„Der Labour Party droht die Bedeutungslosigkeit“
Interview. Die Labour-Abgeordnete Jessica Phillips über die „Tragödie“an der Parteispitze und Jeremy Corbyn.
Die Presse: Als Sie im Vorjahr den Rückzug aus dem Schattenkabinett erklärten, schrieben Sie an Ihren Parteichef Jeremy Corbyn: „In dieser Zeit fundamentaler Veränderungen muss die Opposition sich in bester und stärkster Form zeigen.“Ist das der Fall? Jessica Phillips: Es ist nicht gerade besser geworden. Uns droht die Bedeutungslosigkeit.
Machen Sie sich Sorgen um die Anliegen Ihrer Wähler unter der Parteiführung von Corbyn? Absolut. Ich bin jede Woche unter meinen Wählern und was ich höre, ist, dass Jeremy Corbyn absolut nicht populär ist. Aber die Regierung ist auch nicht beliebt. Ich würde sagen, die meisten Wähler fühlen sich politisch heimatlos.
Würde ein Wechsel an der Parteispitze die Situation für Labour wirklich verändern? Nur, wenn wir den richtigen Wechsel vornehmen. Wir brauchen eine gute, starke und entscheidungsfreudige Labour Party, die das Land führen kann anstatt immer nur auf dem falschen Fuß erwischt zu werden und zu reagieren.
Das ist ein ziemlich deprimierender Befund. Die Lage ist unglaublich deprimierend. Und die Zeit drängt. Unsere Umfragewerte sind verheerend.
Labour liegt bei 24 Prozent, der schlechteste Wert seit 1985. Das ist schrecklich, schrecklich, schrecklich. Das bedeutet, dass die konservative Regierung machen kann, was immer sie will.
Aber Labour hat nicht gegen Artikel 50 zur Auslösung des Brexit gestimmt, und Sie haben ebenfalls mit der Parteilinie votiert, obwohl Sie gegen den Brexit sind und Dutzende Parteikollegen gegen die Labour-Linie revoltierten. Ich habe nicht mit der Partei gestimmt, sondern im Einklang mit dem Auftrag meiner Wähler. In meinem Wahlkreis wurde mir klar gemacht, dass die Mehrheit für den Brexit war, und das zu ignorieren, wäre gefährlich gewesen. Die Wähler hassen ohnehin bereits die Politiker, und einer der Gründe für den Brexit war, dass sie glauben, keine Kontrolle über den politischen Prozess zu haben.
Die Regierung wollte das Parlament beim Brexit-Prozess ausschließen. Dann hat das Parlament aber alles, was die Regierung wollte, einfach durchgewunken. Ich denke, was die Konservativen hier veranstaltet haben, ist alles andere als demokratisch. Wir erleben die größte verfassungsmäßige Herausforderung seit Generationen – und das Parlament hatte praktisch nichts mitzureden.
Aber hätte sich die Labour Party nicht geschickter verhalten können? Es sah so aus, als würde Ihre Partei einfach resignieren? Ja, wir hätten kämpfen sollen. Aber man muss auch zugeben, dass wir in einer fürchterlich schwierigen Situation waren, wo wir in beide Richtungen für und gegen die EU gezogen wurden. Bei einem Wahlergebnis von 52:48 im Brexit-Referendum geht der Riss direkt durch unsere Partei.
Labour hat innerhalb von einem Jahr zwei Mal Corbyn mit einem massiven Votum der Parteibasis zum Vorsitzenden gewählt. Doch die Probleme der Partei scheinen nur größer geworden zu sein. Vielleicht haben wir die falsche Frage gestellt. Es geht nicht nur um die Führungsperson. Das Kernproblem ist, dass die Führung der Labour Party anders denkt als der Rest des Landes. Das ist unsere Tragödie.
Sind Sie eine künftige LabourChefin? Warum nicht? Ich würde sehr gerne eine Frau an der Parteispitze sehen. Es ist mittlerweile ein Scherz, dass die Konservativen bereits zwei Frauen an der Spitze haben (Margaret Thatcher und nun Theresa May, Anm.) und die Labour Party – die Partei der Gleichberechtigung, des Frauenwahlrechts und der ersten weiblichen Abgeordneten – kann keine Frau finden, die gut genug sein soll, die Partei zu führen.