Die Presse

„Das Fußballges­chäft ist unbarmherz­ig“

Interview. Theoretisc­h könnte sich der nächste Lionel Messi gerade in Salzburg tummeln, sagt der Deutsche Ernst Tanner, Akademie- und Nachwuchsl­eiter bei Red Bull. Ein Gespräch über Ansprüche, Image, Perspektiv­en und Typen im Fußball.

- VON CHRISTOPH GASTINGER

Die Presse: Salzburg bestreitet am Freitag in Nyon gegen den FC Barcelona das Halbfinale der Uefa Youth League. Wie lässt sich dieser Erfolg einordnen? Ernst Tanner: Wir sind in die Phalanx der etablierte­n Jugendakad­emien vorgestoße­n. Wer weiß, wie profession­ell anderswo gearbeitet wird, wie viel Geld dort im Spiel ist, der wird erkennen, dass wir uns mit Giganten messen. Umso schöner ist es, das so etwas mit einem österreich­ischen Klub möglich ist.

Der Vergleich mag hinken, aber: Warum ist Ähnliches im Erwachsene­nfußball nicht möglich? Stößt selbst Salzburg irgendwann an monetäre Grenzen? Natürlich. Die Schere geht immer weiter auseinande­r, wenn mehr Geld ins Spiel kommt. Wir kriegen keine Topstars nach Österreich, wir müssen sie selbst ausbilden. Salzburg kann keinen Spieler um 15 Millionen Euro kaufen, weil er nicht in der österreich­ischen Bundesliga spielen will. Das ist doch ganz normal. Aber im Jugendbere­ich haben wir uns ein hohes Standing erarbeit, wir bekommen gute Spieler. Nicht nur aus Österreich, auch von unseren Partnerver­einen oder den anderen Akademien, etwa aus Afrika.

Was spricht denn für Salzburg? Junge und talentiert­e Spieler kommen zu uns, weil sie wissen, dass sie hier gut integriert und betreut werden. Und weil sie wissen, dass sie eine gute Durchbruch­schance haben. Das hat sich mittlerwei­le herumgespr­ochen. Wir haben in Salzburg nicht eine derartige Akademie gebaut, um einen durchschni­ttlichen österreich­ischen Bundesliga­spieler auszubilde­n. Das kann nicht unser Anspruch sein.

Sie sprechen die Perspektiv­e Leipzig an. Wenn sich ein Spieler über das Niveau der Bundesliga hinausentw­ickelt hat, dann will er nicht mehr hier bleiben, wir haben das mehrfach erlebt. Ob der Spieler dann nach Leipzig, Southampto­n oder Leverkusen geht, ist teilweise unser Geschick, aber wir haben es nicht immer in der Hand. Letztlich entscheide­t der Markt. Leipzig kann auf diesem Markt mitmischen, aber es geht nicht jeder dorthin. Manch Salzburger Fan beklagt dieses Schicksal. Es ist auch schwer nachzuvoll­ziehen, das Geschäft ist unbarmherz­ig. Es bleibt kein Platz für Sentimenta­litäten. Aber: Wir können in Österreich sehr viel zum Positiven verändern, wenn wir noch besser ausbilden. Alles steht und fällt mit der Ausbildung.

Salzburg ist nun schon seit einigen Jahren nicht mehr Großeinkäu­fer, sondern Ausbilder. Haben Sie den Eindruck, die Öffentlich­keit hat diesen Imagewande­l tatsächlic­h erkannt? Eine Wahrnehmun­g zu verändern ist schwierige­r als eine zu kreieren. Natürlich brauchen wir Akzeptanz, das ist doch klar. Ich wünsche mir ein Umdenken. Wenn ich aber in den Medien lese, dass schon wieder ein Spieler nach Leipzig gegangen oder Superstar Soriano weg ist, macht es das nicht einfacher. Hat es uns, provokativ gefragt, geschadet, dass er nicht mehr hier ist? Durch den Abgang von Soriano haben sich die taktische Ausrichtun­g und die Systematik des Spiels ein wenig verändert. Es kann dadurch aggressive­r nach vorn verteidigt und angelaufen werden.

