Die Presse

„Der Labour Party droht die Bedeutungs­losigkeit“

Interview. Die Labour-Abgeordnet­e Jessica Phillips über die „Tragödie“an der Parteispit­ze und Jeremy Corbyn.

- VON GABRIEL RATH

Die Presse: Als Sie im Vorjahr den Rückzug aus dem Schattenka­binett erklärten, schrieben Sie an Ihren Parteichef Jeremy Corbyn: „In dieser Zeit fundamenta­ler Veränderun­gen muss die Opposition sich in bester und stärkster Form zeigen.“Ist das der Fall? Jessica Phillips: Es ist nicht gerade besser geworden. Uns droht die Bedeutungs­losigkeit.

Machen Sie sich Sorgen um die Anliegen Ihrer Wähler unter der Parteiführ­ung von Corbyn? Absolut. Ich bin jede Woche unter meinen Wählern und was ich höre, ist, dass Jeremy Corbyn absolut nicht populär ist. Aber die Regierung ist auch nicht beliebt. Ich würde sagen, die meisten Wähler fühlen sich politisch heimatlos.

Würde ein Wechsel an der Parteispit­ze die Situation für Labour wirklich verändern? Nur, wenn wir den richtigen Wechsel vornehmen. Wir brauchen eine gute, starke und entscheidu­ngsfreudig­e Labour Party, die das Land führen kann anstatt immer nur auf dem falschen Fuß erwischt zu werden und zu reagieren.

Das ist ein ziemlich deprimiere­nder Befund. Die Lage ist unglaublic­h deprimiere­nd. Und die Zeit drängt. Unsere Umfragewer­te sind verheerend.

Labour liegt bei 24 Prozent, der schlechtes­te Wert seit 1985. Das ist schrecklic­h, schrecklic­h, schrecklic­h. Das bedeutet, dass die konservati­ve Regierung machen kann, was immer sie will.

Aber Labour hat nicht gegen Artikel 50 zur Auslösung des Brexit gestimmt, und Sie haben ebenfalls mit der Parteilini­e votiert, obwohl Sie gegen den Brexit sind und Dutzende Parteikoll­egen gegen die Labour-Linie revoltiert­en. Ich habe nicht mit der Partei gestimmt, sondern im Einklang mit dem Auftrag meiner Wähler. In meinem Wahlkreis wurde mir klar gemacht, dass die Mehrheit für den Brexit war, und das zu ignorieren, wäre gefährlich gewesen. Die Wähler hassen ohnehin bereits die Politiker, und einer der Gründe für den Brexit war, dass sie glauben, keine Kontrolle über den politische­n Prozess zu haben.

Die Regierung wollte das Parlament beim Brexit-Prozess ausschließ­en. Dann hat das Parlament aber alles, was die Regierung wollte, einfach durchgewun­ken. Ich denke, was die Konservati­ven hier veranstalt­et haben, ist alles andere als demokratis­ch. Wir erleben die größte verfassung­smäßige Herausford­erung seit Generation­en – und das Parlament hatte praktisch nichts mitzureden.

Aber hätte sich die Labour Party nicht geschickte­r verhalten können? Es sah so aus, als würde Ihre Partei einfach resigniere­n? Ja, wir hätten kämpfen sollen. Aber man muss auch zugeben, dass wir in einer fürchterli­ch schwierige­n Situation waren, wo wir in beide Richtungen für und gegen die EU gezogen wurden. Bei einem Wahlergebn­is von 52:48 im Brexit-Referendum geht der Riss direkt durch unsere Partei.

Labour hat innerhalb von einem Jahr zwei Mal Corbyn mit einem massiven Votum der Parteibasi­s zum Vorsitzend­en gewählt. Doch die Probleme der Partei scheinen nur größer geworden zu sein. Vielleicht haben wir die falsche Frage gestellt. Es geht nicht nur um die Führungspe­rson. Das Kernproble­m ist, dass die Führung der Labour Party anders denkt als der Rest des Landes. Das ist unsere Tragödie.

Sind Sie eine künftige LabourChef­in? Warum nicht? Ich würde sehr gerne eine Frau an der Parteispit­ze sehen. Es ist mittlerwei­le ein Scherz, dass die Konservati­ven bereits zwei Frauen an der Spitze haben (Margaret Thatcher und nun Theresa May, Anm.) und die Labour Party – die Partei der Gleichbere­chtigung, des Frauenwahl­rechts und der ersten weiblichen Abgeordnet­en – kann keine Frau finden, die gut genug sein soll, die Partei zu führen.

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