Gedenkorte können junge Leute auf bessere Gedanken bringen
Lernen statt strafen: Das oft gescholtene Innenministerium und die Justiz verwirklichen in Mauthausen gerade ein bemerkenswertes Konzept.
Im Wiener Justizpalast thront eine Statue. Sie stammt aus vordemokratischer Zeit. Am oberen Ende einer Treppe sitzt gebieterisch Justitia. Unter ihrem Monument verschwindet der Bürger. Er sieht, dass ihre Augen nicht verbunden sind. Offenen Blicks taxiert sie den Untergebenen. In der Hand trägt sie keine Waage – nein: Ihr Arm hält ein Schwert. Diese Justitia wägt nicht ab, sie richtet. Mit dem Schwert. Unter allen Denkmälern Wiens ist dies das fürchterlichste.
Dass diese Darstellung nicht bloß symbolisch gemeint war sondern parteilich und blutig exekutiert wurde, belegt die Geschichte. Das Denken in Haft und Abschreckung prägt auch heute noch den öffentlichen Diskurs.
Fast immer kommt aber der Ruf nach schärferen Strafbestimmungen aus dem Mund der Politik. Erfahrene Juristinnen und Juristen erheben ihn selten. Ihnen genügt die Anwendung der bestehenden Gesetze. Sie schaffen es auch, neue Wege zu beschreiten. Ein Beispiel dafür ist der Umgang von Gerichten mit rechtsextremen Äußerungen Jugendlicher, die das 18. Lebensjahr noch nicht überschritten haben. Lange hat man ihre Taten als Dumme-Buben-Streiche verharmlost. Das drohende drakonische Strafausmaß trug zweifellos zu manchen Freisprüchen bei.
Seit einigen Jahren aber vollziehen Richterinnen und Richter das nach, was in der Schulverwaltung seit den 1970er Jahren die Regel geworden ist: Das Ersetzen von Strafen durch Erziehungsmittel. Junge Menschen, die aus Dummheit oder irregeleiteter Überzeugung auf rechtsextremen Websites ihre Likes abgeliefert haben, werden nicht mehr ins Gefängnis geschickt, sondern auf die Schulbank.
Ein solcher Nachhilfeunterricht in Rechtsstaat, Geschichte und Demokratie findet in der Gedenkstätte Mauthausen statt. Dorthin vermitteln Richterinnen und Richter straffällig gewordene Jugendliche. Im Memorial Mauthausen treffen diese jungen Menschen, meist sind es Burschen, auf Jugend- und Er- wachsenenbildnerinnen, die reiche Erfahrungen mit skeptischen Fragestellungen haben. Sie wissen, dass Probleme macht, wer Probleme hat. Sie drohen nicht, sie erklären. Sie drücken niemandem ein Kainsmal auf, sondern informieren. Ihre Hoffnung ist die Bildbarkeit des jungen Menschen. Schwert haben sie keines in der Hand.
Die Zusammenarbeit der Justiz mit einer Gedenkstätte stimmt optimistisch. Sie zeigt, dass die Aufklärung noch einen Platz im Lande hat. Man könnte sie sogar exportieren. Nach Großbritannien etwa, wo vor einigen Jahren der hoffnungsvolle Prinz Harry bei einer Party mit einer Hakenkreuzbinde am Arm erschien. Danach meinte er ebenso entschuldigend wie lakonisch, das sei keine gute Kleiderwahl gewesen.
In Österreich haben Richterinnen und Richter, das viel gescholtene Innenministerium, der Verein „Neustart“und die Gedenkstätte Mauthausen ein Zeichen gesetzt. Sie versprechen keine gefängnislose Gesellschaft, sie nehmen sich vielmehr der Jugendlichen an.
Wer immer die Initiative der Justiz und der Gedenkstätte Mauthausen naiv oder zu wenig streng findet, sollte an die eigenen Jugendjahre zurückdenken. War man nach manchen Verstößen nicht froh, wenn es zwar einen deutlichen Rüffel gab, aber nicht gleich der Staatsanwalt und ein Richter auf den Plan traten?
Gefängnisse schaffen selten bessere Menschen. Schon deshalb gehört der Versuch in Mauthausen unterstützt. Wer die Pädagoginnen der Gedenkstätte Mauthausen und ihre Kooperation mit dem Verein „Neustart“beobachtet hat, kann nur den Hut vor ihrer Arbeit ziehen.
Für jene, die an der Kippe zur Inhaftierung stehen, bedeuten erzieherische Maßnahmen einen ersten und richtigen Versuch. Er ersetzt das Schwert der Justitia durch menschliche Führung. Allen, die dafür Zeit und Mühe opfern, kann man nur laut „Danke“sagen.