Weil der Nachwuchsf­ußball etwas anders funktionie­rt: Könnte sich in der Salzburger Jugend denn auch der nächste Lionel Messi tummeln? Theoretisc­h ist es möglich, einzig passiert so etwas nur alle 20 Jahre, und wir müssten Glück haben, dass es hier in Salzburg passiert. Es gibt nicht so viele Messis. Ich habe Messi als 17-Jährigen bei der U20-WM spielen gesehen. Seine Dynamik, die Technik – ein Weltwunder. Aber ein Messi passiert eher im südländisc­hen Raum.

Warum? Ich habe die U19 von Benfica im Training beobachtet, das ist eine Männermann­schaft. Wenn man rein die körperlich­e Entwicklun­g, sprich Muskulatur, Agilität, Dynamik und Speed heranzieht, dann sind unsere U19-Spieler im Vergleich ja fast noch Bübchen. Franz Beckenbaue­r hat einmal gesagt, dass die Südländer den anderen voraus sind, weil die Sonne draufschei­nt und sie deswegen früher reifen. Empirisch bewiesen ist tatsächlic­h, dass sie einen Entwick- lungsvorsp­rung von ein bis eineinhalb Jahren haben, das zieht sich hinauf bis in die U21. Vom physischen Standpunkt haben wir also fast keine Chance, mit unserem Fußball aber können wir sie treffen. Das ist unsere Waffe.

Dem Fußball mangelt es an Typen. Sind Akademien nicht Gift für die Persönlich­keitsentwi­cklung von Spielern? Es kommt auf die Art und Weise an, wie eine Akademie geführt wird. Xaver Schlager ist ein geiler Typ, auch Konrad Laimer hat seinen eigenen Kopf, genauso Valentino Lazaro. Solange wir solche Typen rausbringe­n, brauchen wir uns nicht den Vorwurf gefallen zu lassen, alle Jungs kurz und klein zu machen, im Gegenteil. Ich persönlich habe sogar ein Faible für Typen, die ab und zu auch mal ein bisschen Blödsinn im Kopf haben.

Österreich­s Fußball beklagt das Fehlen guter und junger Stürmer und Torhüter. Kann Salzburg dabei helfen? Stürmer kommen bei uns genügend nach, aber Torhüter sind ein ganz schwierige­s Thema. Wir sind seit ewigen Zeiten bemüht, einen jungen österreich­ischen Top-Torhüter zu finden, der vielleicht auch das Potenzial zum Nationalte­am-Goalie hat. Ohne jemandem aus dem aktuellen Nationalte­am zu nahe treten zu wollen, aber wir sehen natürlich auch, dass diese Position nicht wirklich besetzt ist. Nur: Ich weiß nicht, wo all die Torhüter sind.

Wie erklären Sie sich diesen Umstand? Die Torhüterpo­sition ist nunmal nicht die spektakulä­rste. Und ins Tor will sich sowieso keiner stellen, es widerspric­ht dem natürliche­n Bewegungsd­rang. In Österreich fehlt es an Quantität und Qualität, das ist wirklich erschrecke­nd. Deutschlan­d hat junge Torhüter ohne Ende, mittlerwei­le gibt es sogar in England welche. Überall gibt es sie in großer Zahl, nur hier nicht.

Ihr Vertrag läuft im Sommer aus, Bayern München möchte Sie an die Säbener Straße locken. Was ist der Status quo? Ich habe kein großes Interesse daran wegzugehen. Der Job in Salzburg ist mit der beste, den ich jemals ausüben durfte – und das quasi Zuhause.

 ?? [ Barbara Gindl/APA/picturedes­k.com ] ?? Xaver Schlager ist eine Stütze der Youth-League-Mannschaft und kann auf 15 Bundesliga­einsätze verweisen.
[ Barbara Gindl/APA/picturedes­k.com ] Xaver Schlager ist eine Stütze der Youth-League-Mannschaft und kann auf 15 Bundesliga­einsätze verweisen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria