„Das Fußballgeschäft ist unbarmherzig“
Interview. Theoretisch könnte sich der nächste Lionel Messi gerade in Salzburg tummeln, sagt der Deutsche Ernst Tanner, Akademie- und Nachwuchsleiter bei Red Bull. Ein Gespräch über Ansprüche, Image, Perspektiven und Typen im Fußball.
Die Presse: Salzburg bestreitet am Freitag in Nyon gegen den FC Barcelona das Halbfinale der Uefa Youth League. Wie lässt sich dieser Erfolg einordnen? Ernst Tanner: Wir sind in die Phalanx der etablierten Jugendakademien vorgestoßen. Wer weiß, wie professionell anderswo gearbeitet wird, wie viel Geld dort im Spiel ist, der wird erkennen, dass wir uns mit Giganten messen. Umso schöner ist es, das so etwas mit einem österreichischen Klub möglich ist.
Der Vergleich mag hinken, aber: Warum ist Ähnliches im Erwachsenenfußball nicht möglich? Stößt selbst Salzburg irgendwann an monetäre Grenzen? Natürlich. Die Schere geht immer weiter auseinander, wenn mehr Geld ins Spiel kommt. Wir kriegen keine Topstars nach Österreich, wir müssen sie selbst ausbilden. Salzburg kann keinen Spieler um 15 Millionen Euro kaufen, weil er nicht in der österreichischen Bundesliga spielen will. Das ist doch ganz normal. Aber im Jugendbereich haben wir uns ein hohes Standing erarbeit, wir bekommen gute Spieler. Nicht nur aus Österreich, auch von unseren Partnervereinen oder den anderen Akademien, etwa aus Afrika.
Was spricht denn für Salzburg? Junge und talentierte Spieler kommen zu uns, weil sie wissen, dass sie hier gut integriert und betreut werden. Und weil sie wissen, dass sie eine gute Durchbruchschance haben. Das hat sich mittlerweile herumgesprochen. Wir haben in Salzburg nicht eine derartige Akademie gebaut, um einen durchschnittlichen österreichischen Bundesligaspieler auszubilden. Das kann nicht unser Anspruch sein.
Sie sprechen die Perspektive Leipzig an. Wenn sich ein Spieler über das Niveau der Bundesliga hinausentwickelt hat, dann will er nicht mehr hier bleiben, wir haben das mehrfach erlebt. Ob der Spieler dann nach Leipzig, Southampton oder Leverkusen geht, ist teilweise unser Geschick, aber wir haben es nicht immer in der Hand. Letztlich entscheidet der Markt. Leipzig kann auf diesem Markt mitmischen, aber es geht nicht jeder dorthin. Manch Salzburger Fan beklagt dieses Schicksal. Es ist auch schwer nachzuvollziehen, das Geschäft ist unbarmherzig. Es bleibt kein Platz für Sentimentalitäten. Aber: Wir können in Österreich sehr viel zum Positiven verändern, wenn wir noch besser ausbilden. Alles steht und fällt mit der Ausbildung.
Salzburg ist nun schon seit einigen Jahren nicht mehr Großeinkäufer, sondern Ausbilder. Haben Sie den Eindruck, die Öffentlichkeit hat diesen Imagewandel tatsächlich erkannt? Eine Wahrnehmung zu verändern ist schwieriger als eine zu kreieren. Natürlich brauchen wir Akzeptanz, das ist doch klar. Ich wünsche mir ein Umdenken. Wenn ich aber in den Medien lese, dass schon wieder ein Spieler nach Leipzig gegangen oder Superstar Soriano weg ist, macht es das nicht einfacher. Hat es uns, provokativ gefragt, geschadet, dass er nicht mehr hier ist? Durch den Abgang von Soriano haben sich die taktische Ausrichtung und die Systematik des Spiels ein wenig verändert. Es kann dadurch aggressiver nach vorn verteidigt und angelaufen werden.
Weil der Nachwuchsfußball etwas anders funktioniert: Könnte sich in der Salzburger Jugend denn auch der nächste Lionel Messi tummeln? Theoretisch ist es möglich, einzig passiert so etwas nur alle 20 Jahre, und wir müssten Glück haben, dass es hier in Salzburg passiert. Es gibt nicht so viele Messis. Ich habe Messi als 17-Jährigen bei der U20-WM spielen gesehen. Seine Dynamik, die Technik – ein Weltwunder. Aber ein Messi passiert eher im südländischen Raum.
Warum? Ich habe die U19 von Benfica im Training beobachtet, das ist eine Männermannschaft. Wenn man rein die körperliche Entwicklung, sprich Muskulatur, Agilität, Dynamik und Speed heranzieht, dann sind unsere U19-Spieler im Vergleich ja fast noch Bübchen. Franz Beckenbauer hat einmal gesagt, dass die Südländer den anderen voraus sind, weil die Sonne draufscheint und sie deswegen früher reifen. Empirisch bewiesen ist tatsächlich, dass sie einen Entwick- lungsvorsprung von ein bis eineinhalb Jahren haben, das zieht sich hinauf bis in die U21. Vom physischen Standpunkt haben wir also fast keine Chance, mit unserem Fußball aber können wir sie treffen. Das ist unsere Waffe.
Dem Fußball mangelt es an Typen. Sind Akademien nicht Gift für die Persönlichkeitsentwicklung von Spielern? Es kommt auf die Art und Weise an, wie eine Akademie geführt wird. Xaver Schlager ist ein geiler Typ, auch Konrad Laimer hat seinen eigenen Kopf, genauso Valentino Lazaro. Solange wir solche Typen rausbringen, brauchen wir uns nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, alle Jungs kurz und klein zu machen, im Gegenteil. Ich persönlich habe sogar ein Faible für Typen, die ab und zu auch mal ein bisschen Blödsinn im Kopf haben.
Österreichs Fußball beklagt das Fehlen guter und junger Stürmer und Torhüter. Kann Salzburg dabei helfen? Stürmer kommen bei uns genügend nach, aber Torhüter sind ein ganz schwieriges Thema. Wir sind seit ewigen Zeiten bemüht, einen jungen österreichischen Top-Torhüter zu finden, der vielleicht auch das Potenzial zum Nationalteam-Goalie hat. Ohne jemandem aus dem aktuellen Nationalteam zu nahe treten zu wollen, aber wir sehen natürlich auch, dass diese Position nicht wirklich besetzt ist. Nur: Ich weiß nicht, wo all die Torhüter sind.
Wie erklären Sie sich diesen Umstand? Die Torhüterposition ist nunmal nicht die spektakulärste. Und ins Tor will sich sowieso keiner stellen, es widerspricht dem natürlichen Bewegungsdrang. In Österreich fehlt es an Quantität und Qualität, das ist wirklich erschreckend. Deutschland hat junge Torhüter ohne Ende, mittlerweile gibt es sogar in England welche. Überall gibt es sie in großer Zahl, nur hier nicht.
Ihr Vertrag läuft im Sommer aus, Bayern München möchte Sie an die Säbener Straße locken. Was ist der Status quo? Ich habe kein großes Interesse daran wegzugehen. Der Job in Salzburg ist mit der beste, den ich jemals ausüben durfte – und das quasi Zuhause.