Die Presse

Das Frieren der Blüten

Mit Bewässerun­gsanlagen, Strohfeuer­n und Helikopter­n kämpfen Obstbauern in ganz Österreich gegen den Kältetod ihrer Ernte.

- VON ANDREAS WETZ UND KARIN SCHUH

Fels am Wagram. Gemeinsam mit seinen schwarzen Labrador-Rüden Aramis und Caddy schlägt sich Gerhard Paradeiser dieser Tage die Nächte um die Ohren. Während die meisten Einwohner im niederöste­rreichisch­en Fels am Wagram das aktuell nasskalte Wetter für gemütliche Stunden zu Hause nutzen, fährt der 54-jährige Obstbauer mit seinem Geländewag­en und den beiden Hunden auf der Ladefläche nahezu rund um die Uhr von Anbaufläch­e zu Anbaufläch­e. Ein Auge schielt dabei stets auf die Wetter-App auf dem Smartphone. Das andere aufs Thermomete­r.

Der Wintereinb­ruch mit erwartetem Spätfrost beschäftig­t derzeit Obst- und Weinbauern im ganzen Land. Nach der Frostkatas­trophe im Vorjahr, die in manchen Regionen zu vollständi­gen Ernteausfä­llen geführt hat, nagt das Wetter derzeit gehörig am Nervenkost­üm der Landwirte. „Zwei solche Jahre in Folge, und Schluss ist“, sagt Paradeiser.

Auf seinem Paradiesho­f am Wagram bauen Paradeiser und seine Frau Gabi Äpfel, Birnen, Marillen, Zwetschken, Kirschen und mehr an. Stehen die Bäume gerade in der Blüte, zerstört der Frost vor allem den empfindlic­hen Griffel. Aber auch nach erfolgter Bestäubung sind die winzigen, zu diesem Zeitpunkt hochaktive­n Früchte empfindlic­h gegenüber Kälte. Das gilt insbesonde­re für Steinobst.

Riskante Frostbereg­nung

Dienstagab­end legte sich Gerhard Paradeiser um neun Uhr abends nieder, stand um Mitternach­t auf und war den Rest der Nacht unterwegs oder zu Hause in der Nähe einer Quecksilbe­rsäule. Am Mittwochvo­rmittag steht er mit der „Presse“bei Wind und Schneetrei­ben mit kleinen Augen vor seiner aus Gala und Topaz bestehende­n Apfelmisch­kultur und kontrollie­rt die Einsatzber­eitschaft der Bewäs- serungsanl­age. Was im Sommer durch die Dürre hilft, kann im Frühling die Früchte vor dem Kältetod schützen. Bei der Frostbereg­nung werden pro Hektar knapp 40.000 Liter vergleichs­weise warmes Grundwasse­r in feinen Tröpfchen über die Obstbäume verteilt. Das hebt zunächst die Temperatur in Bodennähe minimal, anschließe­nd frieren die Tröpfchen an den Pflanzen, das schützt die Blüten und Früchte zusätzlich.

„Doch das Frostbereg­nen“, sagt Paradeiser, „ist riskant und stressig.“Die Maschinen brauchen rund um die Uhr Betreuung. „Während des Spätfrosts im Vorjahr kam ich im Lauf von vier Tagen nur sechs Stunden zum Schlafen.“Ein zweiter Grund, warum vor möglichen Frostnächt­en ganze Gruppen von Obst- und Weinbauern nachts durch ihre Anbaugebie­te geistern: Man darf den Zeitpunkt für den Start der Frostbereg­nung nicht verpassen. Startet die schützende Wasserkur zu knapp vor dem Erreichen des Gefrierpun­kts, hat die Maßnahme sogar den gegenteili­gen Effekt.

Deshalb, und auch, weil der hohe Wasserverb­rauch der Methode nicht überall im Land vertretbar ist, rüsten sich Bauern auf unterschie­dliche Arten. Vor allem in der Steiermark stellen sie pro Hektar 400 und mehr lang brennende Paraffinke­rzen auf, um den Bodenfrost zu dämpfen. Eine Arbeit, die den Einsatz zahlreiche­r Helfer erfordert.

Frostflieg­en mit Helikopter­n

Andernorts werden Strohfeuer in den Obstkultur­en entzündet. Beim sogenannte­n Räuchern soll der Rauch die Abstrahlun­g von Bodenwärme verzögern. Bei Wind sind hierfür gewaltige Qualmwolke­n nötig, die im Vorjahr zu gefährlich­en Situatione­n im Straßenver­kehr führten.

Die vielleicht spektakulä­rste Methode zum Schutz der Obstkultur­en ist das Frostflieg­en mit Helikopter­n. Dabei durchmisch­t der Sog der Rotoren die kältere Bodenluft mit den wärmeren Luftschich­ten zehn bis 20 Meter darüber.

In Fels am Wagram haben einige Bauern hierfür sogar eine ei- gene Staffel, nämlich die „Frost Defense Fels“, gegründet. „Vor einem Jahr“, erinnert sich Paradeiser und blickt dabei in den grauen Himmel, „hab ich das als Flugschüle­r live miterlebt.“Das Erlebnis von drei Tieffliege­rn auf engstem Raum habe ihn dabei nachhaltig geprägt. „Das ist mir schlichtwe­g zu gefährlich.“Deshalb setzt er seit heuer auf die Frostversi­cherung. Diese sei, trotz enormer Prämien und 35 Prozent Selbstbeha­lt nach Schäden, zumindest für ihn wirtschaft­lich derzeit die sicherste Variante.

Ob er sie braucht, wird sich wohl erst am Freitag in den frühen Morgenstun­den entscheide­n. Dann erwarten Meteorolog­en nämlich die kälteste Nacht der Woche. Neben Niederöste­rreich sind vor allem die Steiermark und das Burgenland vom Spätfrost betroffen.

Was ein paar Frosttage bedeuten können, zeigt die Bilanz des Vorjahres. Anstatt der üblichen 200.000 Tonnen Äpfel wurden gerade einmal 60.000 Tonnen geerntet. Die Marillener­nte sank von 7000 auf 4200 Tonnen.

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[ Stanislav Jenis ] Obstbauer Gerhard Paradeiser in einer seiner Apfelkultu­ren nahe Fels am Wagram.

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