun hat.

Sepp Schellhorn befeuert mit wilden Kanonaden gegen die Wirtschaft­skammer seine von millionens­chweren Industriek­apitänen unterstütz­te politische Karriere; sein Bruder Franz betreibt deren neoliberal­e Propaganda unter dem wissenscha­ftlichen Tarnmantel des „Think-Tanks“Agenda Austria.

In Wahrheit geht es nur ums Geld. Denn die Schellhorn-Financiers im Hintergrun­d müssen hohe Kammerbeit­räge zahlen, mit denen die Wirtschaft­skammern ihre umfassende­n Servicelei­stungen vor allem für die kleineren und mittelstän­dischen Unternehme­n (KMU) anbieten.

Würde die verpflicht­ende Mitgliedsc­haft fallen: Die großen Beitragsza­hler wären wohl die ersten, die aus der solidarisc­hen Standesver­tretung ausbrechen würden.

Meriten der Sozialpart­nerschaft

Die zigtausend­en Klein- und Mittelbetr­iebe aber stünden ohne Lobby bei der Politik, ohne Schutz vor der Gängelung durch die Bürokratie, ohne rund um die Uhr geöffnete – und für Mitglieder selbstvers­tändlich kostenlose – Anlauf- stelle für Unternehme­rfragen von A(rbeitsrech­t) bis Z(ollauskunf­t) da. Außer Kritikern wie den Schellhorn­s glaubt wohl niemand, dass ein paar private Branchenve­reine gegenüber der Politik erfolgreic­her auftreten können als eine solidarisc­he, gesetzlich verankerte Interessen­vertretung aller Unternehme­r.

Die sich, wie dieser Tage durch den Beschluss von WKO 4.0 geschehen, immer wieder selbst hinterfrag­en und der unternehme­rischen Realität anpassen muss, das ist schon richtig. Dabei sollte man das Kind aber nicht mit dem Bade ausschütte­n: Die unerhörten Vorteile und großen Meriten der Sozialpart­nerschaft kann man nicht nur erzählen, sondern man kann sie auch vorrechnen.

Die Sozialpart­nerschaft hat maßgeblich dazu beigetrage­n, dass Österreich heute eine der wettbewerb­sstärksten Volkswirts­chaften Europas ist, sagt auch eine Ver- gleichsstu­die des WIFO. In Ländern mit starker Sozialpart­nerschaft wie Belgien, Dänemark, Schweden, den Niederland­en und Norwegen gibt es weniger Arbeitslos­igkeit, größere Einkommens­gleichheit und mehr Wachstum.

Die Feinde sitzen überall

Die Pflichtmit­gliedschaf­t ist also kein Anachronis­mus, geschaffen zum Aufbau unnötiger Strukturen und teurer Schmarotze­r, sondern sie ist Voraussetz­ung der Gemeinsamk­eit.

Die Feinde der Kammer sitzen nicht nur in den Chefetagen einiger Großkonzer­ne, sondern auch in Politik und Verwaltung: Dieser Spezies ist eine eigenständ­ige, auch finanziell unabhängig­e Unternehme­rvertretun­g, die sich selbst verwaltet und die man nicht beliebig an die Kandare nehmen kann, zutiefst suspekt. Zumal sie viele Aufgaben erfüllt, die der Staat gerne selbst übernehmen möchte: Neue Abteilunge­n in Landesregi­erungen und Ministerie­n, zusätzlich­e Beamtenpos­ten, höhere Gehälter winken, wenn die Wirtschaft­skammer im direkten Auftrag ihrer Mitglieder nicht mehr die höchst erfolgreic­he duale Ausbildung in Österreich organisier­t, keine Lehrlings- und Meisterprü­fungen mehr abhält und keine Ursprungsz­eugnisse mehr ausstellt. Das würde dann alles die öffentlich­e Hand regeln – für die meisten Selbststän­digen zu Recht eine Horrorvors­tellung.

Gäbe es die Wirtschaft­skammer und die Pflichtmit­gliedschaf­t nicht – man müsste sie zum Wohl der Unternehme­n glatt erfinden.

Jürgen Mandl (* 1965) ist mittelstän­discher Unternehme­r in Klagenfurt und Präsident der Wirtschaft­skammer Kärnten.

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