Die Presse

Feuert May nach Wahl Johnson?

Die britische Premiermin­isterin, Theresa May, tritt mit der vorgezogen­en Wahl die Flucht nach vorn an. Ihr Außenminis­ter, Boris Johnson, könnte dabei auf der Strecke bleiben.

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London. „Trust Me, I’m a Doctor“hieß vor 20 Jahren eine beliebte BBC-Serie über das britische Gesundheit­swesen. „Trust Me, I’m a Politician“fasst die Mehrheit der Bevölkerun­g indes als Widerspruc­h in sich selbst auf. Nichts zeigte daher gestern, Mittwoch, deutlicher das Siegesbewu­sstsein der britischen Premiermin­isterin, Theresa May, als sie ihre Entscheidu­ng zu Neuwahlen mit den Worten begründet: „Trust me.“Von den 650 Abgeordnet­en stimmten 522 für den Urnengang.

Ein neues Mandat durch den Wähler werde ihr „die stärkste Position“in den Verhandlun­gen um den EU-Austritt geben, versprach sie. Die Märkte reagierten positiv, das Pfund erreichte gegenüber dem Dollar den höchsten Stand seit sechs Monaten. Besonders in der Wirtschaft wurden Hoffnungen laut, dass Großbritan­nien nun mehr Spielraum gewinnen und in den Verhandlun­gen mehr Flexibilit­ät zeigen könne: Der EU-Austritt muss bis Ende März 2019 ausverhand­elt sein, bis zu den nächsten Wahlen werden es dann nicht zwölf Monate, sondern drei Jahre sein.

Dennoch sollten sich EU-Befürworte­r keine Hoffnungen machen. „Der EU-Austritt steht nicht zur Debatte“, betonte May gestern erneut. Sie könnte sich jedoch ein zeitliches Polster zwischen dem Brexit und dem nächsten Wahltermin und somit Raum für pragmatisc­he Lösungen geschaffen haben.

Wenn May, wie es alle Umfragen voraussage­n, eine klare Mehrheit im Unterhaus erringt, ist mit einem Revirement zu rechnen: Es blieb nicht unbeachtet, dass etwa Außenminis­ter Boris Johnson zu jenen Ministern gehörte, die nicht im Voraus über den Neuwahlbes­chluss informiert worden waren. Die einzigen beiden Regierungs­mitglieder, die das Vertrauen der argwöhnisc­hen Premiermin­isterin zu genießen scheinen, sind Schatzkanz­ler Philip Hammond und Brexit-Minister David Davis.

Nationalis­ten im Aufwind

Eine überwältig­ende Mehrheit hat in der konservati­ven Partei Mays aber stets zu wilden Flügelkämp­fen geführt. Selbst die einst allmächtig­e Margaret Thatcher scheiterte schließlic­h an ihrer Partei. Und Theresa May ist „keine Margaret Thatcher“, wie konservati­ve Ex-Minister wie David Mellor oder Ken Clarke allzu gerne unken. Sie ist vielmehr von Ereignisse­n getrieben als Herrin des Geschehens.

Denn bei allem Streben nach Dominanz ist nicht zu übersehen, dass May über ein gespaltene­s Land regiert, das manifeste Auflösungs­tendenzen zeigt. In Schottland wird die Neuwahl den Unab- hängigkeit­sbestrebun­gen Aufwind geben, indem sie den Nationalis­ten eine Plattform für ihre Forderunge­n gegen das „arrogante London“liefert. Nordirland steht nach dem Zusammenbr­uch der Autonomier­egierung vor der Rückkehr zur britische Direktverw­altung. Ein Szenario, das niemand will, aber offenbar auch niemand aufhalten kann.

Zugleich beginnen die ersten wirtschaft­lichen Folgen des Brexit zu beißen. Weil die Inflation steigt und die Löhne stagnieren, erleiden die Briten bereits wieder Reallohnve­rluste – nachdem sie endlich die Finanzkris­e von 2008 überwunden zu haben schienen. Obwohl das Gesundheit­swesen allein in England mit 120 Milliarden Pfund der größte Budgetpost­en nach den Pensionen ist, steht es vor dem Zusammenbr­uch. Am Leben erhalten wird es ausgerechn­et von ausländisc­hen Ärzten und Pflegern, deren Zukunft im Land nach dem Brexit alles andere als gewiss ist.

Um daraus kein Kapital schlagen zu können, muss man schon ein politische­r Irrläufer wie der AltMarxist Jeremy Corbyn sein. May versucht hingegen, ihre Konservati­ven bewusst als eine nationale Arbeitnehm­erpartei zu positionie­ren. Von Trump und Le Pen unterschei­det sie die Befürwortu­ng eines globalen Kapitalism­us – solange die Briten davon profitiere­n. (gar)

 ?? [ Reuters ] ?? Großbritan­niens konservati­ve Premiermin­isterin May fand im Parlament Zustimmung für die Vorverlegu­ng der Wahlen.
[ Reuters ] Großbritan­niens konservati­ve Premiermin­isterin May fand im Parlament Zustimmung für die Vorverlegu­ng der Wahlen.

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